Die meisten Menschen tun es täglich: mit anderen Menschen digital interagieren. Wir telefonieren, schreiben SMS, Whatsapp-, Signal-Messages oder Nachrichten auf einem beliebigen anderen Messenger, kommentieren News-Artikel oder Tweets, tweeten selber, schreiben E-Mails, tauschen Dateien aus. Im laufenden Lockdown, aber auch in der laufenden Digitalisierung sind viele Menschen vermehrt sowohl mit der Möglichkeit als auch mit der Notwendigkeit, mit anderen Menschen digital zu interagieren, konfrontiert.

Die neue Interaktion erforschen

Für uns gab die eigene universitäre Tätigkeit Anlass zur Auseinandersetzung mit dem Thema "digitale Interaktion". Die Universität, insbesondere im Bereich der Lehre, war infolge des ersten Corona-Lockdowns plötzlich auf digitale Kommunikationsformen reduziert. Vor allem im Bereich der Lehre waren die Auswirkungen fundamental. Die Konfrontation mit dieser gänzlich anderen Situation stand auch im Mittelpunkt von zwei Forschungsprojekten, in denen wir der Frage nachgingen, wie die abrupte und tiefgreifende Digitalisierung von den Angehörigen der steirischen Universitäten erlebt wurde.

In beiden Projekten wurden zwei Methoden der empirischen Sozialforschung verwendet, nämlich zum einen die Beobachtung von Lehrveranstaltungen, Lehrveranstaltungsprüfungen, universitären Veranstaltungen und wissenschaftlichen Konferenzen (insgesamt 47 Beobachtungen) und zum anderen das leitfadengestützte Interview (insgesamt 80 Interviews mit Studierenden, Lehrenden, Mitarbeitenden der universitären Verwaltung und universitären Schlüsselakteurinnen und -akteuren). Die Beobachtungen und Gespräche wurden über einen längeren Zeitraum geführt, beginnend im Frühling 2020 – noch während Zeiten der rein digitalen Lehre an den Universitäten – bis hinein in den Frühling 2021, als viele Interaktionen bereits wieder physisch stattfanden, die universitäre Lehre zumeist aber weiterhin digital war.

Neben vielen anderen Themen war die digitale Interaktion – zwischen Kolleginnen und Kollegen, zwischen Studierenden, zwischen Lehrenden und Studierenden – ein großer Themenkomplex. Digitale Interaktion meint hier jede Kommunikation und jede Interaktion zwischen Menschen, die nicht direkt in physischer Präsenz aller Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner stattfindet und in der digitale Technologien als Hilfsmittel verwendet werden.

Interaktion ist das Ziel, der Computer das Werkzeug

An der digitalen Interaktion sind zwei Punkte wichtig: Erstens, das Ziel aller Beteiligten ist es, zu kommunizieren, zu interagieren. Das vorrangige Ziel ist dabei nicht, einen Computer zu bedienen, sondern eine Frage zu stellen, Wissen zu vermitteln, oder einfach nur zu tratschen und so weiter. Zweitens, der Computer ist gleichzeitig Unterstützung für die Interaktion und Barriere für die Interaktion. Der Computer ermöglicht die Interaktion, wo sie ohne Hilfsmittel zwischen entfernten Orten und zu unterschiedlichen Zeiten nicht möglich ist. Gleichzeitig steht aber der Computer in dieser Kommunikation zwischen den kommunizierenden Menschen. Das heißt, die Interaktion zwischen den Menschen geschieht nicht direkt, sondern durch den Computer als Kommunikationsvermittler. Der Computer setzt sich wiederum aus verschiedenen Technologie-Ebenen zusammen: dem physischen Gerät, dem Netzwerk, der konkreten Kommunikationssoftware. Alle diese Ebenen beeinflussen, ob und auf welche Art sich die kommunizierenden Menschen miteinander austauschen können.

Vieles eingeschränkt

Oft wurde die digitale Interaktion beschränkter und beschränkender als die physische Interaktion in Präsenz erlebt. Folgende drei Begründungen sehen wir in unseren Daten; und diese drei stehen natürlich in Wechselwirkung zueinander. Erstens, Menschen nehmen im Digitalen anderen Menschen auf weniger Sinneskanälen und weniger ganzheitlich wahr. Der Computer schränkt unsere Wahrnehmung der Kommunikationspartnerinnen und -partner also ein.

