In den Augen vieler ÖVPler wiegt Engelbert Dollfuß' Kampf gegen die illegalen Nazis, der mit seiner Ermordung im sogenannten Juliputsch von 1934 endete, seine Zerstörung der parlamentarischen Demokratie im März 1933 und seine brutale Niederschlagung des sozialistischen "Aufstandes" im Februar 1934 auf.

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Die Auseinandersetzung darüber, dass die ÖVP nie so recht von ihrem "Märtyrer" Engelbert Dollfuß lassen wollte, ist jahrzehntealt. Es bedurfte des aktuellen Umbaus des Parlaments, dass sein Porträt aus dem Sitzungszimmer des ÖVP-Klubs entfernt und im Depot der Landessammlungen Niederösterreich als Dauerleihgabe eingelagert wurde. In den Augen vieler ÖVPler wiegt sein Kampf gegen die illegalen Nazis, der mit seiner Ermordung im sogenannten Juliputsch von 1934 endete, seine Zerstörung der parlamentarischen Demokratie im März 1933 und seine brutale Niederschlagung des sozialistischen "Aufstands" im Februar 1934 auf. Das empört nicht nur Sozialdemokraten. Mit der Thematisierung des "Museums" oder der "Gedenkstätte" in Dollfuß' Geburtsort Texingtal, wo der neue Innenminister Gerhard Karner Bürgermeister ist, lebt das wieder auf.

Historiker haben Urteil längst gesprochen

Die Geschichtswissenschaft hat ihr Urteil über Dollfuß längst gesprochen. Er beseitigte als Kanzler die Demokratie in der krisengeschüttelten Ersten Republik mit einem Putsch, ließ im Bürgerkrieg 1934 mit Kanonen auf den Karl-Marx-Hof in Wien schießen, sozialdemokratische Kämpfer mit dem Würgegalgen hinrichten und in "Anhaltelagern" einsperren. Sein späterer Kampf gegen die Nazis wurde mit aussichtslosen Mitteln geführt, indem man versuchte, Hitler zu "überhitlern", das katholische Österreich als den Vertreter des wahren Deutschtums darzustellen und im faschistischen Italien mit Mussolini einen (unzuverlässigen) Verbündeten zu suchen.

Engelbert Dollfuß wurde 1892 als uneheliches Kind einer Bauerntochter im niederösterreichischen Voralpenland geboren, erwies sich als begabt und sollte Priester werden. Im Ersten Weltkrieg zeichnete sich der nur 1,51 Meter große Mann als Oberleutnant an der Italien-Front aus und erhielt acht Tapferkeitsauszeichnungen.

Wie das Parlament ausgeschaltet wurde

Nach dem Krieg engagierte er sich in der katholischen Studentenschaft und machte rasch im Bauernbund Karriere. 1932 wurde er eher als Verlegenheitslösung Kanzler einer Rechtsregierung, zusammengesetzt aus Christlichsozialen, Landbund und Heimwehr. "Seine antiparlamentarischen Instinkte setzten sich zunehmend durch" (Historiker Kurt Bauer). In der immer schärfer werdenden Parteienauseinandersetzung verlor Dollfuß die Lust an Debatte und Kompromiss.

Der Prozess, mit dem im März 1933 das Parlament ausgeschaltet wurde (die Sozialdemokratie war stärkste Partei), ist kompliziert und wurde lange von den Konservativen als "Selbstausschaltung" interpretiert. Die Realität ist, dass es bei den Reaktionären längst Pläne gab, eine autoritäre Herrschaft zu errichten: "Dollfuß folgte mittlerweile willig jenen, die davon überzeugt waren, dass der 'wahre Staat' nicht auf den untauglichen Instrumenten Parlament und Parteien aufbauen könne" (Manfried Rauchensteiner, "Unter Beobachtung. Österreich seit 1918", Böhlau 2021).

Parallelen zu Kurz

Die Abgeordneten wurden mit der Polizei am Betreten des Parlaments gehindert. Dollfuß festigte in der Folge das rechte Lager, indem er rasch die demokratischen Rechte abbaute. Dieser Weg zum autoritären Staat erfolgte auch aus Furcht vor den aufstrebenden Nationalsozialisten. In einer entscheidenden Sitzung des Klubs der Christlichsozialen berichtete ein Bundesrat: "Ein Parteimann ist hinausgegangen in die Dörfer. 'Wenn jetzt nichts geschieht, dann müssen wir mit den Söhnen auch NS werden!'"

Dollfuß ging ganz nach rechts, um die noch Rechteren abzuwehren. Darin sehen heute manche Parallelen zu Sebastian Kurz. Aber: "Gerade weil sich 'Massenbasis' nicht einfach von oben organisieren ließ, mangelte dem Regime Dollfuß die dauerhafte innere Widerstandskraft gegen den um so viel radikaleren (und erfolgreicheren) Nationalsozialismus" (Historiker Gerhard Botz).

Blutiger Februar 1934

Im Februar 1934 wehrte sich in Linz der Republikanische Schutzbund, die militärische Organisation der Sozialdemokraten, mit Waffengewalt gegen eine Hausdurchsuchung. Aus dieser Einzelaktion entstand der Bürgerkrieg mit mehr als 300 Toten. In Berlin sagte Hitler gegenüber dem französischen Botschafter, Dollfuß habe eine kriminelle Dummheit begangen, auf sozialistische Arbeiter, Frauen und Kinder zu schießen. Nun seien seine Hände mit Blut besudelt, er werde bald fallen.

Im Juli 1934 wurde Dollfuß im Zuge eines im späteren Verlauf niedergeschlagenen NS-Putsches (von dem Hitler informiert war) im Kanzleramt erschossen. Die ganze Absurdität des österreichischen "Konkurrenzfaschismus" zeigt sich im Kampflied der Bewegung: "Ein Toter führt uns an".

Bei der Verehrung von Dollfuß stellt sich manchmal die Frage, ob man seinen Anti-NS-Kampf oder sein autoritäres Programm verehrt. (Hans Rauscher, 7.12.2021)