Reden wir heute einmal über "rohes Wissen". Über rohes Wissen, das aus unseren Körpern kommt. Rohes Wissen – das sind Daten. Erst dann kommt das, was aus ihnen aus- und abgelesen werden kann – wenn wir denen, die die dafür nötige Technologie herstellen, die Möglichkeit dazu geben.

Und auch wenn das Anti-Impf-Geschwurbel von Menschen wie dem hier zitierten Telegram-Poster mit dem Jesus-Bildchen als Profilfoto so grotesk und hanebüchen ist, dass ich es zunächst für Satire hielt, passt es dann irgendwie doch auch zu einen Dauerthema in "meiner" Welt.

Allerdings nicht auf Corona-Leugnungs- und Wurmmittelverklärebene, sondern beim Sport: Reden wir über "rohes Wissen".

Foto: Screenshot Tom Rottenberg

Schließlich diskutieren auch grundvernünftige Menschen da immer wieder, wie sinnvoll es ist, Sport, den Sportler und natürlich auch die Sportlerin komplett und kompletter zu erfassen und zu vermessen – und daraus Schlüsse zu ziehen. Schlüsse, die zur Selbst- und Ergebnisoptimierung beitragen sollen.

Und es, das gleich vorweg, auch können. Aber nur dann, wenn man mit den Daten etwas anzufangen weiß – und kein Problem damit hat, dass eigene, sehr persönliche Vitaldaten da irgendwo im Netz unterwegs sind: Schon ohne Blutwertesonde im Arm, einfach nur weil da eigene Körper- und Leistungsparameter abgefragt, mit Bewegungs- und Ortsdaten kombiniert werden, dann zunächst in Uhren und anderen Geräten verarbeitet und dann auf diversen Plattformen ausgewertet teilveröffentlicht werden, fühlen sich viele Menschen unwohl. Warnen (wenn auch weniger Bible-Belt-verschwörerisch-apokalyptisch geschwurbelt) davor, dass man allzu "gläsern", also "Eigentum von Satan" werden könnte. Oder wird.

Foto: Screenshot Tom Rottenberg

Wobei das längst nicht das Ende der Fahnenstange ist. Zu den Daten der "Oberfläche" gesellt sich längst die der Vermessung des "Inneren": Laktattests zur Leistungsfähigkeitsfeststellung etwa sind auch im Hobbysport längst Alltag.

Aber dass sich jemand freiwillig und dauerhaft (und bewusst im Schwurblersprech bleibend) das "Zeichen des Tieres in seinen Arm" einpflanzen lässt und auch noch dafür bezahlt, ist neu. Relativ neu. Aber eben auch spannend: Die kleinen weißen Supersapiens-Sensoren sieht man an den Oberarm-Rückseiten von Sportlerinnen und Sportlern in Österreich gehäuft erst seit etwa einem halben Jahr.

Derzeit werden es rapide mehr (wieso, erkläre ich gleich).

Und fragt man Weißknopfträgerinnen und -träger, was das Teil kann und soll, kommt zuerst ein "Damit messe ich meinen Blutzucker in Echtzeit". Fragt man weiter, was das bringe, kommt aber meist ein zwischen Geheimniskrämerei und Ratlosigkeit schwankendes "Das versuche ich selbst gerade rauszukriegen".

Foto: Tom Rottenberg

Mir geht es da nicht anders: Vor ein paar Monaten bekam ich ein Supersapiens-Testkit und die Einladung auszuprobieren, wie sich Ernährung (genauer: der Blutzuckerspiegel) auf meine Leistungsfähigkeit auswirkt. Beim Sport, aber auch im Alltag: Wieso und wann und nach welchen Nahrungsmitteln habe ich ein Hoch, wann und unter welchen Bedingungen stürze ich ab, wie reagiere ich auf welche Energieträger, wie interagieren Schlafqualität und Leistungsfähigkeit?

Hochspannend, gar keine Frage.

