Ältere Wählerinnen mit Wiens Bürgermeister Ludwig.

Foto: Kuratorium Wiener Pensionisten-Wohnhäuser / David Bohmann

Linz – Sollen alte Staatsbürger bei Wahlen über die Zukunft Österreichs entscheiden – während junge Menschen wegen ihres Alters oder wegen einer fremden Staatsbürgerschaft vom Wahlrecht ausgeschlossen sind? Diese Frage ist nicht rein akademisch zu sehen, auch wenn sie von Rechtswissenschaftern sehr ernsthaft diskutiert wird: Bei einem Symposion der Universität Innsbruck rechnete kürzlich der Völkerrechtsprofessor Andreas Müller vor, dass die bei bundesweiten Wahlen übliche Wahlbeteiligung von 75 Prozent bedeutet, dass nur die Hälfte der Bevölkerung tatsächlich wählt.

Die Hälfte ist nicht repräsentiert

Die andere Hälfte ist demokratisch nicht repräsentiert – denn 1,5 Millionen Ausländer sowie Kinder und Jugendliche unter 16 dürfen in Österreich etwa bei Nationalratswahlen nicht wählen. Dabei hat Österreich einen im EU-Vergleich weit gefassten Zugang zum Wahlrecht – junge Menschen ab 16 sind sonst nur in Malta aktiv wahlberechtigt. Und es gibt auch nur wenige Einschränkungen, wenn etwa ein Gericht Schwerverbrechern temporär das Wahlrecht entzieht.

Politisch ist umstritten, ob Österreich nicht etwa Zuwanderern den Erwerb der Staatsbürgerschaft (und damit des Wahlrechts) erleichtern sollte. Die SPÖ hat dafür im Sommer einen Vorstoß gemacht – und DER STANDARD ließ im August bei 800 repräsentativ ausgewählten Wahlberechtigten (online und persönliche Interviews) erheben, ob diese Forderung mehrheitsfähig wäre.

Kurz gesagt: Sie ist es nicht.

69 Prozent der Befragten sagten bei einer Market-Umfrage im Sommer, dass der Erwerb der Staatsbürgerschaft nicht erleichtert werden sollte. Auffallend ist, dass jüngere Befragte eher für Erleichterungen sind – und dass es unter den erklärten Grünen-Wählerinnen und -Wählern als einziger Gruppe eine Mehrheit für eine Erleichterung beim Wechsel der Staatsbürgerschaft gibt.

Einschränkung des aktiven Wahlrechts

Und wenn man weiter fragt, entdeckt man, dass viele Menschen, die in Österreich das Wahlrecht haben, dieses eher noch einschränken würden. Zwar meinen 82 Prozent, dass die derzeitige Regelung – alle Staatsbürger ab 16 dürfen wählen – insgesamt gut sei. Aber weitere Vorschläge einer Einschränkung begegnen dann doch gewissen Sympathien.

So erklärt jeder elfte Befragte, dass sehr alten Menschen das Wahlrecht entzogen werden sollte – unter den sehr jungen Befragten sind sogar mehr als 20 Prozent der Meinung, dass Senioren nicht wählen dürfen sollten.

Ein Entzug des Wahlrechts bei geistiger Behinderung erscheint jedem Dritten wünschenswert (diesem Vorschlag folgen vor allem Anhänger von FPÖ und ÖVP). Jeder vierte Befragte würde Menschen mit extremen politischen Haltungen von der Wahlurne fernhalten. Und rund die Hälfte würde Auslandsösterreichern das erst 1989 erstrittene Wahlrecht wieder entziehen.

"Das Verständnis, dass ein allgemeines gleiches Wahlrecht eben alle einschließt, auch die, die sich nicht auskennen oder die keine guten Staatsbürger sind, ist nicht bei allen verankert", stellt Market-Wahlforscher David Pfarrhofer fest. 14 Prozent sagen etwa, dass Steuerschuldner nicht wählen dürfen sollten, und gar 71 Prozent finden, Staatsverweigerer sollten kein Wahlrecht haben. "Dabei wird sich wohl niemand Gedanken darüber machen, wie man das eigentlich feststellen kann und wie viel Willkür hier Platz greifen könnte", sagt Pfarrhofer.

Klar gegen Ausländerwahlrecht

Eine klare Ablehnung gibt es für das Ausländerwahlrecht – und zwar auch für Unionsbürger. Dabei ist im Gemeinschaftsrecht bereits seit 1957 festgeschrieben, dass innerhalb der EU nicht wegen der Staatsbürgerschaft diskriminiert werden darf (Art 18 AEUV). Der Innsbrucker Europarechtsprofessor Werner Schroeder vertritt die Ansicht, dass Unionsbürger eben keine Ausländer sind und sich die EU-Staaten angesichts der erwünschten Freizügigkeit der europäischen Bürger von der althergebrachten Idee eines "Staatsvolks" verabschieden müssten. Allerdings gibt es dazu keine Rechtsprechung des EuGH.

Eine andere Idee der Ausweitung des Wahlrechts wurde immer wieder von (katholischen) Familienorganisationen vorgebracht – und vom neuen Wifo-Chef Gabriel Felbermayr im Gespräch mit der "Zeit" aktualisiert: Es geht um die Forderung, dass Eltern für ihre Kinder Stimmrechte bekommen sollten: Wer drei Kinder hat, bekäme dann drei zusätzliche Stimmen.

Auch diese Idee ließ DER STANDARD in der repräsentativen Umfrage vorlegen.

Knapp zwei Drittel lehnen sie ab. Wobei die schärfste Ablehnung aus der Gefolgschaft der ÖVP kommt – aber auch Befragte mit Kindern im Haushalt meinen mehrheitlich, dass Kinder in der demokratischen Willensbildung unberücksichtigt bleiben sollen. (Conrad Seidl, 9.12.2021)