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Die große Mehrheit stimmte für einen Verbleib bei Frankreich. Allerdings lag die Wahlbeteiligung bei nur knapp 44 Prozent.

Foto: AP/Clotilde Richalet

Das Ergebnis war eindeutig – weil die eine Seite gar nicht an der Abstimmung teilnahm. 96 Prozent stimmten am Wochenende mit Nein zur Frage, ob Neukaledonien seine volle Souveränität erhalten und unabhängig werden solle. Damit bleibt die Insel beim Mutterland Frankreich.

Die Wahlbeteiligung lag allerdings nur bei 44 Prozent der 180.000 Wahlberechtigten, das Resultat kam ohne die kanakischen Ureinwohner zustande. Ihre Befreiungsfront FLNKS hatte in Paris wegen der Covid-Krise vergeblich um eine Verschiebung des Abstimmungstermins ersucht. Die Pandemie hat unter den Kanak hunderte Todesopfer gefordert – zugleich aber die für die Ureinwohner sakrosankten Trauerfeiern verhindert. Viele Kanak weigerten sich deshalb, abstimmen zu gehen. Die FLNKS rief schließlich zum Boykott des Urnengangs auf.

Dieser Schritt war umso spektakulärer, als ein Ja zur Unabhängigkeit zuletzt durchaus möglich schien. Nach einer Gewaltphase – eine Geiselnahme endete 1988 mit 25 Toten – und einem jahrelangen Befriedungsprozess stimmten die Neukaledonier 2018 ein erstes Mal ab. 43,3 Prozent votierten für die Unabhängigkeit. 2020 waren es 46,7 Prozent. Bei der dritten und entscheidenden Abstimmung vergangenes Wochenende befürchtete die französischstämmige Bevölkerungshälfte, von den Kanak in die Minderheit versetzt zu werden.

Chinesischer Einfluss

Die Ex-Kolonialisten und die Pariser Behörden waren deshalb gar nicht so unglücklich über den Boykottaufruf. Auch Präsident Emmanuel Macron verhehlte nicht, dass die Inselgruppe für die westliche Welt eine "geopolitische" Bedeutung habe. Er ließ durchblicken, dass China versuchen könnte, das östlich von Australien gelegene Neukaledonien im Fall der Unabhängigkeit wirtschaftlich zu subventionieren und auf seine Seite zu ziehen.

Nun steht der Ablösungs- oder zumindest Autonomieprozess der pazifischen Insel vor einem Scherbenhaufen. An sich war im Fall eines Neins zur Unabhängigkeit ein weiteres Referendum im Jahr 2023 über ein Spezialstatut der Insel vorgesehen. Die Kanak werden das Vorgehen kaum akzeptieren. Viele trauen dem Frieden im Südseeparadies nicht. Die Regierung hatte am Sonntag 2000 Gendarmen mit Hubschraubern und 30 Panzerfahrzeugen auf der Insel mobilisiert, um Ausschreitungen zu verhindern.

"Gemeinsames Projekt"

Macron, der das Dossier Neukaledonien noch gerne vor den Präsidentschaftswahlen im April 2022 geschlossen hätte, sagte am Sonntag, Neukaledonien habe entschieden, bei Frankreich zu bleiben. "Es gibt nun eine Übergangsphase", erklärte er feierlich. "Sie muss uns zu einem gemeinsamen Projekt führen."

Die Kanak werden allerdings zweifellos eine neue Abstimmung fordern. Und so paradox es angesichts des klaren Neins zur Unabhängigkeit scheint: Wegen der Bevölkerungsentwicklung und der politischen Reifung der FLNKS gewinnen die Ureinwohner langsam, aber sicher die Mehrheit. (Stefan Brändle aus Paris, 12.12.2021)