Durchaus auch für Nicht-Diabetikerinnen und -Diabetiker: Für die ist das Kennen und Erkennen und Eintaktenkönnen derartiger Parameter schlicht überlebenswichtig. Sie werden deshalb dabei medizinisch betreut und individuell präzise "eingestellt".

Aber mit Supersapiens soll derlei (wie gesagt: für Gesunde und anders fokussiert) auch im DIY-Betrieb funktionieren. Geht das?

Foto: Tom Rottenberg

Eines gleich vorweg: Ja, das geht. Handwerklich zumindest. Das An- und Einsetzen der kleinen Sonde, über deren Nanonadel dann vier Wochen per Bluetooth Daten ans Handy geschickt werden, ist einfach und deppensicher.

Und über die App am Handy gibt es dann nicht nur wunderschöne Kurven, sondern auch gefühlt eine Million Video- und andere Tutorials, die einem erklären, was man da eigentlich sieht. Was man daraus ablesen kann und was sich darüber hinaus für Erkenntnisse ziehen lassen, wenn man diese Daten mit den eigenen Trainings-, Bewegungs-, Gesundheits-, Ernährungs-, Schlaf- und Ruhedaten querverlinkt.

Foto: Screenshot Tom Rottenberg

Das klingt nicht nur ein bisserl spooky, sondern ist es auch. Vor allem in den ersten Tagen: Da schwenken Kurven nach zwei Schokoladestückchen nach oben, flachen bei Longruns oder beim Zwiften ab, um dann, wenn man zu Gel oder Riegel greift, rasch wieder nach oben zu zeigen. Diese Angaben korrespondieren nicht nur im Sport, sondern auch im Alltag mit subjektiv empfundenen Leistungs- und Stimmungsbildern: Der Supersapiens-PR-Mann für Österreich und Deutschland erzählte mir, dass er über genau solche kleinen Schwenks draufgekommen sei, in welchen Blutzuckerbereichen und unter welchen Bedingungen persönliche Gereiztheit bei ihm dann in seinem Verhalten durchschlage. Das wissend, sei es "relativ einfach", sich gegen eine "kurze Lunte" im Umgang mit anderen zu wappnen.

Klingt gut? Ist gut. Und funktioniert.

Aber.

Foto: Screenshot Tom Rottenberg

Aber?

Wenn Sie jetzt sagen, dass Sie für all das keine Sonde im Arm und keine Messung in Echtzeit brauchen, weil Sie das alles intuitiv wissen und Sie beim Sport dank der Erfahrung über die Methode "Learning & Einfahring" schon seit langem sind und Sie deshalb wissen, wann Sie was wie am besten schaffen, haben Sie vollkommen recht. Mir geht es genauso.

Aber das, was Bauch und Erfahrung sagen, schwarz auf weiß oder in Diagrammen und Kurven vor sich zu haben hat doch eine andere Qualität: etwas Handfestes – mit dem man arbeiten kann.

Doch hier kommt dann noch ein zweites, vermutlich größeres Aber: Kaum jemand weiß, was er oder sie als Handlungsanleitung aus all den Zahlen und Kurven herauslesen kann. Klar gibt es da tausend Tutorials – aber in Summe überfordern die die meisten Leute. Mich eingeschlossen.

Foto: Screenshot Tom Rottenberg

Ich bin damit alles andere als alleine: Supersapiens lässt derzeit etliche ambitionierte Sportlerinnen und Sportler in Europa ihr smartes Tool testen. Eine dieser Testgruppen sind fast ein Dutzend meiner Vereinskolleginnen und -kollegen. Also durch die Bank ambitioniert laufende (und oft auch radfahrende oder schwimmende) Menschen, die in ihr Training durchaus Zeit, Geld und auch Kopfarbeit investieren.

Ein Rundruf in der Gruppe brachte durchwegs ähnliche Antworten: "Viele Daten, und man muss sich aktiv damit auseinandersetzen, um zumindest ein bissl einen Durchblick zu bekommen", schrieb etwa J. Er ist als Gründer eines sehr erfolgreichen IT- und Analyse-Start-ups, das vor allem im Gesundheitsumfeld aktiv ist, ein "Datenprofi". Sein "zumindest" vor "Durchblick" beruhigte mich.

