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Gaskraftwerke sind sauberer als Kohlekraftwerke, aber sauber sind sie deshalb nicht.

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Der 22. Dezember könnte der Tag sein, an dem es so weit ist. Dann könnten, mutmaßt das Portal "Politico", Atomenergie und Erdgas von der EU das Label nachhaltig verpasst bekommen. Mit fast allem, was dazugehört, also auch besserem Zugang zu Förderungen und privaten Investitionen. Zwar sind die beiden Energieträger nicht Teil der delegierten Verordnung EU-Klimataxonomie, die in der Nacht auf Donnerstag den EU-Rat passiert hat. Aber das letzte Wort ist noch nicht gesprochen. Wie man mit Erdgas und Kernenergie verfahren wird, sollen ergänzende Rechtsakte festlegen, heißt es vonseiten der EU. Sie könnten also noch Eingang in die Liste finden, allerdings unter schärferen Bedingungen.

Die Taxonomie ist ein Klassifizierungssystem, das nachhaltige Investitionen definiert, sie soll Investitionen in klimafreundliche Anlagen lenken. Also auch dafür sorgen, dass Fondsgesellschaften nicht mehr ihre eigenen Nachhaltigkeitskriterien definieren. Kriterien für "grüne" Bioenergie, Wasserkraft oder Forstwirtschaft wurden bereits festgelegt, Kernkraft und Erdgas sind allerdings höchst umstritten. In einem offenen Brief, der dem STANDARD vorab vorlag, fordern die Umweltorganisation WWF sowie eine Reihe heimischer Unternehmen – darunter Spar Österreich, Vöslauer und Ochsner – die Bundesregierung auf, alles zu unternehmen, um die Aufnahme von Kernkraft und Erdgas in diese Liste nachhaltiger Investitionen zu verhindern.

Vor wenigen Tagen hat sich auch die Raiffeisen Bank International (RBI) gegen die Aufnahme von Atomkraft in die Taxonomie ausgesprochen. Aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse und der konzernweite Verhaltenskodex hätten die RBI zu diesem Schritt bewogen, wie auf ihrer Homepage zu lesen ist.

Die Entscheidung ist durchaus von Relevanz: Der Entschluss stellt die Weichen für große Finanzströme. Investoren und Bürger sollen so klarere Informationen über nachhaltige Finanzprodukte erhalten – was für die Klimawende notwendige Milliarden mobilisieren könnte.

Offener-Brief-gegen-Atomkraft-und-Erdgas-in-der-Taxonomie.pdf

Größe: 0,34 MB

Initiiert wurde der offene Brief von der Umweltorganisation WWF, zu den Unterzeichnern gehören auch die VBV-Vorsorgekasse, Raiffeisenbank Gunskirchen, BKS-Bank und Gugler.

Zur Forderung gehört auch, eine starke Länderallianz für ein "wissenschaftsbasiertes, klima- und naturverträgliches Vorgehen" bei der Taxonomie zu bilden. In der EU gibt es nämlich zwei Blöcke. Der um Frankreich, Polen und Tschechien spricht sich dafür aus, Kernenergie und Gas als nachhaltig zu klassifizieren, auch die EU-Kommission tendiert in diese Richtung. Der andere, dazu gehören neben Österreich etwa auch Deutschland, Luxemburg und Portugal, hat im November während der Weltklimakonferenz in Glasgow bekräftigt, dass man keine Technologien in der Taxonomie sehen wolle, die nicht wirklich grün sind.

Im Klimaschutzministerium stößt der Brief wohl auf offene Ohren. Ministerin Leonore Gewessler (Grüne) hat in der Vergangenheit bereits betont, dass Gas und Atomkraft als umweltfreundlich darzustellen die Glaubwürdigkeit der Taxonomie aufs Spiel setze. In eine ähnliche Kerbe schlagen heimische Umweltschutzorganisationen.

Die Argumente

Für Kernkraft als Teil der Taxonomie spricht aus französischer Sicht schon allein der Anteil der Atomenergie am Strommix des Landes. Frankreich deckt rund 70 Prozent des eigenen Strombedarfs nuklear. Wird die Technologie als grün eingestuft, kämen Kernkraftwerksbetreiber einfacher an Geld. Zudem entstehen in AKWs bei der Stromerzeugung keine klimaschädlichen Emissionen. Ein Problem bleiben die Endlagerung sowie die Gefahr nuklearer Katastrophen.

Erdgas wiederum ist nicht sauber, aber sauberer als Kohle. Im Gespräch ist, dass der Energieträger nur auf Zeit Eingang in die Taxonomie findet, also als Brückentechnologie. Insider aus Brüssel vermuten, dass Frankreich die Aufnahme von Erdgas unterstütze, damit im Gegenzug osteuropäische Länder die Aufnahme von Kernkraft befürworten. Erdgaskraftwerke sind vergleichsweise günstig und, wie Atomkraftwerke auch, grundlastfähig: Sie können auch nachts und ohne Wind Strom erzeugen.