"Wenn ich im Raum [in einer Lehrveranstaltung] stehe, dann nehme ich wahr, dann sehe ich, höre ich, vielleicht rieche ich sogar was, kann ich nicht sagen, aber ich nehme wahr, wie es den Leuten geht. Der Erste ist vielleicht gelangweilt, der Zweite ist besorgt, die Dritte sucht was, und ich merke das. Ich brauche nicht aktiv werden, ich brauche nicht hinschauen, es ist einfach da, das gibt diese Stimmung im Raum [...] Das fehlt natürlich, wenn alle vor ihrem Bildschirm sitzen. Dieses Gesamthafte ist weg. Und wie wichtig das aber ist, ist mir erst während des 2. und 3. Lockdowns bewusst geworden."

"Es ist schwierig [im rein Digitalen], weil du die Lehrpersonen nicht einschätzen kannst. "

"Neue Mitarbeiter kann ich über Webex nicht einschulen [...] Bis du mal den ganzen [Universitäts-]Betrieb kennst, das dauert doch."

Digitales Verhalten lernen

Zweitens ist die digitale Interaktion ungewohnt, sodass geeignete Verhaltensweisen zur Kommunikation erst kollektiv entwickelt und erlernt werden mussten. So mussten die Kommmunikationspartnerinnen und -partner zum Beispiel erst einen Weg finden, in einer größeren Diskussion auf sich aufmerksam zu machen, ohne die anderen zu unterbrechen. Der Computer ändert also die Möglichkeiten in der Interaktion.

"Man kann [online] nicht einfach dazwischenreden."

"Also so eine richtige Diskussionskultur kommt [online] halt gar nicht auf dann, wenn alle online vor ihren Laptops sitzen. […] Das ist halt einfach schwierig, weil entweder reden dann zwei gerade übereinander, oder jeder wartet darauf, dass irgendwer zu reden beginnt."

"Es ist nicht so dieses: In dem Moment passt es rein und ich störe nicht extrem."

"Dieses zwischen Tür und Angel mitbekommen, was die anderen tun, das fehlt."

"Das war ja, wie gesagt eher das Problem und ein bisschen eine Unkultur manchmal, wenn Kolleg*innen eingeloggt waren und du hast dann einfach gemerkt, sie haben Kamera, Ton abgeschaltet und sie waren irgendwo anders."

Drittens wurde die digitale Interaktion als ermüdend wahrgenommen:

"Aber insgesamt war [im Digitalen] die Ablenkung schneller da"

"Es gibt eine Art der Ermüdung durch den Bildschirm, ich glaube, für die Studierenden ist es noch schlimmer, [...] Das merke ich auch, dass bei manchen die Konzentration fehlt. "

Praktisches und Neues

Andere Erfahrungen waren durchaus positiv. Zuerst einmal ist es je nach Lebensumständen praktisch, wenn die digitale Interaktion zu Flexibilität führt, und zwar idealerweise gleichzeitig zu räumlicher und zeitlicher Freiheit, Interaktion also räumlich getrennt und zeitlich asynchron stattfindet.

"Durch meine Arbeit war es nicht immer möglich, an den Vorlesungen teilzunehmen [...} Während der Online-Lehre war das kein Problem mehr, weil ich die Zeiten flexibel einteilen konnte. "

Darüber hinaus kamen positive Erfahrungen auch aus der Freude am Neuen; wieder geht es darum, dass neue (Verhaltens-, Lern-, Lehr-)Möglichkeiten ausprobiert und erworben werden; diesmal unter der positiven Betrachtungsweise: Das eröffnet neue Möglichkeiten. Wir erinnern uns: Der Hintergrund dieser Aussagen sind die frühen, ersten Corona-Lockdowns als an den Universitäten hauptsächlich Online-Betrieb stattfand und vermehrt mit digitalen Werkzeugen experimentiert wurde. Das schließt an das zweite Thema "Der Computer ändert die Möglichkeiten in der Interaktion" an; erweitert es aber auch dadurch, dass es manchmal starker Impulse bedarf, um Neues auszuprobieren.

Über eine Vorlesung in Video-Podcast-Form: "Das hat mir eigentlich schon recht gut gefallen, weil man kann dann immer ein bisschen zurückspulen, sich [die Vorlesung] sozusagen noch einmal anhören oder in verlangsamter Geschwindigkeit. So kann man sich [...} gefühlt besser durch die Vorlesung durcharbeiten.

