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Weihnachtssterne blühen im Advent, überleben den Jänner aber meist nicht. Sie seien nach der Blüte unansehnlich, sagen Pflanzenexperten.

Foto: Getty Images / Kathrin Ziegler

Wien – In den Blumenläden auf der Wiedner Hauptstraße in Wien-Margareten blühen dieser Tage die Pflanzen fürs Weihnachtsgeschäft. Kleine Tannenbäume stehen wie die Zinnsoldaten neben übrig gebliebenen Adventkränzen und Mistelzweigen hinter der Auslage.

Ein kurzer Blick ins Schaufenster offenbart aber den eigentlichen Star der Adventzeit: den Weihnachtsstern. Mit seinen knallrot blühenden Blättern ist er ab November besonders beliebt.

Zwischen 70 bis 80 Millionen Stück werden laut Johannes Balas vom Institut für Gartenbau an der Universität für Bodenkultur Wien (Boku) jedes Jahr allein für den europäischen Markt produziert.

Umso erstaunlicher ist, wie schnell sie in der Biotonne landen. Bereits acht Wochen nach den Feiertagen ist von den meisten Weihnachtssternen keine Spur mehr. Nach der Blüte seien die in der Fachsprache Poinsettie Genannten eben "unansehnlich", sagt Pflanzenexperte Michael Hollunder.

Als Leiter der Fachgruppe Zimmer- und Kübelpflanzen der Österreichischen Gartenbau-Gesellschaft beschäftigt er sich seit Jahren mit dem Thema. "Ich verstehe nicht, dass Menschen Pflanzen wie Wegwerfprodukte kaufen", sagt er.

Zumal die Pflege von Weihnachtssternen nicht aufwendig sei. Der kurzen Lebensdauer stehen zudem enorme Umweltauswirkungen gegenüber.

Weitgereiste Pflanzen

Die meisten Zimmerpflanzen haben eine lange Reise hinter sich. Werden doch 90 Prozent aller hierzulande verkauften Pflanzen mit dem Lkw aus den Niederlanden angekarrt. Rund die Hälfte davon, schätzt Balas, werden wiederum im EU-Ausland, großteils Südamerika, kultiviert. Genaue Zahlen gebe es keine, dafür Gesundheitspapiere.

Schädlinge sollen damit vermieden und auch der Ressourcenverbrauch gering gehalten werden, da die Temperaturen auf der Südhalbkugel wärmer sind.

Vor dem EU-Beitritt hätten viele kleine Gärtnereien in Österreich Grünpflanzen produziert, erklärt Hollunder. Die Holländer waren aber besser organisiert und haben vor allem im Gebiet rund um Aalsmeer gut zusammengearbeitet.

Die günstigen klimatischen Bedingungen sowie die günstigen Ölpreise in der Region haben "den Züchtern in die Hände gespielt". Der Aufwand hat sich für kleine Betriebe in Österreich rasch nicht mehr bezahlt gemacht. Die Folge: "Von Riga bis Sizilien stehen dieselben Pflanzen in den Wohnzimmern."

Um auf diese langen Wege verzichten und Pflanzen zukünftig wieder hierzulande produzieren zu können, müssen Arten kultiviert werden, die niedrigere Temperaturen benötigen, fordert Balas.

Gesundes Raumklima

Die Menschen, die Zimmerpflanzen kaufen, sind sich dieser Umweltprobleme nur selten bewusst. 28,50 Euro haben die Österreicherinnen und Österreicher für ihre grünen Bewohner im Jahr 2020 laut Regio-Data-Analyse ausgegeben.

Dass dieser Betrag nicht hoch erscheint, mag auch daran liegen, dass die Preise gemessen an der Kaufkraft, laut Balas, so billig sind wie noch nie. "Die Inflation ist an den Pflanzen spurlos vorbeigegangen."

Regio-Data-Chef Wolfgang Richter prognostiziert trotzdem einen leichten Ausgabenanstieg für die kommenden Jahre. Einerseits spiele der Trend zum gesunden Raumklima den Händlern in die Karten. Andererseits feiern Pflanzen als Statussymbol ein Revival.

Wohnpsychologe Harald Deinsberger-Deinsweger sieht den Trend auch der Pandemie geschuldet. Der Mensch habe evolutionär bedingt ohnehin eine Vorliebe für die Natur. Ausgangsbeschränkungen, Homeschooling und Homeoffice dürften das Ihre dazu beigetragen haben, dass Menschen sich vermehrt nach Natur in der Wohnung sehnen.

Steril statt geerdet

"Die Zimmerpflanze wird in der Biedermeierzeit groß", sagt Hollunder; der damalige Boom sei dem heutigen sehr ähnlich. Auch damals haben sich die Menschen zurückgezogen und ein Stück Natur mitgenommen.

