Werner Kogler ist sichtlich froh über sein neues Visavis an der Regierungsspitze. Karl Nehammer zeige mehr Dialogbereitschaft als Sebastian Kurz.

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Der Vizekanzler gibt sich derzeit so gelassen wie seit Monaten nicht. Werner Kogler, der sonst einen Espresso nach dem anderen kippt, sitzt nun gut gelaunt bei einer kleinen Tasse Kaffee – und einem grünen Tee. Liegt es an der neuen Regierungskonstellation? Der Vizekanzler kann überraschend gut mit dem einstigen Hardliner-Innenminister und neuen Kanzler. Er nippt und lehnt sich zurück.

STANDARD: Karl Nehammer ist neuerdings konziliant. Hat sich sein Auftreten auch Ihnen gegenüber verändert?

Werner Kogler: Wir haben schon seit einigen Monaten eine verbesserte, gute Gesprächsbasis. Davor gab es – zugegeben – einige Konflikte, die wir auch öffentlich ausgetragen haben. Karl Nehammer will dialogorientierter und faktenbasierter agieren als seine Vorgänger. Da ist ein Umdenken im Gange, das ich bemerke.

STANDARD: Wie äußert sich das?

Kogler: Man hört da neue Töne. Man merkt, der neue Kanzler will auf die Bevölkerung, aber auch einzelne Gruppen wie die Sozialpartner oder Wissenschafterinnen und Wissenschafter unvoreingenommener zugehen. Er sucht den Dialog. Das freut mich, weil wir als Grüne mit diesem Bemühen lange Zeit ein bisschen allein waren. Im Nachhinein hat sich auch durch die Chats herausgestellt, dass die damals sogenannte "neue ÖVP" auf ein enges Zentrum fokussiert war. Unter Sebastian Kurz gab es nur bestimmte Phasen, wo andere offen eingebunden wurden: immer dann, wenn es eng wurde.

STANDARD: Die Konflikte rund um Abschiebungen stehen Ihrem heute fast freundschaftlichen Verhältnis zu Nehammer also nicht im Weg?

Kogler: Freundschaft ist ja sowieso etwas anderes. Wir haben einen Arbeitsauftrag. Wichtig ist mir eine offene, ehrliche Arbeitsbasis. Es ging um einzelne Abschiebungen, gegen die wir uns klar gestellt haben. Aber die Gespräche haben ja schon auch Ergebnisse gebracht. Die Bilanz ist, dass es seit der Regierungsbeteiligung der Grünen mehr positive Bleiberechtsfälle gab als durch die Regierungen davor.

STANDARD: Aktuell haben sich 15 EU-Staaten darauf geeinigt, insgesamt 40.000 Afghaninnen und Afghanen aufzunehmen (siehe Bericht). Dabei sind unter anderem Deutschland, Frankreich, Spanien. Österreich aber nicht. Bleibt es dabei?

Kogler: Aus meiner Sicht sollten wir vor allem Frauen – und da insbesondere Richterinnen, Professorinnen und Lehrerinnen – aufnehmen.

STANDARD: Wie viele Menschen konkret?

Kogler: Wir sollten uns im durchschnittlichen Kontingent der 15 EU-Länder beteiligen. Das ist der grüne Zugang. Es gibt unsere Bemühungen, aber noch lange keine Übereinstimmung mit dem Koalitionspartner.

"Innenminister Gerhard Karner bekommt keinen Misstrauensvorschuss, aber auch keinen großen Vertrauensvorschuss von mir."
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STANDARD: Da haben sich die Grünen schon kampfeslustiger gezeigt bei diesem Thema.

Kogler: Immer einmal wieder gelingt etwas, aber nicht immer gelingt alles. Es geht um Schritte, nicht um Kampfeslust.

STANDARD: Der neue Innenminister Gerhard Karner steht seit Bekanntgabe seiner Personalie in Kritik. Einerseits wegen des Dollfuß-Museums in jenem Ort, dem er als Bürgermeister vorstand. Aber auch aufgrund seiner Verstrickung in die Umfärbeaktionen von Ex-Innenminister Ernst Strasser. Geht Karner mit einem Misstrauensvorschuss von Ihnen ins Amt?

