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Immer wieder machen sich Unterstützer, wie in diesem Ende Oktober in London aufgenommenen Bild, für Julian Assange stark.

Foto: Reuters

Am selben Tag, an dem im Oslo zwei Journalisten den Friedensnobelpreis für ihren Einsatz für die Pressefreiheit erhalten, fiel die Entscheidung im Rechtsstreit um Julian Assange: Ein Berufungsgericht in London hat das US-Auslieferungsverbot gekippt. "Das Gericht lässt die Berufung zu", verkündete Richter Tim Holroyde. Der Wikileaks-Gründer Julian Assange muss nun damit rechnen, an die USA ausgeliefert zu werden. Das Ende ist das aber freilich noch nicht: Denn unmittelbar nach Urteilsverkündung am Freitag hat Assanges Partnerin, Stella Moris, angekündigt, mit seinem Anwaltsteam das Urteil anzufechten.

Ein kurzer Blick zurück: Ein britisches Gericht hatte Anfang Jänner die Auslieferung des 50-Jährigen wegen seines psychischen und gesundheitlichen Zustands und der zu erwartenden Haftbedingungen in den USA untersagt. Washington hatte diese Entscheidung angefochten und eine Reihe an Zusicherungen versprochen. Darunter fiel etwa ein möglicher Haftantritt in Australien sowie "ausreichend medizinische Versorgung". Das Berufungsgericht gab sich nun mit diesen Zusicherungen zufrieden.

Assanges Zukunft ist weiter ungewiss

Der Fall wandert nun an das erstinstanzliche Gericht zurück, allerdings mit der Weisung, die Auslieferungs-Entscheidung der britischen Innenministerin zu überlassen, so der Richter. Ob das Tauziehen um Assange damit ganz zu Ende ist, war aber nicht unmittelbar klar. Denn wenn Großbritannien an der Auslieferung festhält, wird sein Anwaltsteam vor den Obersten Gerichtshof ziehen – und dort das Urteil anfechten.

"Wir werden kämpfen", sagte Stella Moris in einer emotionalen Stellungnahme vor dem Londoner Gerichtsgebäude und fügte hinzu: "Julian verkörpert die Fundamente dessen, was es bedeutet, in einer freien Gesellschaft zu leben, und was es bedeutet, Pressefreiheit zu haben." Dutzende Anhänger des Wikileaks-Gründers, die sich vor dem Gerichtsgebäude in London versammelt hatten, zeigten sich enttäuscht und empört. Viele skandierten "Schande, Schande" und kündigten an, weiter für Assanges Freilassung zu kämpfen.

Stella Moris (im Bild mit Unterstützern vor dem High Court) kündigte an, das Urteil "zum ehestmöglichen Zeitpunkt" anzufechten.
Foto: ANDY RAIN

Prozess wegen Spionage

Assange ist der erste Herausgeber, dem unter dem Spionageakt der Prozess gemacht werden soll. Ihm drohen bei einer Verurteilung bis zu 175 Jahre Haft. Konkret vorgeworfen wird ihm, mit der Whistleblowerin Chelsea Manning geheimes Material über US-Militäreinsätze im Irak und in Afghanistan gestohlen und mit seinen Veröffentlichungen US-Informanten gefährdet zu haben. Assange weist die Darstellung zurück: Er habe Inhalte, etwa Indizien über mutmaßliche US-Kriegsverbrechen, lediglich im Sinne der Pressefreiheit veröffentlicht.

Bei Anhörungen im Oktober hatten beide Seiten erneut ihre Argumente vorgebracht. Die US-Anwälte warfen der britischen Justiz vor, sich auf fehlerhafte Gutachten verlassen zu haben. Außerdem sicherten die USA zu, im Falle einer Inhaftierung nicht wie befürchtet "Spezialmethoden" anzuwenden.

