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Tausende Menschen stehen vor den Trümmern ihrer Existenz.

Foto: AP / Christian Gooden

Der Bildschirm bleibt schwarz, aber die Stimme von Kyana Parsons-Perez ist deutlich zu hören. Die 40-Jährige ruft um Hilfe. Sie liegt unter den Trümmern der Mayfield-Consumer-Products-Kerzenfabrik in Kentucky. Eine Wand drückt auf ihre Beine, die sie nicht mehr spürt. Zwischen ihren Hilfsappellen versucht Parsons-Perez eine Kollegin zu beruhigen, die panische Angst hat und weint.

Ein starker Tornado hatte am Freitag die Fabrik dem Erdboden gleichgemacht. Das Gebäude aus Metall wie ein Kartenhaus zusammenfallen lassen und die Autos auf dem Parkplatz daraufgeschleudert. Etwa 110 Menschen arbeiteten in der Nachtschicht, um dem vorweihnachtlichen Bedarf an Kerzen nachzukommen. Über das Wochenende wurden nur etwa 40 Menschen aus den Trümmern gerettet. Parsons-Perez ist eine von ihnen.

In einem Interview mit der NBC-Show Today sprach die Überlebende unter anderem darüber, dass mehrere Insassen des Groves-County-Gefängnisses ein Teil der Nachtschicht waren. Doch anstatt zu fliehen, hätten sie bei der Rettung der Eingeklemmten geholfen. Die Gefängnisverwaltung bestätigte daraufhin, dass alle Häftlinge überlebt haben, der Aufseher aber unter den Todesopfern ist. Ein Insasse sei nach einem Spitalsaufenthalt abgängig.

Spur der Verwüstung

Der US-Bundesstaat Kentucky wurde am schwersten durch den Tornadoausbruch in den Vereinigten Staaten getroffen. Gouverneur Andy Beshear befürchtet etwa 100 Tote in seinem Staat, rund 80 sind bereits bestätigt. Fachleute rechnen, dass Einsatzkräfte in den kommenden Tagen aber noch mehr Leichen aus den Trümmern bergen werden.

Insgesamt 36 Tornados zogen durch sechs US-Bundesstaaten und hinterließen eine Spur der Verwüstung. Der heftigste Sturm soll über eine Strecke von mehr als 300 Kilometern gefegt sein. Damit könnte es sich um den längsten andauernden Sturm in der US-Geschichte gehandelt haben.

US-Präsident Joe Biden meldete sich bei einer Ansprache zu Wort und bezeichnete den Tornado-Ausbruch als den wahrscheinlich größten in der Geschichte der USA. Biden sicherte den betroffenen Bundesstaaten – allen voran Kentucky – die Hilfe aus Washington, D.C. zu.

Einen Besuch des Katastrophengebiets plant der Präsident erst dann, wenn er den Einsatzkräften vor Ort nicht mehr im Weg herumsteht, sagte Biden. Der Präsident unterstützt die Entscheidung von Gouverneur Beshear, der den Notstand ausgerufen hat und damit unter anderem ermöglicht, dass Soldatinnen und Soldaten der Nationalgarde in den Katastropheneinsatz gestellt werden.

Das unglaubliche Ausmaß der Zerstörung wird aus der Luft sichtbar.
Foto: EPA / TANNEN MAURY

Schulen geschlossen

In Teilen Kentuckys bleiben am heutigen Montag und mindestens noch am Dienstag die Schulen geschlossen. Zum einen, weil die Gebäude schwer beschädigt wurden, zum anderen, weil obdachlos gewordene Menschen in den Schulen Unterschlupf gefunden haben.

Die Tornados waren Teil eines Wettersystems, das auch für starken Schneefall im nördlichen Mittleren Westen und rund um die Großen Seen gesorgt hat, sagte der Einsatzleiter des Storm Prediction Center, Bill Bunting, zu Medien. Hunderttausende Menschen waren von Stromausfällen betroffen.

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind sich noch unsicher, ob es einen Zusammenhang zwischen dem Klimawandel und dem vermehrten Auftreten oder der Stärke von Tornados gibt. Das liegt vor allem daran, dass es schlichtweg noch zu wenig Datenmaterial zu dem Thema gibt.

Fest steht, dass es in den vergangenen Jahren zu einem vermehrten Auftreten von Tornado-Clustern – wie am Wochenende der Fall – gekommen ist. Und obwohl die Zahl der Tornados gleichgeblieben ist, formieren sich mehr davon im Südosten, Mittleren Westen oder Nordosten der USA. Das bedeutet, dass das sogenannte Tornado-Tal, das bisher in den Great Plains östlich der Rocky Mountains liegt, weiter nach Osten wandert.

Telegramm aus Moskau

Indes drückte auch Russlands Präsident Wladimir Putin seine Anteilnahme aus. "Seien Sie meines aufrichtigen Mitgefühls im Zusammenhang mit den tragischen Folgen des Tornados versichert, der Kentucky und eine Reihe weiterer US-Staaten verwüstet hat", hieß in einem am Sonntag vom Kreml veröffentlichten Telegramm an Biden. " Vor dem Hintergrund der angespannten Beziehungen zwischen den USA und Russland auf politischer Ebene gilt die Geste Putins als bemerkenswert. Moskau bemüht sich um ein besseres Verhältnis zu Washington. Die Staatschefs hatten am Dienstag einen zweistündigen Videogipfel abgehalten. (Bianca Blei, APA, 12.12.2021)