Eine Räumung des Protestcamps ist laut Polizei derzeit nicht vorgesehen. Die Besetzer kündigten am Donnerstagnachmittag an, nicht freiwillig zu gehen.

Regine Hendrich
Regine Hendrich
Regine Hendrich

Zuerst kam der Schneesturm – und dann kam die Polizei. Die Besetzerinnen und Besetzer der Baustelle bei der Wiener Hausfeldstraße bekamen am Donnerstag gegen 11 Uhr Besuch von der Polizei. Ihnen wurde mitgeteilt, dass die Versammlung – so wird das Protestcamp gegen die umstrittenen Bauvorhaben Stadtstraße und Lobautunnel rechtlich genannt – "als aufgelöst gilt". Die Umweltaktivisten wurden aufgefordert, die dort entstandenen Hütten "zu gebotener Zeit" zu entfernen, wie eine Sprecherin der Landespolizeidirektion Wien dem STANDARD bestätigte. "Ein Verharren wäre strafbar." Gleichzeitig heißt es vonseiten der Polizei aber auch: "Derzeit ist eine zwangsweise Räumung nicht vorgesehen."

Wie lange die Besetzerinnen und Besetzer Zeit bekommen, konnte nicht konkret beantwortet werden. Mit dem Rückbau des Protestcamps auf den ursprünglichen Zustand müsse demnach aber sofort begonnen werden. Es werde auch weiterhin Nachschauen vonseiten der Polizei geben, ob dem auch nachgekommen wird. Bei der Hausfeldstraße befindet sich eine von mehreren besetzten Baustellen für die Stadtstraße, das Protestcamp dort ist eines der größten der Besetzer.

Polizei wurde im Auftrag der Stadt Wien tätig

Die Polizei wurde auf Antrag der Stadt Wien tätig, bestätigte eine Sprecherin. Diese ist als Grundstücksbesitzerin an die Landespolizei herangetreten. Demnach habe es Bürgerbeschwerden wegen des Protestcamps gegeben, Lärm und Verschmutzung seien unter anderem als Gründe für die Beschwerden genannt worden. Der Hauptgrund ist freilich ein anderer: Wien will den Bau der Stadtstraße vorantreiben.

Eine Sprecherin von Verkehrsstadträtin Ulli Sima (SPÖ) teilte dem STANDARD mit: "Die Polizei hat im Auftrag der Stadt Wien den Besetzern mitgeteilt, dass sie als Grundstückseigentümerin die Besetzung nicht duldet. Die Stadt hat dies bisher schon etliche Male bei den BesetzerInnen deponiert." Der Brief der Polizei sei eine verbale Auflösung der Besetzung, keine Räumung. "Wir setzen weiter auf Gespräche."

"Fünf bis sechs Personen" laut Polizei im Protestcamp

Bei der Amtshandlung gegen Mittag waren laut Polizei "fünf bis sechs Personen" im Protestcamp zugegen. Der Protest der Aktivistinnen und Aktivisten richtet sich gegen den Bau der vierspurigen Verbindungsstraße zwischen der Südosttangente (A23) beim Knoten Hirschstetten und der Seestadt Aspern. Für die Stadt hingegen ist die Gemeindestraße, die zur Hälfte untertunnelt werden soll, für den Bau von Wohnungen in Stadtentwicklungsgebieten jenseits der Donau essenziell.

Fast zeitgleich zur Amtshandlung der Polizei gab Stadträtin Sima eine Pressekonferenz im Rathaus, in der sie den Besetzern der Straßenbaustellen ausrichtete: "Wer die Stadtstraße verhindert, verhindert sozialen Wohnbau." Wohnungen für 60.000 Menschen würden am Bau der Stadtstraße hängen: Das betreffe die Gebiete Seestadt Nord, Hausfeld, Berresgasse oder Am Heidjöchl. Aktuell ist aber nur für das Gebiet Seestadt Nord in der städtebaulichen Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) die Stadtstraße samt S1-Spange vorgeschrieben. Nach dem Aus für den Lobautunnel durch Verkehrsministerin Leonore Gewessler (Grüne) steht aber nicht fest, wohin eine etwaige S1-Spange überhaupt führen soll.

"Wir werden nicht freiwillig gehen"

Aktivistinnen und Aktivisten kritisieren, dass die Stadt Wien die Situation bewusst eskalieren lasse – entgegen der Ankündigung, das Gespräch mit den Besetzern zu suchen. Lena Schilling vom Jugendrat, eine der Sprecherinnen des Protestcamps, sagte: "Wir werden nicht freiwillig gehen." (David Krutzler, 9.12.2021)