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Bei der Zahl der Femizide bewegt sich Österreich auf einem Niveau von vor zehn Jahren.

Foto: Reuters / FLOR GUZZETTI

Der letzte Fall ist erst wenige Tage her. Eine 60-jährige Frau wurde tot in ihrem Keller gefunden, unter Mordverdacht steht ihr Partner, der sich offenbar ins Ausland abgesetzt hat. Es ist das 30. Mal in diesem Jahr, dass in Österreich eine Frau getötet wurde.

Damit stehen wir in etwa bei der gleichen Zahl an Femiziden, die das Land auch vor zehn Jahren erschüttert hat. Dazwischen sanken die Zahlen mehrmals, dann stiegen sie wieder – und immer wieder verabschiedete die amtierende Regierung ein Gewaltschutzpaket. Doch nur auf das jüngste zurückzublicken reicht nicht, um langfristige Wirkungen einzelner Maßnahmen zu verstehen. Was geschah also in dieser Dekade, in der rund 300 Frauen in Österreich ermordet wurden? Welche Maßnahmen wurden von den amtierenden Regierungen gesetzt? Und welche darüber hinausgehenden Forderungen gibt es?

Übereinkommen des Europarats

Vor zehn Jahren unterzeichneten Österreich und zwölf weitere Staaten die Istanbul-Konvention, das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt. Viele der darin enthaltenen Maßnahmen sind auch heute noch nicht umgesetzt. Gewaltschutzpakete hatten in Österreich vielmehr lange die Tendenz, vor allem im Strafrecht anzusetzen, etwa durch die Schaffung neuer Straftatbestände oder Erweiterungen bestehender Paragrafen. 2009 trat unter Rot-Schwarz etwa ein neuer Straftatbestand für länger andauernde Gewalt in Kraft, 2016 folgte jener zu Cybermobbing. Viel Aufsehen gab es auch um den sogenannten Po-Grapsch-Paragraf: Ab 2016 drohten jenen Strafen von bis zu sechs Monaten Haft, die "eine andere Person durch eine intensive Berührung einer der Geschlechtssphäre zuzuordnenden Körperstelle in ihrer Würde verletzen".

Auch kam es immer wieder zu einer Erhöhung der Strafen für Sexual- und Gewaltdelikte: Unter Rot-Schwarz wurde 2016 etwa die Strafdrohung für Körperverletzung verdoppelt. 2019 wurde unter Türkis-Blau die Mindeststrafe für Vergewaltigung von einem auf zwei Jahre erhöht, rückfälligen Gewalt- oder Sexualtätern drohten um die Hälfte erhöhte Strafen. Was die Verschärfungen – und ob sie überhaupt etwas – gebracht haben, ist unklar. Valide Zahlen dazu fehlen.

Budgeterhöhungen

Was Expert*innen allerdings einhellig und immer wieder fordern, ist eine Erhöhung des Gewaltschutzbudgets. " Angemessene finanzielle und personelle Mittel" sind auch in der Istanbul-Konvention empfohlen. Das Budget für das Frauenministerium blieb allerdings zwischen 2010 und 2019 relativ konstant bei gut zehn Millionen Euro. Erst 2020 und 2021 stieg es um jeweils etwa zwei Millionen Euro.

Gewaltschutz liegt allerdings nicht nur im Frauenministerium, wie vor allem die derzeitige türkis-grüne Regierung nicht müde wird, zu betonen. Zu dem diesjährigen Gewaltschutzpaket, das insgesamt 24,6 Millionen Euro schwer ist. Finanziell am meisten gestärkt wurde die Gewaltprävention bei Männern: Mit rund 8,6 Millionen soll es künftig mehr Antigewalttrainings für verurteilte Gewalttäter, Kampagnen gegen Männergewalt sowie Täterarbeit geben. Acht Millionen Euro flossen in die Stärkung bestehender Gewaltschutzeinrichtungen sowie den Ausbau der Familienberatungsstellen und Kinderschutzzentren.

Wenn es nach dem Österreichischen Frauenring, den Österreichischen Autonomen Frauenhäusern und der "Allianz Gewaltfrei Leben" geht, ist das aber immer noch viel zu wenig. Sie fordern 228 Millionen Euro. Geld, das sowohl vom Bund als auch von den Ländern kommen müsste, sagt Maria Rösslhumer auf Nachfrage des STANDARD. Frauenhäuser fallen etwa nicht in die Zuständigkeit des Bundes. Wird Bedarf für ein weiteres Frauenhaus gesehen, muss das jeweilige Bundesland dafür aufkommen.

