Herbert Kickl, Parteichef der FPÖ, auf Wählerstimmenfang. Außerdem ruft er Neuwahlen aus.

Foto: Christian Fischer

Herbert Kickl ist glücklich. Wenn der FPÖ-Chef vor dem Lastwagen seiner Partei steht, ihn die Leute zu sich winken, Selfies machen und der Truck deswegen anhalten muss, dann genießt er das. Er grinst breit und das sieht man deshalb so gut, weil er seine Maske auf seiner mehrstündigen Tour nur selten trägt. Manchmal lässt er sich auch hinter den Lastwagen fallen. Die Kamera, die über fünf Stunden das Geschehen live auf seiner Facebook-Seite überträgt, hält dann voll drauf, wenn er plaudert und nickt, zuhört und auf Schultern klopft. Kickl ist im Wahlkampf. Für eine Wahl, deren Termin zwar noch nicht feststeht, die er aber lautstark fordert.

Doch: Kickl ist nicht auf einer Wahlkampftour, sondern auf einer Demonstration gegen Corona-Maßnahmen. Jener Art von Demonstrationen, in denen der Verfassungsschutz "staatsgefährdendes Potential" und Ex-Innenminister und Neokanzler Karl Nehammer (ÖVP) "demokratiefeindliches Verhalten" sehen. Bei denen regelmäßig tausendfach gegen Corona-Maßnahmen verstoßen wird, wiederholt antisemitische Plakate in die Höhe gehalten und Hitlergrüße gezeigt werden.

44.000 Teilnehmer, mehrere Festnahmen

Auch an diesem Samstag nahmen auch Rechtsextreme an der Demo teil. Es kam – das ist mittlerweile fast Routine – zu einzelnen Scharmützeln mit der Polizei und Angriffen auf Medienvertreter. Am Tag nach der Demo zogen Innenminister Gerhard Karner, der stellvertretende Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit Reinhard Schnakl und der Wiener Polizeipräsident Gerhard Pürstl dennoch eine positive Bilanz. Laut Pürstl gab es unter den 44.000 Teilnehmenden sieben Anzeigen nach dem Strafgesetzbuch, eine nach dem Verbotsgesetz, drei nach der Strafprozessordnung. Und: 734 Anzeigen wegen Verstößen gegen die Covid-Maßnahmen. Außerdem wurden neun Personen festgenommen, vier davon aber nur wegen einer Identitätsfeststellung.

Man habe mit Schlimmeren gerechnet, sagt Pürstl, Attacken auf Polizeibeamte seien dieses Mal ausgeblieben. Auch Neo-Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) sagt, man werde das "bewährte Konzept" seines Vorgängers, Karl Nehammer (ÖVP) bei den Demos fortsetzen: Dialog, Deeskalation, Durchgreifen.

Für FPÖ-Abgeordneten Michael Schnedlitz wuchs am Samstag "zusammen, was zusammen gehört".
Foto: Christian Fischer

Schulterschluss vollzogen

Nur wenige Stunden bevor Kickl in der Menge badet, vollzieht die FPÖ tags zuvor auf der Bühne den offiziellen Schulterschluss mit den Gruppen aus der Querdenker-Szene, die in den letzten Monaten neben der FPÖ als Veranstalter der Demos und Kundgebungen auftraten. Bereits vergangene Woche sprachen die Nationalratsabgeordneten Dagmar Belakowitsch und Susanne Fürst bei der Kundgebung einschlägiger Gruppen. Am Samstag ziert nun die Bühne am Heldenplatz sowohl ein Banner der Querdenker-Gruppe "Fairdenken" als auch ein Transparent der FPÖ.

