Wissenschafter gehen davon aus, dass unsere Galaxie Millionen von Exoplaneten beherbergt. Um sie aufzufinden, kann Künstliche Intelligenz sehr hilfreich sein.
Illustr.: NASA/JPL-Caltech

Zweimal so groß wie Jupiter, die eine Hälfte unter ständigem Strahlungsbombardement, rotiert HD209458b – oder informell aber kürzer: Osiris –in rasendem Tempo um sein nahes rot glühendes Muttergestirn. Auf der sternabgewandten Seite verabschiedet sich ein Teil seiner Atmosphäre wie ein Kometenschweif in den interplanetaren Weltraum, fortgeblasen vom Sternenwind und gelegentlichen stellaren Eruptionen. Die Jahre vergehen auf Osiris wie im Flug: Gerade einmal dreieinhalb Tage benötigt der Gasriese für eine ganze Runde um seinen Stern.

In der Exoplaneten-Forschung zählt die höllische 160 Lichtjahre entfernte Welt zur Klasse der Heißen Jupiter. Derartige Gasplaneten umkreisen ihre Zentralgestirne in einem Bruchteil des Abstands zwischen Merkur und Sonne (58 Millionen Kilometer); bei Osiris sind es sieben Millionen Kilometer. Aber es geht noch näher – und wärmer: Bei einigen sehr "Heißen Jupitern" ist der Bahnradius nur wenig größer als der Sterndurchmesser. Tageshöchstwerte auf der Tagseite: über 2.000 Kelvin. Solche Welten erfreuen sich erwartungsgemäß einer kürzeren Lebensspanne.

Mit dem Weltraumteleskop Kepler konnten Wissenschafter bisher über 2.000 Exoplaneten identifizieren. Künstliche Intelligenzen helfen nun dabei, dass es noch mehr werden.
Foto: NASA/Ames Research Center/W. Stenzel/D. Rutter

Verräterische Verdunkelungen

Nach allem, was man bisher zu wissen glaubt, zählen Heiße Jupiter nicht unbedingt zur häufigsten Exoplanetensorte, um Rote Zwergsterne sind sie gar eine Rarität. Und doch ist ihr Anteil unter den bisher entdeckten Exoplaneten unverhältnismäßig hoch. Das hat vor allem damit zu tun, wie Astronomen nach Exoplaneten fahnden. Der Großteil von ihnen geht den Forschern mithilfe zweier Werkzeuge ins Netz: Bei der Transitmethode misst man die minimale Bedeckung, wenn ein Exoplanet über die Scheibe seines Heimatsterns hinwegzieht. Treten die winzigen Helligkeitsunterschiede in regelmäßigen Abständen auf, sind sie ein deutlicher Hinweis auf ein größeres Objekt im Orbit des Sterns. Geeignet ist diese Nachweismethode aber nur für einen Bruchteil der Sterne, immerhin muss man quasi von der Seite auf ein System blicken, um einen Transit beobachten zu können.

Das zweite besonders leistungsfähige Verfahren der Planetenjäger erweitert den Beobachtungshorizont in dieser Hinsicht deutlich. Die sogenannte Radialgeschwindigkeitsmethode basiert auf der Tatsache, dass Exoplaneten mit ihrer Gravitationskraft ständig an Zentralgestirnen rütteln. Dieses Schwingen um den gemeinsamen Schwerpunkt schlägt sich bei der Spektralanalyse der betreffenden Sterne in periodischen Blau- und Rotverschiebungen nieder.

Video: Zusammenfassung der ersten rund 4.000 Exoplaneten-Entdeckungen
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Diese Verfahren haben eines gemeinsam: Große oder massereiche Exoplaneten, die ihre Sterne in einem geringen Abstand umkreisen, lassen sich damit leichter identifizieren als kleine felsige Welten. Die ersten etwa 200 Exoplaneten, die man zwischen 1992 und 2005 zweifelsfrei nachgewiesen hat, kamen daher allesamt aus dieser Kategorie. In den folgenden Jahren wurden schließlich auch einzelne Planeten aufgespürt, bei denen es sich nicht um Gasriesen handelte.

Kepler fand über 2.000 neue Welten

Bis zum Start der Kepler-Mission im Jahr 2009 kamen so immerhin knapp 500 Exoplaneten zusammen. Danach explodierte die Anzahl der potenziellen und tatsächlich nachgewiesenen Exoplaneten regelrecht. Das Weltraumteleskop der Nasa hatte in einer Himmelsregion im Sternbild Schwan über 100.000 Sternsysteme im Visier und lieferte Helligkeitsmessungen, die bis zum Ende der Primärmission 2013 zur Entdeckung von mehr als 2000 neuen Exoplaneten führten.