Spannend, erklärte J., sei das Ding aber in jedem Fall: "Interessant waren so kleine Experimente, wie sich der Körper nach der gleichen Nahrung, aber mit unterschiedlichen Aktivitäten danach verhält."

Und das Fazit? Ob er mit den Erfahrungen von einem Monat Supersapiens jetzt etwas anders machen werde? Er denke nicht.

Foto: Screenshot Tom Rottenberg

Spannend war auch, was D. schrieb. Der Triathlet arbeitet ebenfalls im Medizinumfeld. Den Sensor, räumt er ein, trug er lediglich zehn Tage – weil er ihn nicht schmerzhaft, aber eben doch irritierend spürte. (Mir ging es genauso, ich hielt aber durch.). D.: "Mein Körpergefühl scheint oft sensibler zu sein als der Blick auf den Glucosespiegel."

Erkenntnisreich war das Spiel mit Nahrung, Sport und Daten dennoch: "Mir ist aufgefallen, dass der Blutzuckerspiegel extrem anstieg, wenn ich reine Kohlenhydrate zu mir nahm. Das musste nicht einmal Zucker sein. Da reichte schon was Langkettigeres wie eine Semmel. Bei Schokolade war das gar nicht so arg, da das Fett anscheinend die Glucoseaufnahme entschleunigt. Nur: Was heißt das, wenn der Blutzuckerspiegel nach der Kohlenhydrate-Einnahme stark ansteigt und durch das Insulin gleich wieder enorm abfällt? Zuckerkrank bin ich auf jeden Fall nicht. Das ist schon eine Erkenntnis. Aber was fange ich sonst damit an?"

Foto: Screenshot Tom Rottenberg

Ausreißer gab es auch. M. etwa. "Supersapiens ist Quatsch", fasst der Telekomprofi zusammen. "Manchmal ist die Kurve gestiegen, dann wieder gefallen. Mir war nur selten ein direkter zeitlicher Zusammenhang mit der Ernährung oder Lauf- bzw. Radeinheiten erkennbar. Ich hab Einheiten mit bewusst viel Nahrungszufuhr und auch welche komplett ohne Zufuhr gemacht – die Werte sind ohne Zusammenhang gewesen." Sein Fazit: Ich habe für mich keine Chance gesehen, die 'gemessenen' Werte irgendwie zum Vorteil zu nutzen."

Ganz ähnlich sah es W.: "Ich verwende das Ding seit einer Woche, und ehrlich, ich kenne mich nicht aus", schrieb der Jurist, berichtete von häufigen Mess- oder Verbindungsfehlern und schloss: "Noch sehe ich keinen besonderen Mehrwert."

Er habe wohl das gleiche Problem wie M. Der hatte nämlich so geschlossen: "Ich würde möglicherweise jemanden brauchen, der mir aus den Werten irgendwas ableitet."

Foto: Tom Rottenberg

Doch genau das ist der Punkt: Die erste Person, an der ich die Supersapiens-Sonde bewusst wahrgenommen hatte, war Julia Mayer. Als sie im Juli eine der Trainingsgruppen des Österreichischen Frauenlaufs begleitete und ich als "Gastmann" mitlaufen durfte, war mir der weiße Knopf ins Auge gesprungen.

Julia erklärte – und die sportlichen Erfolge geben ihr recht: Mayer ist x-fache Staatsmeisterin und Rekordhalterin. Viel mehr, als sie heuer gewonnen hat, kann man eigentlich gar nicht gewinnen.

Dass Ernährung da ein zentraler Faktor ist, ist kein Geheimnis. Darauf verweist Mayer auch auf ihrer Homepage ausdrücklich. Die Daten der Supersapiens-Sonde, erklärte Julia im Juli, seien da ein ganz zentraler Teil, um das Was, das Wann und das Wieviel zu optimieren.