Berührungsängste sind keine vorhanden. Rädelsführer Martin Rutter steht bei seiner Rede vor einem Pult mit FPÖ-Logo, als er zu den Demonstranten am Heldenplatz spricht. Er ist als Vorletzter an der Reihe und darf somit den Einpeitscher vor Parteichef Herbert Kickl geben. "Wir müssen dem Parteisystem ein Stück der Macht abschneiden und durch Volksabstimmungen zurückgeben", sagt er. Die Menge quittiert das mit Applaus. Das sei allerdings seine "persönliche Meinung", fügt er an.

"Es wächst zusammen, was zusammen gehört", sagt FPÖ-Generalsekretär Michael Schnedlitz, er steht neben Rutter auf der Bühne. Rutter, dessen politische Vergangenheit unter anderem beim Team Stronach und dem BZÖ liegt, ist eine zentrale Figur in der Querdenkerszene. Zuletzt rief er etwa gegen Demonstrationen vor Redaktionshäusern – auch jenes des STANDARD – auf. Nun hat ihn die FPÖ offenbar als politisches Nachwuchstalent entdeckt. Laut "Krone" steht er unter ständiger Beobachtung des Verfassungsschutzes.

Als Kickl die Bühne betritt, gibt er sich zuerst demütig. Fast hätte es ihm die Sprache verschlagen, bei so vielen Menschen, sagt er, und: "Hier sind lauter Menschen, die an das Gute glauben". Er stehe hier als Familienvater, als Staatsbürger und als "Souverän". Die Regierung aber, die wolle ein Apartheidssystem erreichten, außerdem ein "medizinisches Kastensystem". Und er sagt in Richtung Tourismusministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP), die kurz zuvor im Ö1-Interview davon sprach, dass Kickl angesichts seiner Corona-Politik "Blut an den Händen" habe: "Wer mir ausrichtet, dass ich Blut an den Händen habe, dem richt' ich aus, dass er Mist im Kopf hat."

Eisbrocken auf Journalisten

Als sich schließlich der Marsch formiert, überlässt die Parteispitze die Führung relativ schnell Anderen. Zuerst ist der Ring Freiheitlicher Jugend in den ersten Reihen präsent, wenige Meter daneben ist auch Identitären-Chef Martin Sellner zu sehen. Dieses Mal haben die Identitären allerdings kein Transparent mitgebracht.

Nach und nach fällt der Hauptzug der Demo immer weiter zurück. Vorne geben Gruppen von Vermummten und Hooligans den Ton an. Sie provozieren die Polizei, es wird Pyrotechnik gezündet. Die Stimmung schaukelt sich immer weiter auf. Journalisten werden mit Eisbrocken und Schneebällen beworfen und mehrmals bedroht. Eine lange Zeit über skandiert die Demospitze "Widerstand" und "Antifa Hurensöhne". Vereinzelt kommt es zu Festnahmen, auf die die Demonstranten mit zusätzlichen Provokationen reagieren. Insgesamt ist – zumindest dort vorne – die Exekutive präsenter als bei den vergangenen Demonstrationen, der Zug wird mehrmals angehalten und erst weitergelassen, nachdem einzelne Demonstranten aus der Menge gefischt wurden.

Später landet in sozialen Medien ein Video, in dem eine Puls24-Reporterin umkreist und angepölbelt wird. Wie viele Medienleute mittlerweile hat sie Sicherheitskräfte zu ihrem Einsatz bei der Demo mitgebracht.

Sie richtete sich in erster Linie gegen die Impfpflicht, die Coronamaßnahmen und die Regierung.
Foto: Christian Fischer

Nach etwa zwei Stunden hat die Demospitze den Ring umrundet. Während der Rest nach und nach beim Heldenplatz eintrifft, sammeln sich mehrere Personen rund um ein "Fairdenken"-Banner – jener Gruppe, die sich kurz zuvor noch offiziell die Bühne mit der FPÖ geteilt hat. Sie recken die Fäuste in die Höhe, rufen "Widerstand" und stürmen auf eine Polizeikette zu, die sie durchbrechen wollen, scheitern aber. Die Polizei holt relativ schnell Verstärkung, im Hintergrund ist kurz die Hundestaffel zu sehen.

