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Im Donbass kämpfen prorussische Separatisten gegen die Ukraine.

Foto: Reuters/Ermochenko

Es ist ein frostiger Wintertag in Washington. Ein Hauch von Kaltem Krieg liegt in der Luft. Das rote Telefon wurde abgelöst durch einen Bildschirm. Um 10.07 Uhr sitzt Joe Biden, der 46. Präsident der Vereinigten Staaten, am Schreibtisch im Situation Room des Weißen Hauses. Ihm gegenüber: Wladimir Putin, live zugeschaltet aus der Urlaubsresidenz des russischen Präsidenten in Sotschi am Schwarzen Meer. Das Gespräch wird über ein verschlüsseltes Videokonferenzsystem abgehalten. "Greetings, Mr. President!", begrüßt Putin seinen amerikanischen Amtskollegen. "Good to see you again!", antwortet Biden herzlich. Mehr dringt zunächst nicht nach draußen an diesem Vormittag.

US-Präsident Biden bat um die Unterredung, nachdem die amerikanischen Sicherheitsbehörden die Mobilmachung von rund 100.000 russischen Soldaten entlang der Grenze zur Ukraine beobachtet hatten. Zeit für ein direktes Gespräch, wie Biden es Putin bei ihrem ersten persönlichen Aufeinandertreffen in Genf bereits im Sommer für einen solchen Fall angekündigt hatte.

Harte Maßnahmen

Genau zwei Stunden und eine Minute dauerte die Unterredung. Es soll sich um einen lebendigen Austausch gehandelt haben, keine staatstragenden Monologe oder abgelesenen Statements, umschrieb Jake Sullivan, der Sicherheitsberater des Weißen Hauses, später die Atmosphäre. Biden habe "direkt und geradlinig" mit Putin gesprochen und die Unterstützung Amerikas für die Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine bekräftigt. "Er sagte Präsident Putin, dass die Vereinigten Staaten und unsere europäischen Verbündeten bei einem weiteren Einmarsch Russlands in die Ukraine mit harten wirtschaftlichen Maßnahmen reagieren würden", so Sullivan beim Medienbriefing im Weißen Haus.

Was ihn so sicher mache, dass diese Maßnahmen heute besser wirken würden als vor sieben Jahren, als Russland die Krim annektiert hatte, möchte eine Reporterin wissen. Die Antwort des Sicherheitsberaters: Präsident Biden habe Putin in die Augen gesehen und ihm dabei gesagt, man sei diesmal bereit, Dinge zu tun, die man 2014 nicht getan habe.

In diesem Zusammenhang kommt offenbar auch auf Deutschland eine zentrale Rolle zu. Auf die Frage, ob man die Deutschen dazu dränge, ihre Position zur russischen Pipeline Nord Stream 2 zu überdenken, antwortet Sullivan, man stehe dazu mit der scheidenden und mit der neuen deutschen Regierung im "intensiven Kontakt". Nord Stream 2 sei heute noch gar nicht im Einsatz, so Bidens Berater. Man könne darin auch ein Druckmittel des Westens sehen: "Wladimir Putin möchte, dass Gas durch diese Pipeline fließt. Vielleicht will er nicht das Risiko eingehen, in die Ukraine einzumarschieren."

Kreml ließ sich Zeit

Im Gegensatz zum Weißen Haus ließ sich der Kreml Zeit mit der Bewertung des Gesprächs. Erst Stunden später gab es eine Pressemitteilung, in der das Gespräch als "sachlich und offen" gelobt wurde. In Moskau fand vor allem der Abstecher in die Geschichte wohlwollende Beachtung. Immerhin hatte Biden die Allianz beider Länder im Zweiten Weltkrieg erwähnt. Das kam im Kreml gut an.

Weniger harmonisch verlief die Betrachtung der aktuellen Ereignisse. Auf die Ukraine-Krise haben Moskau und Washington eine völlig verschiedene Sicht. Für den Kreml ist die ukrainische Führung für das Stagnieren des Friedensprozesses im Donbass verantwortlich. Putin habe Biden "an konkreten Beispielen die destruktive Linie Kiews illustriert, die auf die völlige Zerstörung der Minsker Abkommen zielt", so der offizielle Standpunkt.

Bidens Kritik an der russischen Truppenkonzentration vor der ukrainischen Grenze und die Sorge vor einem Angriff auf das Nachbarland konterte Putin mit dem Verweis auf Nato-Manöver in der Ukraine. "Die Nato unternimmt gefährliche Versuche einer Erschließung ukrainischen Territoriums und stockt Militärpotenzial an unseren Grenzen auf", erklärte der Kreml.

Zankapfel Nato

Die Hauptforderung Putins im Gespräch bestand daher darin, die Nato nicht nach Osten zu erweitern. Das Unbehagen vor deren Heranrücken an die eigenen Grenzen hatte Russland bereits vor Jahren artikuliert. Neu ist nun das Pochen auf schriftliche Garantien dafür, keine neuen Mitglieder im Osten aufzunehmen. In die gleiche Richtung zielt die Forderung nach einem Verzicht auf die Stationierung von Angriffswaffen in den Nachbarländern Russlands.

Zwar wurde diesbezüglich keine Einigung erzielt, doch das hatte in Moskau ohnehin niemand erwartet. Biden aber könne sich derzeit aufgrund des innenpolitischen Drucks nicht erlauben, einen Kompromiss auch nur anzudeuten, meinte der Vizedirektor des Zentrums für europäische und internationale Forschung an der Moskauer Higher School of Economics, Dmitri Suslow.

Immerhin soll das brisante Thema nun auf unterer Ebene weiter verhandelt werden. Den Kommentaren aus Moskau nach zu urteilen, fühlt sich der Kreml dabei in einer starken Verhandlungsposition – auch angesichts der eigenen militärischen Potenz. Ein Kompromiss könnte aus Moskauer Sicht so aussehen, dass Russland im Gegenzug für eine schriftliche Nichterweiterungsgarantie der Nato seine Truppen von der Grenze abzieht. (Richard Gutjahr aus Washington, André Ballin aus Moskau, 8.12.2021)