Foto: Screenshot www.juliamayer.at

Für diese Geschichte fragte ich vergangene Woche noch einmal, ob auch "Normalos" profitieren würden: "Einfach ausgedrückt: Ich weiß, wann ich essen soll. (Was, sagt mir dann meine Ernährungsexpertin vom 'Glückose-Team'). Wenn ich beim Training/Wettkampf genug Energie habe, kann ich die optimale Leistung bringen. Ohne Supersapiens hätte ich nie so viel zu mir genommen während meiner Trainingseinheiten. Das kann ich jedem und jeder empfehlen, egal auf welchem Niveau. Gerade weil es so einfach und effektiv ist, würde ich es auch HobbysportlerInnen empfehlen."

Julia Mayer ist Profiläuferin. Sie wird umfassend und ganzheitlich betreut und hat ihr Leben ganz auf ihre sportliche Karriere ausgerichtet. Da zählt tatsächlich jedes Detail – und die Ernährung, der "Treibstoff", ist weit mehr als ein Detail.

Aus dieser Perspektive hat sie zu 150 Prozent recht.

Nur: Welcher und welche "Normalo" sieht Sport aus dieser Perspektive?

Foto: Österreichischer Frauenlauf

Also fragte ich noch jemanden. Meinen Coach. Harald Fritz hat nicht nur Sport- und Ernährungswissenschaft studiert, sondern ist auch Mathematiker: ein bekennender Zahlenfreak.

Harald ist fasziniert von dem Tool, kommt aber auch zu etlichen Abers – und fast alle betreffen die Anwendbarkeit der Erkenntnisse für nicht 24/7 betreute Profis, sondern "Normalos": Sogar in den Supesapiens-Faceboook-Gruppen werde ständig gefragt, wie Werte zu interpretieren seien. "Die Antwort lautet meist: 'Es kommt drauf an' oder 'Das ist individuell.'"

Die Schlussfolgerung des Mathematikers: "Supersapiens ist jung. Ich glaube, die sammeln noch Daten, um überhaupt Schlussfolgerungen ziehen zu können."

Das, so Fritz, erkläre auch, wieso derzeit so viele Supersapiens-Testerinnen und -Tester unterwegs sind. Supersapiens stamme aus den USA und arbeite mit "amerikanischem Zugang: Dort geht man frühzeitig mit Produkten raus, die unterwegs laufend verbessert werden, während man in Europa endlos testet – und deshalb oft zu spät auf den Markt kommt."

Warum? "In den USA ist das ein Medizinprodukt – man bekommt Supersapiens nur auf ärztliche Verschreibung."

Foto: Tom Rottenberg

Soweit er es überblicke, so der Trainer, würden alle obengenannten Urteile über die Glucosesonde stimmen: Profis und Menschen, die richtig viel Wissen, Zeit und Aufwand in ihre Trainingsoptimierung legen, könnten damit ihre Leistungskurven deutlich verbessern; Durchschnittsathletinnen und -athleten und sogar Nichtsportlerinnen und -sportler einiges über ihre "individuellen, also ganz persönlichen und oft mit anderen Personen nicht vergleichbaren" Energiekurven lernen.

Und die Trainer-Binsenweisheit, dass die meisten Sportler und Sportlerinnen während Training und Wettkampf viel zu wenig essen, werde "durch die Daten quantifizierbar belegt".

Das sei "toll, aber: Wer das sinnvoll verwenden will, braucht ziemlich sicher professionelle Begleitung."

Und das vergrößert das allergrößte Aber noch einmal. Denn damit sind wir an jenem Punkt, an dem ich, meine Vereinskollegen und die meisten anderen, die ich Supersapiens ausprobieren sehen habe, ausstiegen: bei den Kosten.

Die liegen bei 150 Euro – und zwar monatlich. (Tom Rottenberg, 7.12.2021)

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Foto: Tom Rottenberg