Nach Wahl und Vereidigung im Bundestag fuhr der neue Kanzler Olaf Scholz zu Angela Merkel. Diese übergab ihm nach 16 Jahren das Amt und ging in Pension.

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Bevor es an diesem 8. Dezember historisch wird, hat Bärbel Bas den Bundestagsabgeordneten noch etwas mitzuteilen. Normalerweise, sagt die neue Bundestagspräsidentin, sei es ja verboten, während der laufenden Sitzung im Plenarsaal unten zu fotografieren.

Doch die erste Frau an der Spitze des Bundestags ahnt, was gleich passieren wird, und betont daher: "Damit ich nicht 736 Ordnungsrufe machen muss, erlaube ich allen Abgeordneten zu fotografieren. Aber bitte diskret!"

Gelächter im Saal, die ersten haben längst ihre Handys gezückt und richten sie auf Scholz, der kerzengerade auf seinem Stuhl sitzt. "Freuen Sie sich nicht zu früh, das ist nur für heute", fügt Bas noch hinzu, um dann zur wichtigsten Mitteilung des Tages zu kommen, die aber ohnehin schon allen klar ist, da bereits viele große bunte Blumensträuße angeliefert wurden.

Olaf Scholz ist zum neuen Bundeskanzler gewählt worden. Begeisterter Applaus bricht los, man würde gerne an Scholz’ Gesicht ablesen – oder es zumindest versuchen –, wie er sich jetzt fühlt. Doch seine schwarze Maske lässt es nicht zu.

"Ich frage Sie, Herr Abgeordneter Scholz, nehmen Sie die Wahl an?", ist von Bas zu hören. "Ja", antwortet Scholz. Der Applaus wird noch lauter, Blumensträuße werden Scholz von allen Seiten gereicht.

Ein Korb voller Äpfel

Ein besonderes Geschenk hat Stefan Seidler, der einzige Abgeordnete des Südschleswigschen Wählerverbandes (SSW), mitgebracht. Der Vertreter der dänischen Minderheit im Bundestag drückt Scholz einen Korb mit Bioäpfeln in die Hand.

Während dem neuen Bundeskanzler noch gratuliert wird, hat längst das Rechnen begonnen. Die Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP verfügt über 416 Mandate.

Für die sogenannte Kanzlermehrheit waren 369 Stimmen notwendig, erhalten hat der 63-Jährige 395 Stimmen. Gleich wird über mögliche unzufriedene Abgeordnete getuschelt. Doch SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich weist darauf hin, dass in seinen Reihen einige krank sind und verhindert waren.

Der Ampel, so scheint es, ist das ohnehin egal. So gute Stimmung war schon lange nicht mehr im Plenum. Man sieht bei SPD, Grünen und FDP viele lachende Gesichter.

Immer wieder gehen die Blicke auch auf die Ehrentribüne herauf, wo Angela Merkel sitzt. Als sie von Bas begrüßt wird, gibt es Standing Ovations und so manche(r) schaut so drein, als ob er oder sie jetzt doch gleich ein Taschentuch brauchen würde.

Denn nun ist es so weit, Merkel tritt endgültig ab. Ein klein wenig holpert es beim virtuellen Übergang. Bisher gab es die Website www.bundeskanzlerin.de. Sie wurde am Donnerstag auf www.bundeskanzler.de geändert. Doch im Menü fand sich eine Zeitlang noch der Punkt: "Aufgaben der Bundeskanzlerin".

Vom Reichstag ins Schloss

Scholz macht sich nach der Wahl ins Schloss Bellevue auf. Dort bekommt er von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der übrigens 2009 erfolgloser SPD-Kanzlerkandidat war, die Ernennungsurkunde. Danach geht es zurück in den Bundestag. Und dann endlich darf Scholz dort Platz nehmen, wo er seit Jahren hinwollte: auf dem Chefsessel auf der Regierungsbank.

Wieder brandet Applaus auf, Scholz steht auf und verbeugt sich nach allen Seiten. Die Eidesformel spricht er ohne den Zusatz "so wahr mir Gott helfe". Er ist der erste konfessionslose Kanzler Deutschlands.

Die Vereidigung verfolgen auf der Ehrentribüne auch Scholz’ Ehefrau, Britta Ernst, und seine Eltern. Vater Gerhard Scholz, 86 Jahre alt, drückt seinen Stolz gegenüber der Bild-Zeitung so aus: "Es ist schon etwas Erhebendes, ein Glücksgefühl. Er hat mir schon mit zwölf gesagt, dass er Bundeskanzler werden will."

Foto: Der Standard

Auch Ex-Bundespräsident Joachim Gauck ist auf der Tribüne, ebenso der dritte sozialdemokratische Kanzler Gerhard Schröder mit seiner fünften Ehefrau So-yeon Schröder-Kim. Für einen Plausch hat Scholz, der unter Schröder SPD-Generalsekretär war, aber keine Zeit. Er muss noch einmal hinüber zum Bundespräsidenten, diesmal mit seinem neuen Kabinett, damit alle ihre Ernennungsurkunden bekommen.

Özdemir radelt durch Berlin

Am meisten fällt dabei Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) auf. Er fährt die kurze Strecke mit dem Fahrrad, Helm trägt er dabei natürlich auch.

Hurtig geht es dann wieder zurück ihn den Bundestag, dort dürfen auch die neuen Minister und Ministerinnen auf der Regierungsbank Platz nehmen. Den meisten Applaus bekommt übrigens Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne).

Sie sticht Scholz ein wenig aus, noch am Abend flog sie nach Paris. Scholz selbst ist erst am Freitag dort, er trifft den französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron.

Bei der Vereidigung seines Teams ist Scholz natürlich dabei, anschließend folgt der nächste Höhepunkt des Tages: Scholz übernimmt "sein" Kanzleramt.

"Lieber Herr Bundeskanzler", begrüßt ihn Merkel, und es klingt für alle äußerst ungewohnt. "Ich weiß, dass es ein bewegender Moment ist, in dieses Amt gewählt zu werden", fährt die nunmehrige Kanzlerin a. D. fort und gibt dem Nachfolger noch einen Auftrag: "Nehmen Sie dieses Haus in Besitz und arbeiten Sie mit ihm zum Besten unseres Landes."

Scholz bedankt sich mit den Worten: "Das war eine große Zeit, in der Sie Kanzlerin waren." Und er verspricht: "Ich werde gerne an die nordostdeutsche Mentalität anknüpfen. So viel wird sich da nicht ändern." Merkel bekommt noch einen Blumenstrauß – und das war’s. Ihre Ära ist zu Ende. (Birgit Baumann aus Berlin, 8.12.2021)