Berichte über Anschlagspläne

Assanges Verteidiger hingegen setzten auf Ermittlungen in Spanien über Anschlagspläne, die auch vor einigen Monaten durch Medienberichte ans Licht gekommen waren. Investigative Journalisten hatten unter Berufung auf ehemalige CIA-Mitarbeiter berichtet, der US-Auslandsgeheimdienst CIA habe Anschlagspläne auf Assange geschmiedet, während dieser sich in der ecuadorianischen Botschaft in London aufhielt. Seine Unterstützer hofften, dass diese Enthüllungen eine Auslieferung in die USA unwahrscheinlicher machen.

Assanges Angehörige beschreiben seinen Gesundheitszustand seit Monaten als schlecht und besorgniserregend. Bei den letzten Anhörungen nahm der 50-Jährige teilweise per Videoschaltung aus dem Londoner Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh teil, fühlte sich zeitweise aber auch nicht in der Lage, das Geschehen zu verfolgen.

"Beunruhigende Auswirkungen"

Bestürzt reagierten daher internationale Organisationen wie etwa Reporter ohne Grenzen (ROG) und Amnesty International: Als "äußerst beschämend" bezeichnete die Londoner Vertreterin von ROG, Rebecca Vincent, die Entscheidung des Berufungsgerichts. Sie befürchtet alarmierende Auswirkungen sowohl auf "Assanges psychische Gesundheit als auch auf den Journalismus und die Pressefreiheit auf der ganzen Welt". Auch Amnesty International bezeichnete das Einlenken bei den Zugeständnissen als "Justiz-Farce" – das Gericht habe sich entschieden, die zutiefst fehlerhaften diplomatischen Zugeständnisse zu akzeptieren, hieß es auf Twitter.

Urteil für UN-Sonderberichterstatter "politisch motiviert"

Der unabhängige Berichterstatter der Vereinten Nationen für Folter kritisierte das Londoner Urteil scharf. "Dies ist ein Armutszeugnis für die britische Justiz", sagte Nils Melzer. "Man kann über Assange denken, was man will, aber er ist nicht in einem Zustand, in dem man ihn ausliefern kann." Melzer sprach von einem "politisch motivierten Urteil". Man wolle ein Exempel an ihm statuieren, sagte Melzer. Es solle andere abschrecken, jemals wie Assange geheime Regierungsdokumente zu veröffentlichen. Melzer kritisierte die "westliche Sicherheitskoalition": "Sie alle wollen Assange nicht auf freiem Fuß sehen, weil sie das Businessmodell der Geheimhaltung schützen wollen."

Melzer hat Assange zuletzt im Mai 2019 persönlich im Gefängnis in London gesehen. Er habe aber Kontakt zu seinem engen Umfeld. Assange sei in Isolation, die auf so lange Zeit fast jeden breche. Er sei mit Medikamenten stabilisiert, aber in sehr labilem Gesundheitszustand. Es sei grotesk, dass Richter und Anwälte darüber verhandelten, ob Assange einem Verfahren vor einem geheimen Gericht in den USA gewachsen sei, während er selbst gesundheitlich nicht in der Lage war, der Anhörung zuzuhören. "Hier hat eine Entmenschlichung stattgefunden", sagte Melzer.

Kritik aus Österreich

In Österreich kritisierte die Sprecherin der Grünen für Außenpolitik und Menschenrechte, Ewa Ernst-Dziedzic, die Aufhebung des Auslieferungsverbots für Assange. Dass Assange nun damit rechnen müsse, doch an die USA ausgeliefert zu werden, sei "ein fatales Zeichen". Die Botschaft sei nämlich: "Nicht jene, die Unrecht begehen, sondern jene, die es sichtbar machen, werden zur Rechenschaft gezogen", so Ernst-Dziedzic. Das Schicksal Assanges sei "untrennbar mit jenem der Informations- und Meinungsfreiheit verbunden", betonte Ernst-Dziedzic: "Wenn journalistische Enthüllungsarbeit strafrechtlich verfolgt wird, steht eine der tragenden Säulen unserer Demokratie auf dem Spiel." Sie kündigte an, den Fall Assange "erneut im österreichischen Parlament zum Thema machen" zu wollen. (APA, etom, 10.12.2021)