Inzwischen stehen wir bei fast 4900 verifizierten Exoplaneten in 3600 Sternsystemen, einer rätselhafter als der andere . Doch trotz der modernen technischen Möglichkeiten – von den kommenden terrestrischen (Extremely Large Telescope) und im Weltraum stationierten Teleskopen (James Webb Telescope) ganz zu schweigen – ist die Planetensuche ein hartes Brot. Im Grunde münden der immer schärfere Blick ins All in ein Dilemma: Wer soll diese rasch wachsenden Mengen von Beobachtungsdaten analysieren?

Grafik: Bestätigte Exoplaneten nach Jahren und Entdeckungsmethode. Blau: Direkte Beobachtung. Orange: Mikrolinseneffekt. Grün: Transitmethode. Rot: Radialgeschwindigkeitsmethode. Lila: Transit-timing Variation-Methode
Grafik: Betseg

301 auf einen Streich

Eine durchaus überzeugende Antwort darauf lieferte kürzlich der Exominer, eine künstliche Intelligenz, die speziell darauf trainiert ist, potenzielle Exoplaneten-Beobachtungen zu verifizieren oder auszuschließen. Das neuronale Netz, das auf dem Supercomputer Pleiades der Nasa läuft, durchforstete mit Methoden des maschinellen Lernens Transitdaten von Keplers Primär- und anschließender K2-Mission und identifizierte dabei auf einen Schlag 301 neue Exoplaneten.

KI zum Durchforsten von astronomischen Daten einzuspannen ist keineswegs neu, doch so gut wie Exominer hat sich noch kaum eine geschlagen, berichtete ein Team um Hamed Valizadegan Ende November im "Astrophysical Journal". Besonders falsch-positive Signale könne die KI zielsicher aussortieren, heißt es. "Wenn Exominer sagt, etwas ist ein Planet, kann man sicher sein, dass er recht hat", meinte der Projektleiter am Ames Research Center im kalifornischen Silicon Valley.

Ihr Vertrauen in die Resultate speist sich vor allem aus dem Umstand, dass Exominer im Unterschied zu anderen Algorithmen zur Erkennung von Exoplaneten sozusagen keine Blackbox ist. Die Forscher können jede der statistischen Entscheidungen, die zur Verifizierung eines potenziellen Transitsignals geführt haben, nachvollziehen. "Exominer ist äußerst präzise und in vieler Hinsicht zuverlässiger als bisherige maschinelle Systeme und menschliche Experten gleichermaßen", sagte Valizadegan.

Grafik: Exoplaneten, nach Radius und Umlaufzeit dargestellt. Von Exominer identifizierte Planeten sind hier lila.
Grafik: Valizadegan et al.

Viel Arbeit für Exominer

Unter den 301 Neulingen, um die Exominer den bisherigen Planetenkatalog bereichert hat, vermuten die Wissenschafter allerdings eher keine erdähnlichen Welten oder gar solche, die in der wohltemperierten, potenziell lebensfreundlichen Zone um ihre Sterne kreisen. "Trotzdem werden uns diese Entdeckungen dabei helfen, die Planeten und Sterne jenseits unseres eigenen Sonnensystems besser zu verstehen", erklärte Jon Jenkins, Co-Autor der Studie.

Abgesehen davon wird Exominer in den kommenden Jahren noch genug Gelegenheit dazu haben, auch kleinere Planeten aufzuspüren: Als Nächstes knöpfen sich die Forscher mit der KI an ihrer Seite die Beobachtungsdaten der Weltraumteleskope Tess (Transiting Exoplanet Survey Satellite, Nasa) und Plato (Planetary Transits and Oscillations of Stars, Esa) vor. "Den an Kepler-Daten hochtrainierten Exominer können wir künftig mit ein wenig Feinabstimmung auch gut bei anderen Missionen einsetzen", sagte Valizadegan.

Die Chancen stehen gut, dass dabei nicht nur Heiße Jupiter, sondern auch einige erdähnliche Welten zum Vorschein kommen – schließlich dürfte es deutlich mehr von dieser Sorte geben, als ihr Anteil unter den fast 5000 bekannten Exoplaneten vermuten lässt. Auf Grundlage der bisherigen Kepler-Beobachtungen kamen die Astronomen vom Ames Research Center im Vorjahr auf eine beeindruckende Schätzung: Allein in der Milchstraße könnte es über 300 Millionen erdähnliche Planeten geben. (Thomas Bergmayr, 26.12.2021)