Montag ist Erzähltag in der Volksschule meines jüngeren Sohnes. Die Kinder berichten da, was sie so gemacht haben am Wochenende. Und ich kann mir dann daheim anhören, dass bei den Wimmers der Adventkranz selber gesteckt wird, und bei den Hubers sind schon fünf verschiedene Sorten Kekse gebacken worden, die tatsächlich nach was schmecken. Und die Mama vom Mariechen macht sogar den Weihnachtsschmuck selber. Der, der dann am Baum hängt. Aus Salzteig. Auch Einhörner. Und Batman. Bemalt sie selber. Alles für den Christbaum. Die Weihnachtskrippe, die bastelt sie auch selber. Jedes Jahr kommen ein paar Figuren dazu, mittlerweile ist das schon fast ein Dramolette in mehreren Akten, was sie da aufstellen können. Möchte nur zu gerne wissen, wie Mariechens Mama sich dopt, um das alles durchzudrucken, denke ich. Bei uns kann es sehr wohl auch stimmungsvoll sein, sage ich. Motiviert, immerhin.

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Das traute Heim selber stimmungsvoll dekorieren: Das ist was für andere, dachte sich unsere Autorin – bis ihr Sohn das Basteln einforderte.
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Wir suchen also die Weihnachtsdeko im Supermarkt aus. Dann stehen wir an der Kassa, mit Neon-Weihnachtsmann, den man an die Hauswand hängt und der so tut, als ob er raufkraxelt, während ihm die Hose runterrutscht, fantastisch, und einer Schachtel mit gleich 100 Schokoschirmchen. Ich bin sehr zufrieden. Doch dann geht Mariechens Mama an uns vorbei. In ihren Armen liegen Krepppapierrollen in allen Nuancen von Lila. Und Engelshaar, kilometerlang. Sie mustert den Neon-Weihnachtsmann. Sagt: "Wir machen heuer Origamikreppskulpturen in Lila." Ihre Handschuhe sind handgestrickt, in Lila. "Sie färbt die Wolle selber ein", raunt mir mein Sohn zu. Der Weihnachtsmann in meiner Hand blinkt auf und verliert die Hose.

AC/DC statt Advent

Daheim wird auch vom großen Buben konstatiert, dass er nicht weiß, von welchen Eindrücken aus der Kindheit er später einmal zehren soll, weil bei anderen Leuten wird Weihnachtsmusik gemacht, so irgendwas mit Christkind kommt bald und Advent, Advent, ein Lichtlein brennt. Und es sei wirklich nur bei uns so, dass die Mutter laut BYOB von "System of a Dawn" grölend einen Adventkalender, der aus den Mitgliedern der Einzelsockenlade besteht, ausschließlich mit Milka Naps befüllt. Ich verteidige meinen adventlichen Musikgeschmack damit, dass die Herren von der Band sehr wohl schön arrangierte Chöre draufhaben, und überhaupt: nichts gegen Naps. Aber die Kinder bleiben skeptisch, ob das alles so gehört.

Und sie haben ja recht. Es ist nicht so, dass ich in der Tiroler Kindheit nicht viel Berührung mit Brauchtum gehabt hätte. Da wurde gebacken und gebastelt und mit Weihrauch hundertmal ums Haus gezogen. Und es war zutiefst stimmungsvoll, in einem Winterwunderland mit verschneiten Bergen, unglaublichen Sternenhimmeln und diesem Geruch nach Schnee und Verheißung.

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Bastel-Grinch: Natürlich möchte man den Kindern ein wenig Weihnachtsfolklore bieten. Aber was, wenn man zwei linke Hände und wenig Freude daran hat?
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Aber da komme ich nicht hin, atmosphärisch, hier in der Stadt. Ich bräuchte all diese Umstände dazu – und natürlich auch noch den alten Ofen, in dem Feuer knistert und oben steht immer heißes Wasser. Und die Stimmen der alten Leute, die da sitzen und uns Geschichten erzählen, in diesem uralten Dialekt, der leider bald ausstirbt. So wie es heute auch die Alten nicht mehr gibt. Ich umgetopfte Pflanze muss hier in Wien ein anderes Adventgefühl erfinden und im Moment sind wir halt bei den Schokoschirmchen, den alten Socken, Leucht- Santas und bei keiner Weihnachtsmusik.

Das Bastelmassaker

"Gut", sage ich schließlich. Wir machen die ganze Palette, verspreche ich den Kindern. Wir backen Kekse, wir basteln ein Weihnachtsgesteck, und wir machen unseren Weihnachtsschmuck. Kleine Papierengelchen und Strohsterne und alles alles. Der Christbaum wird ganz baff sein.