Kogler: Das Innenministerium ist eine heikle Zone, auf die wir als Grüne sehr genau schauen. Auch jetzt. Er bekommt keinen Misstrauensvorschuss, aber auch keinen großen Vertrauensvorschuss von mir. Man wird ihn an seiner Amtsführung messen. Er hat genug zu tun, es braucht mehr Effizienz im Innenministerium, die Reformen müssen vorangetrieben werden. Auch da gab es immer wieder ein innerkoalitionäres Gerangel darum. Dass für das Amt des Innenministers offenbar immer ein Vertreter der niederösterreichischen ÖVP vorgeschlagen werden muss, ist ja für alle erkennbar.

STANDARD: Was wäre die Alternative zu dieser parteipolitischen Praxis? Ein Minister-Hearing im Parlament?

Kogler: Gerade gibt es so viele Probleme zu lösen, dass eine schnelle Nachbesetzung notwendig war. Laut Verfassung schlägt der Bundeskanzler die Minister vor. In Zukunft kann man aber bestimmt über Prozesse nachdenken. Da kann ich der Idee von Minister-Hearings im Parlament etwas abgewinnen. Es wäre aber doch ein beträchtlicher Umbau unseres Systems.

STANDARD: Halten Sie die Corona-Regeln, die jetzt bis Weihnachten gelten, eigentlich für einprägsam und nachvollziehbar?

Kogler: Die Bundesregelung als Basis für sich genommen schon. Im Detail ist das immer schwierig und kompliziert, weil man versucht, regionale Eigenheiten abzubilden.

STANDARD: Können Sie beantworten, in welchen Bundesländern man am 17. Dezember mit der Familie essen gehen darf?

Kogler redet lange um den heißen Brei, natürlich weiß er es nicht genau. Fakt ist: Die Regeln sind unübersichtlich.

STANDARD: Welche Logik hat es, dass Vorarlberg, das Land mit der mit Abstand höchsten Sieben-Tage-Inzidenz, nun als Erster alles öffnet?

"Ich erwarte, dass regional entschlossen nachgeschärft wird, wenn es notwendig ist."
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Kogler: Aber unter strengen Voraussetzungen! Und ich erwarte auch, dass regional entschlossen nachgeschärft wird, wenn es notwendig ist. Vorarlberg und Tirol argumentieren: Die sind ein Wirtschafts- und Sozialraum mit Bayern, Baden-Württemberg, der Schweiz und Südtirol – und jetzt sperren sie unter noch immer strengeren Voraussetzungen auf als ihre Nachbarländer.

STANDARD: Dieser Logik folgend müsste auch im Burgenland dasselbe gelten wie in Wien.

Kogler: Ja, das habe ich mir auch gedacht. Es gibt drei rote Bundesländer, in denen überall unterschiedliche Regeln gelten. Ich gebe die Frage weiter.

STANDARD: Die aktuelle Verordnung läuft am 21. Dezember aus. Können Sie garantieren, dass alle Menschen in Österreich ein ganz normales Weihnachten mit der Familie feiern können?

Kogler: Ich denke schon, dass da Regelungen gefunden werden, die auch einen Sitz im Leben haben. Das wurde auch voriges Jahr so versucht – und da hat es noch keine Impfung gegeben.

STANDARD: Unter den Impfskeptikern finden sich ja nicht nur Rechte, sondern auch esoterisch-naturnah Gesinnte – eher Ihr Milieu. Was machen die Grünen eigentlich konkret, um diese Menschen zu überzeugen?

Kogler: Ob ich jetzt wirklich so esoterisch gesinnt bin, müsste man streng überprüfen (lacht). Der Einfluss der FPÖ ist sicher stärker als in vergleichbaren Ländern. Wo die besonders stark sind, sind auch die Probleme auf den Intensivstationen dramatisch. Das kann man mit dem Lineal nachmessen. Ich glaube, dass die Überzeugungsarbeit dorthin gehen soll, dass die Impfung nicht mehr, aber auch nicht weniger als das Beste ist, was wir haben.