Auch die SPÖ fordert immer wieder 228 Millionen für den Gewaltschutz. "Ein Jahrzehnt verhallten die Forderungen der Opferschützerinnen ungehört", kritisiert Meri Disoski, Frauenchefin der Grünen. "Es ist unglaubwürdig, wenn sich die SPÖ jetzt rhetorisch hinter die Forderung der 228 Millionen Euro stellt, obwohl sie ein Jahrzehnt hindurch als Kanzlerpartei nichts zur finanziellen Stärkung von Opferschutz und Gewaltschutz beigetragen hat."

Disoski unterstützt aber grundsätzlich die Forderung für mehr Mittel im Gewaltschutz, betont sie gegenüber dem STANDARD. Deshalb habe man nun nach den Budgetverhandlungen im Herbst zum dritten Mal in Folge das Frauenbudget erhöhen können– um 81 Prozent auf mittlerweile 18,4 Millionen Euro, "und diesen Weg werden wir weitergehen". Ein höheres Budget für den Gewaltschutz, Prävention und Opferschutz gab es auch im Justizministerium, dem Gesundheits- und Sozialministerium und dem Innenministerium. Wichtig sei vor allem auch, dass die Einrichtungen und Vereine künftig eine Basisfinanzierung bekommen, sagt Disoski. Sie sollten ihre Ressourcen nicht dafür aufwenden müssen, jedes Jahr neue Anträge zu stellen. Weg von der Projektfinanzierung zu kommen, das ist tatsächlich seit langem eine zentrale Forderung von Beratungsvereinen und Gewaltschutzeinrichtungen.

Was, wo und wie eingesetzt wurde

Disoski verweist im Zusammenhang mit der Finanzierung auch auf eine interministerielle Erhebung, die im ersten Halbjahr des kommenden Jahres fertiggestellt wird. Sie soll genau aufschlüsseln, wie und wo die Mittel für den Gewaltschutz bisher verwendet wurden. Genauere Daten über den Einsatz der Mittel scheinen auch nötig, um die Verteilung der Gelder besser zu planen. Denn während es von manchen Einrichtungen heißt, man käme mit dem aufgestockten Budget nun sehr gut aus, heißt es in anderen, dass es hinten und vorn nicht reicht. Die Aufstockung im Gewaltschutz wurden allerdings überall gleichermaßen um 50 Prozent erhöht.

"Wir in Vorarlberg sind mit den zusätzlichen Mitteln gut ausgestattet", sagt Ulrike Furtenbach, Chefin der ifs Gewaltschutzstelle Vorarlberg, für die sie nun auch zusätzliche Stellen schaffen konnte. Bei den geforderten 228 Millionen ist Furtenbach nicht klar, wo genau die Grenzen zwischen Opferschutz und Gewaltprävention gezogen werden. Tatsächlich heißt es im Zug der Forderungen dieser Summe abwechselnd "Opferschutz", "Gewaltschutz" oder auch allgemeiner "Schutz- und Gleichstellungsmaßnahmen". Täterarbeit dürfte hier als Schutz- oder präventive Maßnahme nicht gemeint sein: Rösslhumer und auch die Leiterin der Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie, Rosa Logar, haben sich immer wieder skeptisch gegenüber neuen Investitionen in die Täterarbeit gezeigt.

Warum eigentlich genau 228 Millionen?

Die heutige "Allianz Gewaltfrei Leben" leitet die Forderung von 228 Millionen Euro auf Basis einer EU-Studie von 2011 ab. Diese Studie errechnete Folgekosten von Gewalt in der Familie und gegen Frauen auf 3,7 Milliarden Euro. "Das sind volkswirtschaftlichen Kosten – für die Polizei, für die Justiz, für das Gesundheitswesen", erklärt Maria Rösslhumer. Kosten, die mit Prävention verhindert werden könnten, so die Geschäftsführerin der Österreichischen Autonomen Frauenhäuser. Man rechnete dann "25 Euro pro Bürger und Bürgerin", um das Problem zu bekämpfen, nach einer Indexanpassung landete man 2020 schließlich bei 228 Millionen Euro.

Abgesehen von den unterschiedlichen finanziellen Nöten, erhält die bei dem jüngsten Gewaltschutzgipfel gestellte Forderung nach einer Beobachtungsstelle für Femizide breite Unterstützung bei Gewaltschutzexpertinnen. Die Idee ist nicht neu: Die Sonderberichterstatterin der Vereinten Nationen für Gewalt gegen Frauen, Dubravka Šimonović, brachte sie zum Beispiel bereits 2015 aufs Tapet. Sie sprach sich für die Errichtung von "Beobachtungsstellen für Femizide" auf Basis vergleichbarer Daten auf regionaler, nationaler und globaler Ebene aus. Dadurch sollen Lücken in den jeweiligen Gesetzgebungen, Mängel auf Ebene der Ermittlungsbehörden oder in der Umsetzung erkennbar gemacht und beseitigt werden.

