Im Strudel der Verschwörung

Wie Fake-News einen Keil zwischen Mutter und Tochter trieben

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Das Verhältnis zwischen Mutter und Tochter ist durch Corona einer Belastung ausgesetzt.
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Das Verhältnis zu ihrer Mama, sagt Linda, sei immer "extrem gut gewesen". Die Alleinerzieherin hätte zu Linda, ihrem einzigen Kind, eine "sehr enge, sehr freundschaftliche" Beziehung gehabt: "Wir waren meistens einer Meinung." Dann kam Corona. Und mit dem neuen Virus setzte bei der Mutter eine große Angst ein.

"Im ersten Lockdown wollte sie die Polizei anrufen, als Nachbarn Partys gefeiert haben. Sie hat sich aufgeregt, wenn die Maßnahmen nicht befolgt, wenn kein Abstand eingehalten wurde." Irgendwann habe ihre Mutter ein Smartphone gekauft und die Messenger-App Telegram runtergeladen. Auf Rat einer Kollegin sei sie diversen Gruppenchats beigetreten, die Namen tragen wie "Coronawahrheit".

Ab diesem Moment, erzählt die Tochter, begann ihre Mutter, ihre Informationen vorwiegend aus dieser Quelle zu beziehen, dazu über Youtube oder Facebook. Ihre Mutter habe ihr Leben lang Grün gewählt, heute aber ziehe sie Parallelen zwischen Opfern des Nationalsozialismus und Impfskeptikern.

Sie sei überzeugt davon, dass eine neue Weltherrschaft im Gange sei, die über die Impfung einen Großteil der Menschen auslöschen wolle. "Sie sieht jetzt nur mehr diese Berichte – und ist völlig im Fake-News-Strudel aus Verschwörungstheorien gefangen." Bis zu einem gewissen Grad sei das auch nachvollziehbar: "Für meine Mama schauen die Dinge dort genauso professionell gemacht aus wie die Artikel etablierter Medien, voller Studien und angeblicher Fakten. Es ist krass, weil sie sich wirklich informiert – aber sie weiß nicht, wo sie sich dabei informiert. Aber in ihrer Welt ist das die Wahrheit."

Gruppenzwang und Hoffnung

Freundinnen und Kolleginnen ihrer Mama seien ebenfalls überzeugt von diesen Ansichten. Da greife wohl der Gruppenzwang, meint Linda, außerdem habe ihre Mutter wohl immer noch Angst. Sie selbst wohnt in Wien, ihre Mutter auf dem Land. Die Sorge ihrer Mama vor dem Virus sei vielleicht jener gewichen, allein zurückzubleiben, sollte sie ihre Meinung ändern. "Ich habe ihr einen langen Brief geschrieben, in dem ich ihr noch einmal gesagt habe, dass wir ihre Familie sind, dass sie uns nicht wegstoßen soll."

Trotzdem habe sie ihre Mutter auf Facebook gesperrt, weil sie deren Postings "nicht ertrage". Sie versucht, das Thema Corona weitgehend auszuklammern, weil "ich nicht will, dass es zwischen uns steht, auch wegen der Enkelkinder, mit denen sie so super ist, voller Liebe und Interesse, so wie sie es mit mir auch immer war."

DER STANDARD

Es komme dennoch oft auf, selbst bei harmlosen Gesprächen. Am Ende gehe es doch wieder darum, oft eskaliere es dann. Als Linda die Booster-Impfung holte und danach Fieber bekam, hätte sich die Mutter gefreut. Sie sah sich in ihren Warnungen bestätigt. "Das war richtig böse, ich habe sie nicht wiedererkannt und ihr gesagt, dass ich immer noch ihr Kind bin. Manchmal erreiche ich sie damit auch noch."

Das Verhältnis sei heute extrem schwierig, kalt geworden. Meist höre ihr die Mutter nicht zu, sondern hänge nur am Handy, scrolle permanent auf Facebook. "Es ist wie eine Sucht. Sauer bin ich aber nicht auf sie, sondern auf die Bewegung, die die Leute aufstachelt." Eine Beziehung pflegen Mutter und Tochter nur, weil Lindas Mann sie stets daran erinnere, dass die Pandemie irgendwann vorbei sei.