STANDARD: Waren die Querelen innerhalb der ÖVP ein Grund dafür, dass die vierte Welle dermaßen außer Kontrolle geraten ist?

Kogler: Das kann ich Ihnen nicht sagen. Aber es gab Dinge, an denen man etwas festmachen kann: erstens der Stufenplan ...

STANDARD: ... Der wurde letztlich komplett über den Haufen geworfen.

Kogler: Ja Moment, aber warum? Weil er immer erst nach Überschreiten einer bestimmten Schwelle der Intensivbettenbelegung schlagend wurde – und nicht wie von uns Grünen vorgeschlagen, prognosebasiert. Da haben wir uns nicht durchgesetzt. Auch bei der Maskenpflicht für gewisse Indoorsettings haben wir uns nicht durchgesetzt, weil damals noch die ÖVP-Doktrin gegolten hat: Es ist für Geimpfte vorbei. Das war ausschlaggebender als die Querelen der ÖVP.

STANDARD: Dann hätten Sie doch an die Öffentlichkeit gehen müssen und warnen: Wir steuern da auf etwas zu, die ÖVP will nichts tun.

Kogler: Es ist natürlich besser, man einigt sich und kommuniziert dann auf dieser Basis gemeinsam. Das ist ja dann auch geschehen.

STANDARD: Im November. Extrem spät. Nach tagelangem Chaos.

Kogler: Es gab sicher Verzögerungen, gemessen an dem, was im Vorhinein jedenfalls von den Grünen für sinnvoll erachtet wurde. Im Nachhinein sind sowieso immer alle g’scheiter. Aber ja, diese Verzögerungen und Versäumnisse gestehe ich ein.

STANDARD: Mit der Informationsfreiheit, den gläsernen Parteikassen und neuen Korruptionsbestimmungen befinden sich seit vielen Monaten drei grüne Leuchtturmprojekte in einer Art Wachkoma – wie lange lassen sich die Grünen da noch hinhalten?

Kogler: Das momentan Aktuellste und Wichtigste scheint mir, bei der Transparenz der Parteienfinanzierung weiterzukommen. Was ich höre, ist das eigentlich in den Kernfragen fertig. Die Antikorruptionsgesetze hat das Justizministerium jetzt in die Regierungskoordinierung eingebracht. Da bin ich auch zuversichtlich, dass wir weiterkommen. Beim Informationsfreiheitsgesetz kommen ganz deutliche Widerstände von den Bundesländern und Kommunen. Die sehen sich überfordert. Das wird man betrachten, allenfalls neu bewerten müssen. So sind die drei Dinge aufgeteilt und damit sind auch Wahrscheinlichkeiten verbunden, wann sie eintreten.

STANDARD: Wenn wir jetzt unsere eigene Wahrscheinlichkeitsrechnung anstellen und berücksichtigen, dass die schwarzen Landeshauptleute wieder mehr mitregieren, kommen wir zum Schluss: Das Informationsfreiheitsgesetz ist tot.

Kogler: Das würde ich nicht sagen, weil die Frage ja ist: Was sind berechtigte Argumente und welche nicht? Notfalls gibt es halt eine öffentliche Auseinandersetzung. Es kann ja da oder dort einen tatsächlichen Adjustierungsbedarf geben.

STANDARD: Welchen Tipp geben Sie denn den deutschen Grünen fürs Regieren mit?

Kogler: Ich weiß ja von Robert Habeck und Annalena Baerbock, dass die Lust aufs Gestalten schon sehr groß ist. Und mein Tipp ist: sich diesen Antrieb nicht nehmen zu lassen.

STANDARD: Weil Regieren so ernüchternd ist?

Kogler: Nein, sondern weil man ständig mit mühsamen Situationen konfrontiert ist. Aber man geht ja auch nicht in die Politik, um es sich einfach zu machen. (Sebastian Fellner, Katharina Mittelstaedt, 11.12.2021)