Zuletzt gab es unter den Demo-Organisatoren eine Debatte um rechtsextreme Gewalt.
Foto: Christian Fischer

Kickl in seinem Element

Ein paar Hundert Meter weiter hinten bekommt Herbert Kickl davon freilich offiziell nichts mit. Er ist umgeben von Anhängern und Parteikollegen, ein FPÖ-Parteimitglied nach dem nächsten klettert auf den Truck und hält Reden. Da ist zum Beispiel Christian Hafenecker, der für die FPÖ den Ibiza-U-Ausschuss geleitet hat. "Kogler" und "Maurer", sagt er über den grünen Vizekanzler und die grüne Klubobfrau, das würde zusammengezogen "Koma" ergeben. Das wiederholt er mehrmals, die Menge lacht. Edith Mühlberghuber, Familiensprecherin der FPÖ, wiederum sagt, man habe den Kindern das Laternenfest genommen.

Auch Dagmar Belakowitsch hält eine Rede. Erst kürzlich landete ihre haltlose Aussage, Österreichs Intensivstationen seien nicht mit Corona-Patienten, sondern mit Impfschadensopfern gefüllt, in fast allen Medien, Vertreter anderer Parlamentsparteien nannten sie eine Lügnerin. Hunderte Mails habe sie daraufhin erhalten, erzählt sie heute, sie werde sie noch alle beantworten, verspricht sie. "Ich lasse mich nicht kleinmachen", sagt sie und schreit: "Gemeinsam sind wir stark".

Die Corona-Querfront ist eine Organisation rundum den Neonazi Gottfried Küssel, deren Fahne wehte stets neben dem FPÖ-Truck.
Foto: Der Standard

Während sie die Solidarität mit den Anwesenden ausruft, wird nur zwei, drei Meter von ihr entfernt eine Fahne der Corona-Querfront geschwenkt, jene Organisation rund um den verurteilten Neonazi Gottfried Küssel. Auf gelbem Grund sind Logo und Name in schwarz deutlich erkennbar, nachdem der Truck keine Seitenwände hat, auch vom Inneren des Laderaums heraus. Mehrere Stunden lang, vom Heldenplatz, den Ring entlang runter bis zum Donaukanal und zurück zum Heldenplatz, weicht jene Frau, die die Fahne schwenkt, keine paar Meter vom Lastwagen der FPÖ ab.

Impf- und Ringstraße

Doch trotz der Bilder, die FPÖ-TV produziert, bittet Innenminister Karner am Sonntag, den Blick für das Verhältnis zu wahren. "In der Impfstraße waren gestern doppelt so viele Menschen, wie auf der Ringstraße demonstrierten", sagt er. Und er ruft die Demonstranten dazu auf, sich nicht von Rechtsradikalen instrumentalisieren zu lassen: "Lassen Sie sich nicht von Hetzern, Zündlern oder Narren missbrauchen", sagt Karner, "denen sind die Sorgen und Ängste von Ihnen völlig egal, die haben ihr eigenes Geschäft".

All das gilt freilich nicht nur für Wien. Seit geraumer Zeit finden in allen Ecken Österreichs Kundgebungen und Demonstrationen statt. Allein am Sonntag, so berichtet der stellvertretende Generaldirektor für öffentliche Sicherheit seien 34 Versammlungen angezeigt, 33 davon mit "Covid-Bezug". Sie finden etwa in Graz, Bregenz, St. Pölten und Linz statt, insgesamt erwartet die Polizei bis zu 30.000 Teilnehmende. In der Vergangenheit wurde bei Corona-Demonstrationen auch schon vor Krankenhäusern protestiert, vereinzelt berichtet Spitalspersonal von Beschimpfungen. Außerdem wird zu Demonstrationen vor den Landesregierungen und vor Medienhäusern aufgerufen. (Vanessa Gaigg, Gabriele Scherndl, 11.12.2021)