Elisabeth Edl, Übersetzerin nicht nur der "Bovary": "Bei Flaubert folgt jeder Satz einem dramaturgischen Bogen."

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Schliff unermüdlich an jedem Ausdruck: Gustave Flaubert (1821–1880), hier auf einer Aufnahme von 1870.

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Mit seiner gestochen scharfen Prosa begann ein neues Zeitalter: Gustave Flaubert, Arztsohn aus Rouen, hielt der französischen Gesellschaft den Spiegel vor und mokierte sich über törichten Fortschrittswahn. Übersetzerin Elisabeth Edl, in München wohnhafte Österreicherin, über die epochalen Meriten des am Sonntag vor 200 Jahren Geborenen.

STANDARD: 1857 erschien Gustave Flauberts Romanerstling "Madame Bovary", die Geschichte einer Ehebrecherin, die in den beengten Verhältnissen der französischen Provinz lebt. Fortan war in der Prosaliteratur der Moderne nichts mehr wie ehedem. Wie lässt sich ein solcher Kometeneinschlag erklären?

Edl: In Frankreich hatte die Revolutionierung der Romangattung schon vor Flaubert begonnen, etwa zu Jahrhundertanfang, mit Autoren wie Stendhal und Balzac, aber auch Victor Hugo. Flaubert geht nochmals einen entschiedenen Schritt weiter: indem er für sich postuliert, dass er den Roman, der damals vor allem der Unterhaltung diente, als Genre nobilitieren will. Er möchte ihn auf die gleiche anspruchsvolle Ebene wie die Lyrik und das Drama heben, und das will er einzig durch die Sprache leisten. Er legt sich die Messlatte extrem hoch. Gerade mit der Bovary sucht er sich ein Thema, dessen Figuren und Umstände banal erscheinen mögen, um nicht zu sagen: dumm. Mit diesem läppischen Inventar möchte er den großen Roman verwirklichen.

STANDARD: Er suchte in jedem Satz akribisch nach dem an der jeweiligen Stelle passenden Wort, dem "mot juste". Woher kommt Flauberts Obsession mit der Präzision?

Edl: Es dreht sich eher um das Zusammenspiel. Was macht bei Flaubert den Stil aus? Da haben wir auf der einen Seite die Dramaturgie seiner Sätze. Wie ist ein solches Gebilde aufgebaut? Bei Flaubert besitzt jeder Satz einen dramaturgischen Bogen. Gleichzeitig geht es um die Knappheit. Flaubert duldet keinerlei Geschwätzigkeit. Dazu kommt eine Vielfalt von Stilebenen, die den jeweiligen Figuren angepasst werden, gerade auch in einem Epochenroman wie den Lehrjahren der Männlichkeit. Weiters beobachten wir bei ihm eine unterschwellige Ironie.

STANDARD: Wobei Flaubert nicht nur sozialer Realist ist.

Edl: Es kommt bei ihm sogar Exotik ins Spiel, in Salammbo. Da hat er das antike Vokabular genau recherchiert, weil er wiederum nach den präzisesten Ausdrücken sucht. Dabei kann es sich um Farbschattierungen handeln oder um die Beschreibung erlesener Stoffe. Das ist für ihn kein müßiges Spiel. Wenn Flaubert in den Lehrjahren Kleider, Möbel oder Wandtapeten genau beschreibt, so bringt er mit jeder Stoffwahl zugleich eine Art Preisschild an. "Die Frau trägt ein Kleid mit den und den Spitzen ...": Man weiß sofort, wie viel die Besitzerin für die Garderobe hat bezahlen müssen.

STANDARD: Flaubert focht einen lebenslangen Kampf gegen die Dummheit. In seinem "Wörterbuch der Gemeinplätze" arbeitet er sich an aktuellen Beispielen geistiger Minderleistung ab. Woher rührte sein Furor?

Edl: Er stellte wohl eine besondere Mischung aus Menschenfeind und Menschenfreund dar. Er war Bürger, zugleich hasste er die Bürger inbrünstig. Sein böser Blick ist vor allem auf die "Bourgeoisie" gerichtet. Die kleinen Leute kommen bei ihm ungleich besser weg. Er schaut auf seinesgleichen, und wenn man in seinen Briefen nachliest, so hat er sich selbst von Kritik nicht ausgenommen. Die ersten Stufen zu seinen Stoffsammlungen der Dummheit findet man früh.

STANDARD: Flaubert stellte höchste Ansprüche an die Kunst: Moral und Ästhetik gehen bei ihm tendenziell ineinander auf. Lässt sich das heute noch nachvollziehen?

Edl: Solche Autoren gibt es immer noch. Sie richten ihr ganzes Leben auf eine einzige Tätigkeit aus, die des Schreibens. Das findet man früh bei Flaubert. Sein Freund Maxime du Camp schreibt ihm: "Du musst nach Paris kommen und hier leben, wenn aus dir irgendetwas werden soll!" Flauberts Antwort lautete: "Ich habe dort nichts verloren." Er sitze von dann bis dann am Schreibtisch, dann nehme er eine Mahlzeit ein und halte ein Mittagsschläfchen. Dann schreibe er wieder weiter. Die Berühmtheiten seiner Zeit? Will er gar nicht kennenlernen. Flaubert sagt grob: "Deine Leute dort können mir gestohlen bleiben, sie sind mir egal, scheißegal, superscheißegal." Er wird dabei regelrecht ordinär.

STANDARD: Sie haben die "Madame Bovary" neu übersetzt und kommentiert, die "Lehrjahre der Männlichkeit", Flauberts Epochenroman über die Revolution von 1848. Beabsichtigen Sie, sein ganzes Werk exemplarisch zugänglich zu machen?

Edl: Nach den heuer erschienenen Memoiren eines Irren setze ich eine Art Schlusspunkt hinter Flaubert. Salammbo halte ich für fantastisch, doch ich weiß nicht, ob ich Lust verspüre, das zu übersetzen. Von Bouvard und Pecuchet, Flauberts satirischem Schlusswerk, ist gerade bei Wallstein eine große deutsche Ausgabe erschienen. Ich habe zuletzt viele, viele Jahre mit Flaubert verbracht. Wollte ich mich noch einmal daranmachen, würde ich gerne eine große Briefausgabe herausbringen. Konkret habe ich noch ein paar Maupassant-Erzählungen vor mir. Und schließlich möchte ich mich mit Flauberts großer Freundin George Sand befassen.

STANDARD: Legt ein Epochenbild wie Flauberts "Lehrjahre" nicht Vergleiche mit der Gegenwart nahe?

Edl: Der Held Frédéric Moreau lebt in einer schwierigen Zeit, den 1840er-Jahren. Damals vollziehen sich massive Umbrüche, die Industrialisierung nimmt rasant Fahrt auf, der Kapitalismus enthemmt sich. Es ist zugleich die Zeit ungeheurer Bereicherung, von Umwälzungen an den Banken und Börsen: Das alles lässt sich durchaus mit unserer Zeit vergleichen. Es herrscht ein Kontrollverlust. Zugleich wird der Einfluss ökonomischer Faktoren auf die Politik evident. Und das Zeitungswesen floriert. Warum? Um politische Positionen durchzusetzen und die Karriere bestimmter Personen zu befördern. Die Korruption, die wechselseitige Verflechtung von Politik und Wirtschaft, das wird alles anhand der Figuren ausgebreitet. (INTERVIEW: Ronald Pohl, 11.12.2021)