US-Präsident Biden am Bildschirm, Russlands Präsident Putin am Tisch.

Foto: EPA / Sergey Guneev / Sputnik / Kremlin Pool

Eine halbe Minute Smalltalk konnten die Journalisten vom virtuellen Gipfel zwischen Putin und Biden erhaschen. Sie sahen einen lächelnden Kreml-Chef, der sein Visavis begrüßte, und hörten, wie der Chef des Weißen Hauses sein Bedauern darüber aussprach, dass es beim G20-Gipfel in Rom nicht zu einem persönlichen Treffen gekommen sei.

Doch anschließend ließen sich die Staatschefs bei den zweistündigen Verhandlungen nicht mehr über die Schulter schauen. Immerhin ging es beim ersten Videochat der beiden um das durchaus brisante Thema Ukraine-Krise, auf die Washington und Moskau eine ganz unterschiedliche Sicht haben.

Die USA werfen Russland angesichts der russischen Truppenkonzentration an der Grenze einen geplanten Angriff auf seinen südlichen Nachbarn vor. Schon im Vorfeld des Gesprächs tauchten in den Medien mögliche Sanktionsszenarien in einem solchen Fall auf. Die Palette reichte von Einschränkungen beim Verkauf von russischen Staatsanleihen und Beschränkungen beim Rubeltausch bis hin zur Abschaltung Russlands vom internationalen Bankensystem Swift.

Letzteres wurde in Russland als "wirtschaftliche Kriegserklärung" aufgefasst. Tatsächlich haben allein die Sanktionsspekulationen zuletzt Investoren abgeschreckt. Die Moskauer Börse wertete in den vergangenen Tagen vor dem Hintergrund ab.

Allianzen und rote Linien

Der Kreml hat Einmarschpläne in die Ukraine stets dementiert. Allerdings hatte Putin zuletzt auch deutlich eigene Forderungen an den Westen artikuliert. Wichtigster Punkt ist das Beharren auf schriftlichen Zusicherungen, dass die Nato nicht weiter nach Osten expandiert.

Speziell die seit Jahren diskutierte und von Kiew betriebene Aufnahme der Ukraine in die Militärallianz ist für Moskau gleichbedeutend mit dem Überschreiten einer roten Linie. Damit seien die legitimen Sicherheitsinteressen Russlands gefährdet, argumentiert der Kreml.

Die Mehrheit der westlichen Politiker und Militärs sieht diesen Punkt als nicht verhandelbar an. Schließlich sei es das souveräne Recht eines jeden Staates, selbst zu entscheiden, welcher Allianz er beitreten wolle. Dem in Moskau ansässigen US-Politologen Michael Bohm nach gleiche die russische Forderung dem Verlangen kleinerer Nachbarn wie Aserbaidschan und Georgien an Russland, die eigene Militärallianz Rat der kollektiven Sicherheit (ODKB) nicht um Armenien zu erweitern. In dem Fall hätte Russland zu Recht diesen Staaten ebenso beschieden, dass das nicht ihre Angelegenheit sei, so Bohm.

Eine Einigung verkündeten beide Seiten nach dem Treffen nicht. Biden wollte nach der Videokonferenz mit Putin am Dienstag noch seine europäischen Kollegen Emmanuel Macron, Angela Merkel und Boris Johnson, aber auch Wolodymyr Selenskyj von den Inhalten des Gesprächs unterrichten. Eine Pressekonferenz unmittelbar im Anschluss gab keine der beiden Seiten.

Dialog wird aufrechterhalten

Das zeugt einerseits vom schwierigen Charakter, aber andererseits auch einer Absprache auf Vertraulichkeit. Ein Durchbruch sei bei den Verhandlungen ohnehin nicht zu erwarten, hatte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow schon im Vorfeld deutlich gemacht. Es gehe vor allem darum, den Dialog aufrechtzuerhalten, um die Lage nicht weiter zu eskalieren.

Das Weiße Haus teilte nach dem Gespräch mit, Biden habe Putin um eine Deeskalation in der Ukraine gebeten. Die USA seien wegen des massiven Militärpräsenz Russlands an der Grenze zur Ukraine besorgt. Bei einem Angriff würde der Westen mit "entschiedenen" Wirtschaftssanktionen reagieren, habe Biden Putin gewarnt. Beide Präsidenten hätten ihren Untergebenen aufgetragen, diesbezüglich den Dialog aufrechtzuerhalten. Neben der Ukraine seien auch die Themen strategische Sicherheit und Cyberkriminalität besprochen worden, so die Pressemitteilung aus dem Weißen Haus.

Zumindest einige Indizien deuten auf eine Annäherung hin: Der US-Kongress hat die Sanktionen gegen die Pipeline Nord Stream 2 nicht in den Verteidigungshaushalt integriert, was weitere Spannungen verursacht hätte. Russlands Außenamtssprecherin Maria Sacharowa dementierte CNN-Berichte, wonach die USA ihre Bürger aus der Ukraine evakuierten, weil sie einen Angriff erwarteten. Sie sprach in dem Zusammenhang am Dienstagabend von "Fake-Müll". (André Ballin aus Moskau, 7.12.2021)