Endlich zu Hause ankommen: Viele der Wohnungen stammen aus dem gemeinnützigen Sektor.

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Wohnungslosigkeit hat viele Gesichter, wie man bei der Organisation Neunerhaus betont. Das kann eine 19-Jährige sein, die von überforderten Eltern über eine Jugendeinrichtung zum ersten Freund zieht und dann zeitweise auf der Straße lebt. Der Mann, der aus dem Ausland kommend auf einer Wiener Baustelle und nach einem Arbeitsunfall auf der Straße landet. Aber auch der Geschäftsmann, der in die Spielsucht kippt und Job, Familie, Wohnung verliert.

Und es ist Stefan Prochazka, der vor zehn Jahren obdachlos wurde. Am Anfang standen psychische Probleme und eine Alkohol- und Drogensucht. Er habe sich aus seinem sozialen Netz "hinauskatapultiert", berichtete er vor wenigen Wochen im Rahmen einer "Wiener Vorlesung". Familie und Freunde seien überfordert gewesen. "Ich kann das nachvollziehen", sagt er heute.

Etwa 22.000 Menschen sind in Österreich als obdach- oder wohnungslos gemeldet. Die Dunkelziffer dürfte höher sein. Aus dem heurigen Corona-Jahr gibt es noch keine Zahlen. Daniela Unterholzner, Geschäftsführerin von Neunerimmo, glaubt zwar nicht, dass die Zahlen sprunghaft gestiegen sind, sondern in den kommenden Jahren schleichend in die Höhe gehen werden. Denn Räumungsklagen und Insolvenzanträge seien jetzt erst am Anlaufen. Auch nach der Finanzkrise 2008 habe man die Effekte bemerkt. "Und wenn ich mir die Rahmenbedingungen wie Realeinkommen und Mietpreise anschaue, sind wir jetzt noch einmal in einer schlechteren Situation."

Vermittler von Wohnraum

Neunerimmo, ein Tochterunternehmen von Neunerhaus, vermittelt leistbaren Wohnraum zwischen der Immobilienbranche und Sozialorganisationen nach dem "Housing First"-Konzept: Ehemals obdachlose Menschen erhalten eine eigene, langfristige Wohnung und werden auf ihrem Weg in die Selbstständigkeit von Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern begleitet. Etwa 1300 "Housing First"-Wohnungen gibt es in Wien. 300 bis 400 Wohnungen würde es laut Unterholzner zusätzlich brauchen.

Diese Wohnungen kommen großteils aus dem gemeinnützigen, "immer mehr aber auch aus dem freifinanzierten Bereich". Auch Privatpersonen gibt es, die die eine oder andere Wohnung zur Verfügung stellen möchten. Gesucht werden unterschiedliche Wohnungsgrößen.

Leistbar sei eine Miete zwischen 7,60 und 8,20 Euro pro Quadratmeter inklusive Betriebskosten und Umsatzsteuer. Die Zahlen geben dem Konzept "Housing First" recht: Die Mietstabilität ist groß. Wer einmal eine Wohnung hat, bleibt. Das zeigt sich auch international.

Strukturelle Faktoren

Die Ursachen für die Wohnungs- und Obdachlosigkeit würden oft auf individueller Ebene verortet, berichtete die Neunerhaus-Geschäftsführerin Elisabeth Hammer bei der "Wiener Vorlesung": "Das ist gesellschaftlich praktisch, weil damit der Hebel zur Veränderung bei den einzelnen Menschen liegt und wir ihnen nur zurufen müssen: ‚Streng dich doch mehr an!‘" Meist gebe es zwar einen Anknüpfungspunkt in der individuellen Biografie, das Problem liege aber in strukturellen Faktoren wie den steigenden Wohnkosten.

Einen einzigen Tag verbrachte der eingangs erwähnte Stefan Prochazka letztendlich auf der Straße. "Ich hatte meine Wohnung verloren und war mir nicht sicher, ob das Leben überhaupt noch einen Sinn macht", sagt er. Dann sei er die ganze Nacht durchmarschiert, "wie aus dem Klischee" habe es die ganze Nacht lang geschüttet.

In der Früh kam er zu einer Einrichtung der Wiener Wohnungslosenhilfe, wo er erst einmal aufgeklärt wurde, welche Hilfsangebote er nun zur Verfügung hat. Es folgten die nötigen Behördengänge, "am Abend hatte ich einen Platz in einer Notschlafstelle". "Langsam, schleichend" sei dann die Hoffnung zurückgekehrt. "Housing First" habe es damals in Wien "leider" noch nicht gegeben.

Weihnachten in der eigenen Wohnung

Mittlerweile ist Prochazka ausgebildeter Peer. Er unterstützt andere, die in einer ähnlichen Situation sind wie er vor zehn Jahren.

Die eigene Wohnung steht auf der Wunschliste der meisten Wohnungslosen jedenfalls ganz oben. Mehr als 800 Menschen, darunter 364 Kinder, bekamen über Angebote von Neunerimmo bisher eine Wohnung, in der sie heuer Weihnachten feiern können. "Und diese 364 Kinder sitzen heuer unter einem Christbaum", sagt Unterholzner.

Ihr hochgesteckter Weihnachtswunsch: Nächstes Jahr sollen es schon 700 Kinder sein, die in einer eigenen Wohnung Weihnachten feiern können. (Franziska Zoidl, 17.12.2021)