Spanien hat etwa eine Koordinierungsstelle mit 40 Beschäftigten geschaffen, auf Basis von Artikel 10 der Istanbul-Konvention. Die SPÖ-Politikerinnen Eva-Maria Holzleitner, Evelyn Regner und Petra Bayr haben kürzlich auf Maßnahmen wie diese aufmerksam gemacht. Die Koordinierungsstelle in Spanien hat die Aufgabe, Lücken in der Umsetzung der Konvention zu identifizieren und das Mandat, Ministerien anzuweisen, was zur Füllung der Lücken zu tun ist. In Spanien wird zudem von staatlicher Seite monatlich veröffentlicht, wie viele Frauen getötet wurden. In Österreich sind Frauenmorde eines Jahres in der polizeilichen Kriminalitätsstatistik immer erst einsehbar, wenn das Jahr abgeschlossen ist. Im laufenden Jahr zählen die Frauenhäuser auf Basis von Medienberichten selbst mit. "Wir bekommen von der Polizei hierzu keine Infos", sagt Rösslhumer.

Eine besseren Einblick in die Datenlage gibt es in Finnland: Die Art der Beziehung zwischen Täter und Opfer, demografische Daten wie Alter oder Familienstand oder auch Warnzeichen, die es vorab gegeben hat wie Drohungen oder einstweilige Verfügungen werden in einem von Polizist*innen ausgefüllten Fragebogen festgehalten und in eine umfassende Datenbank zur Femizid-Prävention zusammengeführt.

Die Aktionstage "16 Tage gegen Gewalt" gehen am 10. Dezember, dem Tag der Menschenrecht, zu Ende.

Blick auf Grundsätzliches

Wenig im Gespräch ist in Österreich der Zusammenhang grundsätzlicher Gleichstellungspolitik als Gewaltprävention. Dabei sind Normen und Mechanismen zur Gleichstellung von Frauen und Männern schon seit zehn Jahren in der Istanbul-Konvention empfohlen: Darin verpflichten sich die Unterzeichner*innen zur Beseitigung von "Vorurteilen, Bräuchen, Traditionen und allen sonstigen Vorgehensweisen, die auf der Vorstellung der Unterlegenheit der Frau oder auf Rollenzuweisungen für Frauen und Männer beruhen".

Expert*innen betonen, dass Gewalt gegen Frauen oft mit ungleichem Status verbunden ist und sehen Gleichstellungsmaßnahmen als Fundament für ein breites Verständnis von Ebenbürtigkeit, das Gewalt verhindern könnte. Denn der Kern struktureller Gewalt liege in dem Glauben, Frauen seien weniger Wert als Männer. Auch hilft finanzielle Unabhängigkeit Gewaltopfern, den Täter zu verlassen.

Wesentliche Änderungen gab es hier während der großen Koalition: 2016 trat eine Informationspflicht über frei werdende Vollzeitstellen im Betrieb in Kraft. Außerdem wurde im Rahmen der Steuerreform der Eingangssteuersatz gesenkt und die Steuergutschrift erhöht, wovon vor allem Frauen mit niedrigerem Gehalt profitieren: Fast 90 Prozent der Frauen verfügen über weniger als 25.000 Euro steuerpflichtiges Einkommen pro Jahr.

Enorm hohe Teilzeitquote

Und vor mehr als zehn Jahren wurden Gehaltsangaben in Stelleninseraten gesetzlich verpflichtend sowie Arbeitgeber*innen mit mehr als 500 Beschäftigte verpflichtet, Einkommensberichte aufzulegen. Ab 2014 wurde dies auch für Unternehmen ab 150 Angestellten zur Pflicht. Die Grünen fordern nun aber eine Ausweitung des Gesetzes: Schon Betriebe ab 35 Beschäftigte sollen Einkommensberichte vorlegen. Meri Disoski kann sich auch Konsequenzen für Unternehmen vorstellen, die das nicht tun: Wenn aufgrund der Berichte Lohndiskriminierung festgestellt wird, soll das Unternehmen Maßnahmen benennen, wie sie diese beseitigen wird.

Denn die Lohnschere von 19 Prozent, auch begünstigt durch die ungleich aufgeteilte Care Arbeit, bewegt sich kaum. Aktuell arbeiten Frauen mit Kindern unter 15 Jahren zu 73 Prozent in Teilzeit, bei den Vätern sind es nur sieben Prozent. Reiche Haushalte können es sich leisten, Betreuungslücken durch privat finanzierte Angestellte zu füllen. Alle anderen sind auf staatliche Kinderbetreuung angewiesen – und somit auf die Maßnahmen, die von der Politik gesetzt werden. (Beate Hausbichler, Noura Maan, 10.12.2021)