Die Impffrage wird zur Religion

Die Angst vor Nebenwirkungen hat eine Freundschaft verändert

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Mit der Impfung kam es zum Bruch mit dem alten Freund.
Foto: Getty Images / skynesher

Wenn Manfred seinen langjährigen engen Freund beschreibt, nennt er ihn einen "überzeugten Prediger". Er hege keinerlei Zweifel, sondern sei voll und ganz überzeugt davon, dass sich alle anderen, auch Manfred, auf dem falschen Weg befinden. Falscher Weg, das bedeutet für ihn: sich gegen Corona impfen zu lassen, vor allem mit einem der aktuell verfügbaren Vakzine.

"Das sitzt so tief", sagt Manfred. Dabei sei sein Freund "weder Neonazi noch Kickl-Fan" – es ist ihm wichtig, das zu betonen. Sein Freund habe sich immer schon für eine ganzheitliche Betrachtung der Gesundheit interessiert: "Naturheilkunde, Vitamine, so etwas." Vor der Pandemie habe er Naturheilkunde allerdings als Ergänzung zur Schulmedizin gesehen.

Jetzt sei er fest überzeugt davon, dass eine Impfung mit einem mRNA- oder Vektorimpfstoff schädliche Auswirkungen auf den Körper habe. Daran ändere auch der Verweis darauf, dass der Impfstoff mittlerweile Milliarden Menschen verabreicht wurde, nichts. Die Angst vor Langzeitschäden gehört zu den häufigsten Gründen, warum Menschen zögern – zumal die in Europa am häufigsten eingesetzten mRNA-Vakzine auf einer neuartigen Technologie basieren.

Laut Expertinnen und Experten ist diese Sorge unbegründet: Mögliche kurzfristige Reaktionen sind nach ihrem vielfachen Einsatz inzwischen bekannt. Dass Folgen aber Monate oder gar Jahre nach verabreichter Impfung sichtbar werden, kommt in der Geschichte von Impfungen hingegen generell nicht vor. Dennoch will Manfreds Freund auf einen Totimpfstoff warten, wie ihn etwa der chinesische Hersteller Sinovac, oder auch Valneva, ein österreichisch-französisches Unternehmen, herstellen. Viele trauen diesen traditionelleren Impfstoffen eher – erwartet werden beide allerdings nicht vor Mitte 2022.

Gefühl des Verrats

Zunächst war auch Manfred selbst skeptisch: "Ich war schon ängstlich." Sein Umdenken begann im Sommer. Mit den steigenden Infektionszahlen und der Aussicht auf die kalte Jahreszeit überstieg die Angst vor einer Infektion jene vor der Impfung. Nach dem ersten Stich habe sich seine Scheu gelegt, erzählt er: "Es war wie beim ersten Sprung ins Wasser als Kind. Beim zweiten Mal ist es dir dann schon wurscht."

Mit der Impfung kam es aber auch zum Bruch mit seinem alten Freund: "Er hat sich von mir verraten gefühlt." Seither stünden die beiden zwar nach wie vor in Kontakt – das aber ausschließlich "themenbereinigt", wie Manfred sagt. "Natürlich hat sich unsere Beziehung jetzt verändert."

Versuche, zu seinem Freund durchzudringen, seien sinnlos: "Ihn zu überzeugen geht absolut nicht." Das Problem sei zwar einzig die Impfung, an Masken oder Tests stoße sich dieser nicht. Aber in diesem Punkt sei er völlig festgefahren, beeinflusst auch von Gurus aus der Naturheilkunde-Szene. Die bevorstehende Impfpflicht bereitet Manfred Sorge. Er befürchtet, dass sein Freund sich dann weiter radikalisieren könnte.

Dessen Überzeugung sei so unerschütterlich, als wäre sie eine Religion. "Hundertmal kann man dem eine Strafe androhen, der geht nicht impfen." Bis dahin hofft Manfred, dass sich eine andere Lösung auftut. "Wenn der Totimpfstoff einmal da ist, dann können wir, glaub ich, wieder richtig befreundet sein."