Der größte Unterschied zu früher ist freilich die Massenproduktion. "Zimmerpflanzen wachsen keimfrei in Reagenzgläsern heran", sagt Hollunder. Nach dem Topfen stehen sie zu Tausenden in riesigen betonierten Glashäusern auf Aluminiumtischen.

Sie werden mittels Anstaubewässerung gegossen und gedüngt. Pestizide kommen nur im äußersten Notfall zum Einsatz. Das habe allerdings nichts mit Umweltbedenken zu tun, sagt Hollunder. "Pestizide sind teuer und ziehen einen Rattenschwanz an Mehrkosten nach sich."

DER STANDARD

Nach einer Anwendung müssen giftige Wirkstoffe durch Luft und Licht langsam abgebaut werden. Außerdem sterben Schädlinge wie Schmierläuse durch eine Behandlung zwar, das tote Insekt bleibt aber auf den Blättern kleben.

"Das würde kein Mensch kaufen", sagt Hollunder. Stattdessen kommen vermehrt Nützlinge zum Einsatz. Von bestimmten Rosenkulturen etwa fressen bereits Wachtelhennen die Schädlingsinsekten herunter.

Die Umweltprobleme der starken Pflanzennachfrage wurzeln also weniger in Pestiziden noch Dünger, sondern vielmehr im Substrat. Dies besteht meist aus Torf, ist keimfrei und biete laut Hollunder im Glashaus perfekten Nährboden.

Das Problem ist, dass Torf in russischen und weißrussischen Hochmooren abgebaut wird. "Dieser Raubbau zerstört den Lebensraum für etliche Pflanzen und Tiere", sagt Hollunder, und dass in Österreich praktisch jedes Hochmoor unter Naturschutz stehe.

Auch die zweitbilligste Variante – Substrat aus Kokosfaser von den Philippinen – ist nicht weniger umweltschädlich. "Allein der Transport stößt Unmengen an CO₂ aus. Pflanzen aus dem Supermarkt wurzeln so gut wie immer in Torf oder Kokosfasern", so der Pflanzenexperte.

Er empfiehlt, zu Substrat auf Kompostbasis zu greifen und ganz generell Pflanzen zu "tauschen statt zu kaufen".

Neue Businessideen entstehen

Bis sich Tauschbörsen durchgesetzt haben, steigen die Umsätze in traditionellen Gartencentern wie Bellaflora. 86 Millionen Euro hat das Unternehmen mit Sitz in Oberösterreich 2020 mit Topfpflanzen, Schnittblumen, Pflegemitteln und Co umgesetzt.

Gerade das Topfpflanzensegment wächst laut Geschäftsführer Franz Koll "außerordentlich stark". Aus der Nachfrage generieren emsige Pflanzenfreunde aber auch neue Businessideen.

Miri und Christian Cervantes etwa kommen aus der Werbe- und Kreativbranche und haben Anfang 2020 den Konzeptstore Calienna in Wien-Neubau eröffnet. Darin sieht es aus wie auf einem perfekt inszeniertem Instagram-Foto, das unter dem Hashtag UrbanJungle aufpoppt. Neben grünen Pflanzen finden sich im Sortiment auch Blumentöpfe, Kaffee und Bücher.

Aus den Töpfen im Store ragen Blätter, die glänzend, matt, flauschig und stachelig, gepunktet oder gestreift sind. Sie hängen herab oder strecken sich gen Himmel; sind nur teilweise biozertifiziert, aber immer mit einem Pflanzenpass ausgestattet. Letzterer bestätigt die Herkunft.

Plastiktöpfe und Plastikhüllen

"Die Industrie ist nicht perfekt", sagt Miri Cervantes. Das zeige allein der Müll, der beim Transport anfällt. Die Pflanzen kommen nicht selten geerdet in Plastiktöpfen und mit einer Plastikhülle überzogen an.

Wer auf Kunststoff verzichten will, muss als Unternehmerin tiefer in die ökologische Stofftasche greifen. Elisabeth Laiminger und Katharina Steinbauer haben sich laut eigenen Angaben gegen Kunststoffeinsatz entschieden. Ihr Wiener Start-up Plantista bietet Boxen mit Minipflanzen, Töpfen und (torffreier) Erde ab 25,50 Euro an.

Shop gibt es keinen, bestellt wird also online. Die Biopflanzenbabys verschicken sie in Wellpapier und Karton, eingewickelt in Erbsenproteinpuffer. Vermarktet wird hauptsächlich über Instagram. Nach Weihnachtssternen sucht man dort allerdings vergeblich. (Julia Beirer, 11.12.2021)