Der neue Regierungschef Karl Nehammer (ÖVP) will nicht alle, die sich bisher nicht impfen ließen, über einen Kamm scheren. Zu Ängstlichen und Verunsicherten dürfen man den Dialog nicht versiegen lassen.

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Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) hat am Dienstagvormittag seine erste Pressekonferenz als Regierungschef abgehalten. Zentrales Thema war der Umgang mit der Corona-Pandemie und die Frage, wie es mit dem Lockdown weitergeht. Für Nehammer steht dabei auch vor den Beratungen mit den Landeshauptleuten und Experten am Mittwoch bereits fest, dass der Lockdown für Geimpfte am Sonntag zu Ende geht. Die Frage sei nämlich gar nicht, ob der Lockdown endet, "sondern wie der Lockdown beendet wird". Denn man habe den Geimpften bei der Verhängung des Lockdowns die Perspektive zugesichert, dass es mit 12. Dezember Öffnungen geben werde, und daran halte man sich.

Richtige Reihenfolge

Auf Nachfrage erklärte Nehammer auch, dass es nicht nur im Handel, sondern auch in der Gastronomie und Hotellerie zu Öffnungen kommen wird. Welche Schutzmaßnahmen und Zutrittsregeln es in den jeweiligen Branchen geben wird, sei aber vor dem Gipfel am Mittwoch noch offen. Anders als in der Vergangenheit solle dieses Mal nicht "schon vor den eigentlichen Gesprächen das Ergebnis bereits feststehen", sagte Nehammer. Denn diese verkehrte Reihenfolge habe im Lauf der Pandemie "viel zu oft für Missstimmungen gesorgt".

Recht wahrscheinlich dürfte es regional unterschiedliche Öffnungsschritte geben, denn der Kanzler betonte mehrmals, dass die Bundesländer von sich aus schärfere Maßnahmen ergreifen können, als der Bund per "Mindeststandard" vorgibt. Wien hat sich etwa bereits auf eine stufenweise verzögerte Öffnung festgelegt. Die zuletzt gesunkenen Neuinfektionszahlen wertete Nehammer, der sich dabei auch auf Gespräche mit Fachleuten berief, als ermutigendes Zeichen für die Wirksamkeit des Lockdowns: Nun gelte es, die positive Tendenz in einen Trend zu verfestigen.

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Anreize zum Impfen vor der Pflicht

Fix ist für den Kanzler jedenfalls, dass der "Lockdown für Ungeimpfte" – gemeint sind eigentlich Nichtimmunisierte, zumal auch Genesene vom Lockdown ausgenommen sind – aufrecht bleiben wird. Für die betroffene Gruppe bestehe jederzeit die Möglichkeit, den Lockdown zu verlassen, wenn sie sich impfen lassen, bekräftige der ÖVP-Chef.

Durch den allgemeinen Lockdown sei der Anreiz zum Erststich gesunken, das werde sich durch den Teillockdown ab kommender Woche wieder ändern, glaubt Nehammer. Überhaupt müsse es das politische und gesellschaftliche Ziel sein, vor Inkrafttreten der Impfpflicht im Februar noch alle erdenklichen "Hebel zur Motivation" für eine Impfung auszuschöpfen. So habe sich gezeigt, dass anfänglich skeptisch beäugte Methoden wie Impflotterien "herrlich funktionieren". Auch Impfungen in "glamourösen Locations" wie dem Stephansdom hätten sich bewährt.

Es brauche eine differenzierte Betrachtung der Gruppe der Ungeimpften, sagte Nehammer. Viele von ihnen seien schlichtweg unsicher und ängstlich: Bei ihnen müsse man weiterhin auf den Dialog setzen. Selbst auf Demonstrationen der Maßnahmengegner trage nur eine radikale Minderheit zur Eskalation bei.

Pandemie lange nicht vorbei

Er wolle allerdings auch zur FPÖ, die permanent Stimmung gegen die Impfung macht, eine Gesprächsbasis herstellen, so Nehammer. Die Äußerungen von Parteichef Herbert Kickl zur Pandemiebekämpfung – Stichwort Pferdeentwurmungsmittel – hätten freilich mit einem vernünftigen Diskurs nichts zu tun. Kickl ist auch der einzige Chef einer Oppositionspartei, mit dem der Kanzler seit seiner Angelobung noch nicht geredet hat, wie er sagte. Zwar habe er Kickl zu einem Austausch eingeladen, doch ein Termin sei bisher nicht zustande gekommen. Demgegenüber hob Nehammer bereits erfolgte "vertrauensvolle Gespräche" mit der SPÖ-Vorsitzenden Pamela Rendi-Wagner und Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger hervor.

Andere Töne als sein Vorvorgänger – Altkanzler Sebastian Kurz – schlug Nehammer bei seiner Sicht auf den langfristigen Verlauf der Corona-Krise an. Während Kurz bekanntlich im Sommer die Pandemie für Geimpfte für beendet erklärte, räumte der nunmehrige Kanzler ein, dass das Virus auf absehbare Zeit den Alltag aller prägen werde: "Für uns wird es ein selbstverständlicher Teil unseres Lebens, Sicherheitsmaßnahmen einzuhalten." Bestimmte Schutzmaßnahmen – gemeint wohl etwa das Tragen von Masken in Risikosituationen –würden sich als Gewohnheiten etablieren wie weiland das Anlegen eines Gurts im Auto. Zu glauben, dass die Politik das Coronavirus vollends kontrollieren könne, nannte Nehammer eine "Hybris". Das könne bei einem gefährlichen Virus, das sich noch dazu immer wieder verändert, nicht funktionieren.

Zu Dollfuß sei alles geklärt

In der Debatte rund um das Dollfuß-Museum in der von Neo-Innenminister Gerhard Karner als Bürgermeister angeführten Gemeinde Texingtal sieht Nehammer keinen weiteren Bedarf für Klarstellungen. Sein Nachfolger sei ein "Verfassungspatriot", und die ÖVP vertrete eine eindeutige Position zur "Kanzlerdiktatur" von Engelbert Dollfuß, sagte Nehammer. Die Partei habe sich intensiv mit der damaligen Abschaffung der Demokratie befasst, die mit einem Zerreißen der Gesellschaft einhergegangen sei und in weiterer Folge die Machtübernahme der Nazis erleichtert habe. Mit der von Fachleuten als zu unkritisch eingestuften Aufmachung des Dollfuß-Museums hatte Nehammer aber offenbar keine gröberen Probleme. Er sei selbst vor Jahren einmal dort auf Besuch gewesen und habe auch einen Gästebucheintrag des früheren SPÖ-Politikers Erwin Lanc vorgefunden, der sich lobend über das Museum geäußert haben soll.

Zudem verwies Nehammer darauf, dass Karner am Montag in seiner Funktion als Bürgermeister eine Überarbeitung des Museums zugesichert habe. Das Dollfuß-Porträt, das bis 2017 in den Klubräumen der ÖVP hing und derzeit als Leihgabe im Depot der Niederösterreichischen Landessammlungen aufbewahrt wird, soll nach Ansicht des Parteichefs nicht zurückkommen. Es sei im Museum gut aufgehoben, meinte er. (ta, 7.12.2021)