Verschwurbelte Weihnachten

Treffen mit dem Schwiegervater bergen Konfliktpotenzial

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Angefangen habe alles im ersten Lockdown. Für diese harte Maßnahme habe Sarahs Schwiegervater kein Verständnis aufbringen können. Die Leute, argumentierte er, würden für dumm verkauft werden, man spreche ihnen jede Eigenverantwortung ab, in Schweden funktioniere es doch auch anders. "Wir haben damals nächtelang gestritten, darauf hingewiesen, dass es offensichtlich nicht anders funktioniert. Die Leute hielten hier ja nicht einmal ordentlich Abstand", erzählt Sarah.

Dann habe ihr Schwiegervater angefangen, sich Beiträge auf Youtube anzusehen, weil dort, wie er meinte, "die unangenehme Wahrheit ausgesprochen werde". Sarah habe versucht, ihm zu erklären, dass es sich um "fehlgeleitete Schwurbler handelt, die die Unwahrheit erzählen".

Doch er habe diesen mehr Glauben geschenkt als seriösen Medien, selbst Bildern misstraut, Berichte auf seine Art interpretiert. Sarahs Schwiegervater lebt in Deutschland. Sie erklärt sich sein Verhalten ein Stück weit auch damit, dass Sarahs Sohn im ersten Lockdown zur Welt kam und monatelang kein Besuch möglich war.

Sarah sagt, ihr Schwiegervater passe "so gar nicht in das Bild eines Corona-Leugners": Er sei keiner, der auf die Straße gehe und Menschen anpöble, sondern ein gutmütiger und herzlicher Mensch mit sonnigem Gemüt. Er habe immer schon zu alternativer Medizin tendiert, sein Heilpraktiker versorge ihn heute stetig mit Falschinformationen über Corona.

Und so glaube er inzwischen, dass Impfungen "nicht helfen, dass Covid gar nicht so ein Problem ist, man das anders lösen kann. Außerdem wittert er Interessen von Pharmafirmen dahinter und der Politik, wobei beides eng miteinander verbandelt ist. Er ist auch überzeugt davon, dass Bill Gates mit all dem zu tun hat."

Konfliktpotenzial und Mitleid

Ihr Ehemann leide als Sohn sehr unter der Situation. "Wir haben schon überlegt, den Kontakt auf ein Minimum zu reduzieren, haben aber die Sorge, dass ihn das noch mehr abhängen würde. Was uns besonders schockiert hat: Wir haben ihm gesagt, das Gefühl zu haben, dass wir auf ihn zukommen und ihn auf unsere Seite ziehen wollen. Er meinte dann, er habe dasselbe Gefühl, dass er versuchen würde, uns auf seine Seite zu ziehen." Während sie und ihr Mann dreimal geimpft seien, würde ihr Schwiegervater einzig aufs Testen setzen, weil er dieses für sicherer erachte – das erschwere jedes Zusammentreffen.

Nun stehe Weihnachten vor der Tür, was das Paar erneut vor eine schwierige Situation stelle: Aus gesundheitlichen Gründen sei der Besuch heikel, vor allem für ihren Sohn, für den noch keine Schutzimpfung gegen das Coronavirus zugelassen ist.

Außerdem sei es so, "als würde eine Bombe im Zimmer liegen, der sich niemand nähern möchte, weil sie sonst sofort explodiert". Das Thema habe extremes Konfliktpotenzial, weshalb sie nur einen kurzen Aufenthalt planen.

Wann und wie sie das Gespräch mit ihm suchen, dazu wollen sie sich vor ihrer Abreise professionell beraten lassen. "Mein Mann glaubt, dass sein Vater große Angst vor der Impfung hat und sich deshalb Erklärungsmodelle zurechtlegt." Deshalb verspürten beide auch Mitleid. "Mir würde es leidtun, ihn einfach abzustempeln. Letztlich ist Corona ja nur ein Thema von vielen." (Anna Giulia Fink, Vanessa Gaigg, 11.12.2021)