"Es gibt Interaktionsmöglichkeiten, die lieben fast alle Studierenden, zum Beispiel verwende ich ganz viel das Tool Feedbackr, einfach ein anonymes Audio-Response-System, wo ich einfach Multiple-Choice-Fragen stelle [...] Das ist für die Studierenden lustig, weil sie können sich selbst überprüfen [...] Gleichzeitig werden sie aktiviert, das heißt, sie kommen aus diesem passiven Zuhörer-Status da heraus [...] Und das dritte ist, dass ich als Lehrender sofort erkenne, wenn ich irgendwas nicht richtig erklärt habe."

Gerade im künstlerischen Bereich wurde auch experimentiert mit Eigenheiten der digitalen Interaktion als "Materialeigenschaft", wie zum Beispiel der zeitlichen Verschiebung von Ton; dem nur ausschnitthaften Bild.

Vorlesungen wurden während der Lockdowns aufgenommen, um sie dann orts- und zeitunabhängig abrufen zu können.
Foto: John THYS / AFP

Die digitale Interaktion wurde auch positiv erlebt, wenn die zuvor bestehende physische Interaktion sehr beschränkt war, wie zum Beispiel oft in sehr großen klassischen Vorlesungen, oder wenn die zuvor bestehende Interaktion sogar als negativ erlebt wurde. Im letzteren Fall stellt der Computer eine willkommene Distanz in der Interaktion her, beziehungsweise reduziert die Interaktion auf das Nötigste.

Über asynchrone, rein schriftliche Kommunikation: [Das war] "nicht so schlecht [...] Das war eine Professorin, die mag ich persönlich eigentlich gar nicht [...] Darum habe ich das jetzt gar nicht so schlimm gefunden dass wir [.... nicht direkt] mit ihr kommuniziert haben. Weil die Aufgabenstellungen waren so präzise [genug]".

Digitale Kommunikation ist ganz anders als physische, aber wie und warum?

Zusammenfassend kann gesagt werden: die digitale Interaktion wurde durch alle Personengruppen hindurch als sehr anders als die physische Interaktion in Präsenz erlebt. Zusätzlich wurde erlebt, dass diese andere Art der Kommunikation spürbare Auswirkungen auf das Lernen, Lehren und Zusammenarbeiten an den Universitäten hatte: Es gab zum Beispiel Drop-outs bei den Studierenden, den Eindruck, dass in der digitalen Interaktion eine Feedback-Schleife in der Kommunikation verloren ging und dadurch gerade speziellere Bedürfnisse der verschiedenen Universitätsangehörigen nicht berücksichtigt werden konnten; und vor allem Neuankömmlinge (sowohl Studierende an der Universität, als auch Mitarbeitende in Teams) nicht so gut an Bord gebracht werden konnten. Dominierend wurden digitale Lehr- und Lernformen als geeignete Mittel zur Bewältigung einer Krisensituation gesehen. Aktuell gibt es an vielen Universitäten das Bemühen, der Universität als sozialen Ort den Vorrang zu geben und so Möglichkeiten zu direkter Interaktion zu schaffen. Gleichzeitig wünschen sich aber sowohl Studierende wie auch Mitarbeitende in Zukunft mehr zeitliche und örtliche Flexibilität. Wie digitale Interaktion gewinnbringend an Universitäten integriert werden kann, bleibt vorerst offen und werden erst künftige Entwicklungen zeigen.

Wir nehmen diese Erfahrungen zum Ausgangspunkt für diesen Blog: Wir haben und werden mit Forschenden aus verschiedensten Disziplinen – zum Beispiel aus der Psychologie, Philosophie, Biologie – Gespräche führen und fragen: Wie sieht Ihre Disziplin und wie sehen Sie vor Ihrem fachlichen Hintergrund Mensch-zu-Mensch-Interaktion, speziell digitale Interaktion? Was wären typische oder interessante Fragestellungen zu digitaler Interaktion? Gibt es besonders wichtige Theorien in Ihrer Disziplin zu diesem Thema? Welche Vorhersagen, Vermutungen oder Erklärungen für obige Beobachtungen würden diese Theorien liefern?

Die Ergebnisse dieser Gespräche werden schriftlich zusammengefasst als Teile dieser Blog-Reihe erscheinen. Wir freuen uns über reges Interesse und anregende Kommentare im Forum! (Viktoria Pammer-Schindler, Mia Bangerl, Franziska Gürtl, Bernhard Wieser, 15.12.2021)