Es ist ein Bastelmassaker. Angestrebert mit Youtube-Anleitungen werden Tannenzweige zusammengezurrt, mit Draht umwickelt, Kerzen draufgepfrimelt und mit Mistelzweigteilen verziert. Für zwei Minuten sieht all das wie ein Kranz aus, dann biegen sich die Zweige wieder auf. Zum Schluss ist das Weihnachtsgesteck das, was man sich unter einem Bühnenautfit für den Kopf des kleinen Wassermanns von Otfried Preußler vorstellt. Na gut. Weiter geht's.

Nun die Kekse. Eier sind zu trennen und Mehl abzuwiegen, und dann haben die Kinder auch schon keine Lust mehr. Ich fuhrwerke alleine weiter. Deppensichere Rezepte, wurde mir gesagt. Während der Backzeit beschäftigen sich die Kinder mit Faltengerl und Strohsternen. Sie werden geklebt und mit Goldstaub überzogen. Das ist dann eigentlich am weihnachtlichsten. Goldstaub am Boden, auf dem Hund, am Klo, auf den Zahnbrüsten, im Eiskasten. Macht nichts, vor allem an den Wänden gibt das eine hübsche Abwechslung zu dem Kunstblut von Halloween.

Der große Bub geht in die Alternativschule und kann filzen, eine dort offenbar beliebte Kulturtechnik. Er breitet die verschiedenen Filzflecken vor uns aus und zeigt uns, wie wir Engel oder Sterne gestalten könnten. Und auch Hirsche, Eichhörnchen und sonstiges allerliebstes Getier. Wir bemühen uns wirklich sehr. Ich bebe vor Zorn auf diese ungeliebte Tätigkeit. Kann Filz nicht leiden, so zum Angreifen. Am Ende sind es ausnahmslos Ratten. In allen Farben. Wir beschließen, sie trotzdem als Schmuck zu verwenden, es sind schließlich kluge Tiere.

Scrabble für die Hirten

Die Kekse sind fertig. Das Resultat ist zu dunkel, ein Blech weiter halbflüssig. Schiach. Die Vanillekipferl sind aus Stahl. Überlege, sie als Wandhaken zu verwenden. Den Rest tunke ich in Schokolade und streue Silberkugerl aus Zucker drüber. Schmecken tun sie so lala. Ich bin zu müde für einen Wutausbruch.
Und die Krippe? Wir legen einen Tannenzweig in eine Schachtel hinein und dazu ein elektrisches Teelicht. Die Kinder fügen ein paar Scrabble-Buchstaben hinzu: J, M, im Stall O und E, die Hirten H, H und H. Drei Schokoschirmchen für die Heiligen Drei Könige. Nur das Jesuskind fehlt noch. Der jüngere Bub legt eine kleine Filzratte hinein. Das Göttliche hat ja viele Gesichter.

Wer nicht gerade Mariechens Mama ist, muss eben anders kreativ werden.

Am Abend bin ich stolz, dass ich die Kinder kein einziges Mal angeschnauzt habe. Schade nur, dass ich so unfähig bin. Ich blicke auf meine Hände, sie sind rau vom Filz, aber golden. Irgendetwas hätte gelingen müssen, nur irgendwas – so für die Erinnerung. Ich schaue ein letztes Mal auf eine dieser Bastelseiten. Und da steht sie, die Anleitung der Träume: Gefrorene Seifenblasen. Ein halber Liter warmes Wasser, ca. 90 Milliliter stinknormales Spülmittel und fünf Esslöffel Zucker. Alles verrühren und dann kaltstellen.

Es ist anders, aber unser

Am nächsten Tag sprinte ich los, um viel Handspülmittel zu besorgen. An der Kassa steht Mariechens Mama und bezahlt ausschließlich eine Flasche Gin. Wir nicken uns zu, wissend, innig. Wieder daheim kann es losgehen, es hat Minusgrade: kalt genug. Mit einem Strohalm ziehen wir die Zuckerlauge auf und gestalten wie Glasbläser die schönsten Seifenblasenwelten auf der Terrasse. Langsam breiten sich die Eiskristalle über die Kugeln aus, in allen fantastischen Formen und in den schillerndsten Farben, die man sich nur denken kann. Es ist ein Spektakel. Ich frage die Kinder, ob sie etwas Weihnachtliches singen wollen. Sie entscheiden sich für "Hells Bells" von AC/DC. Da haben wir sie, unsere ganz eigene Familientradition.

Ja, es hat leider am selben Tag noch Plusgrade. Seifenblasenwinterzauber ist nicht nachhaltig gedacht. Aber es hat gereicht, dass mein kleiner Bub am Montag etwas zu erzählen hatte. Er wird den kleinen Rattenjesus herzeigen. Ich freue mich schon sehr auf die Eltern-Whatsapp-Gruppe. Bestimmt wird mir gratuliert. (Heidi List, 12.12.2021)