Delegierte-Verordnung-EU.pdf

Größe: 2,92 MB

Die EU hat konkrete Kriterien für klimafreundliche Investitionen festgelegt. In der Nacht auf Donnerstag wurde ein Rechtsakt angenommen, der Details der sogenannten Taxonomie regelt. Die EU-Staaten ließen um Mitternacht die Einspruchsfrist verstreichen, ohne ihn abzulehnen. In der Taxonomie wurden Kriterien für "grüne" Bioenergie, Wasserkraft und Forstwirtschaft festgelegt.

Sollten AKWs und Erdgas in die Taxonomie Eingang finden, würde dieser gleich von Anfang an der Zahn gezogen, befürchten jedoch die Unterzeichner des offenen Briefs. "Wenn Atomkraft und Gas einen grünen Stempel erhalten, wird ein glaubwürdiges Instrument zur Klimaschutzfinanzierung für fahrlässige politische Interessen geopfert", kritisiert Jakob Mayr vom WWF. "Die Taxonomie läuft damit Gefahr, von einem Goldstandard zu einem Werkzeug für Greenwashing zu werden."

Ähnliches ist auch von Global 2000 zu hören: "Wenn Erdgas – wohl mit Kriterien – und Atomenergie vorbehaltlos mit all ihren vollkommen unbeherrschbaren Risiken aufgenommen werden, ist die EU-Taxonomie sinnlos", kritisierte Global-Atomsprecherin Patricia Lorenz.

Auch dreckig

Erdgas ist zwar weniger dreckig als Kohle, aber nichtsdestotrotz schädlich für das Klima, wie die Unterzeichner des Briefes betonen. Allein in Österreich ist der Energieträger laut WWF für 20 Prozent der Emissionen verantwortlich, bei seiner Förderung entstehen außerdem Methaneimissionen – die besonders schädlich für das Klima sind.

Eine Aktivistin des WWF demonstrierte Ende November in Brüssel für eine Taxonomie ohne Gas und Kernkraft.
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"Auch die Atomkraft ist weder nachhaltig noch zukunftsfähig und wäre daher die völlig falsche Antwort auf die Klima- und Biodiversitätskrise", heißt es in dem Schreiben an die Bundesregierung. Gegen die Kernkraft spricht nicht nur das Problem mit dem Atommüll, der Jahrtausende weiterstrahlt. AKWs sind auch teuer, langsam und nicht wirklich rentabel. Beim Klimaschutzministerium betont man stets, dass es viel sinnvoller sei, verfügbares Geld in sofort verfügbare grüne Technologien wie Photovoltaik zu stecken anstatt in AKWs.

Auch wenn Regierungsvertreter aus Österreich und Deutschland in Glasgow gemeinsam gegen Atomkraft und Erdgas in der Taxonomie aufgetreten sind, gibt es in Deutschland eine starke Lobby für letzteren Energieträger – und inzwischen eine neue Regierung.

Übergang in der Energiewende

Die Klimawende wird in Europa jedenfalls nicht ganz ohne Erdgas funktionieren. Experten des Instituts für Klimafolgenforschung in Potsdam (PIK) betonen, dass der Energieträger als Brückentechnologie gebraucht werde, um die Emissionen bis Mitte des Jahrhunderts auf Netto-Null zu drücken. Für die Abdeckung von Energiespitzen werde es auch darüber hinaus Erdgaskraftwerke brauchen, als Reserve. Allerdings solle man darauf achten, dass neue Erdgaskraftwerke auch auf Wasserstoff umgestellt werden können, sagte Gunnar Luderer vom PIK im November.

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Laut EU-Kommissar Frans Timmermans spielen sowohl Kernkraft als auch Erdgas eine Rolle in der Klimawende.
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Eine Frage ist freilich, ob solche Brückentechnologien nicht sowieso an genügend Geld kämen, ob es also die Aufnahme in die Taxonomie überhaupt braucht. Frankreich hat ohnehin bereits Investitionen in nukleare Energie angekündigt.

Es dürfen nur wirklich nahhaltige Energieträger Platz in der Liste finden, fordern die Unterzeichner des offenen Briefs. Es sei "essenziell, dass die Taxonomie glaubwürdig, transparent und wissenschaftlich fundiert ist. Atomkraft und fossiles Gas sollen daher keinen Platz im Green Deal haben", sagt Herta Stockbauer, Vorstandsvorsitzende der BKS-Bank und eine der Unterzeichnerinnen.

Vor Weihnachten

Heuer soll laut EU noch Klarheit herrschen, ob und unter welchen Bedingungen Erdgas und Kernkraft als nachhaltig gelten werden. Als wahrscheinlich gilt, dass bestimmte AKWs und bestimmte Erdgaskraftwerke als nachhaltig eingestuft werden. Auch eine zeitliche Befristung ist, wie anzunehmen ist, wahrscheinlich. EU-Kommissar Frans Timmermans sagte gegenüber "Politico", Kernenergie sei sehr wichtig, um die Emissionen zu reduzieren, und Erdgas sehr wichtig für den Übergang von der Kohle zu erneuerbaren Energien. (Aloysius Widmann, Nora Laufer, 10.12.2021)