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Neil Young verlangte es nach "mehr Stall!"

Foto: Invision / AP / Rebecca Cabage

Als Neil Young seinem Kollegen und Haberer Graham Nash das Album Harvest erstmals vorspielte, ruderten die beiden auf den See, der vor Youngs Anwesen in Kalifornien liegt — dann wurde das Album abgespielt. Und zwar über Lautsprecher, die Young vom Haus und dem benachbarten Stall auf den See gerichtet hatte.

Ein Freund Youngs kontrollierte die Abmischung. Mit dem Klang nicht ganz zufrieden rief Young: "More Barn!" – Mehr Stall!

Was Rocklegenden tun

Diese unter Neil-Young-Fans halbwegs bekannte Anekdote aus dem Jahr 1972 erfährt 49 Jahre später eine Fortsetzung, noch mehr Stall, denn der US-kanadische Musiker veröffentlichte eben sein 41. Studioalbum mit Namen Barn.

Der Titel bezieht sich auf seinen Entstehungsort. Young nahm es in Colorado auf, einem seiner Wohnsitze. Dort steht ein angeblich über hundert Jahre alter Stall, der nichts hat, was ein Studio charakterisiert: keine Aufnahmezellen, keine Schalldämpfung.

Stattdessen Spalten zwischen den Brettern, einen schiefen Boden, kaputte Scharniere, aber dafür das, was dem 76-jährigen Hippie wichtig ist: Atmosphäre.

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Dorthin lud Young die noch aktiven Mitglieder von Crazy Horse ein. Crazy Horse ist ein mit Young mehr oder weniger verwachsenes Körperteil. Manchmal amputiert er es, dann näht er es wieder an. Diese Band begleitet ihn seit Jahrzehnten immer wieder, einige seiner beständigsten Arbeiten hat er mit ihr eingespielt. Crazy Horse sind zurzeit der Gitarrist Nils Lofgren, der Bassist Billy Talbot sowie der für sein verhatschtes Spiel berühmte Drummer Ralph Molina.

Doku im Deluxe-Paket

Sie mögen zu ihm nach Colorado kommen, Scheißpandemie, ein bisschen abhängen, was Rocklegenden halt so tun. Bald standen sie im Stall, in dem Young eine Bühne und ein Setting zum Musizieren errichtet hat. Es kam, was kommen musste: Sie fingen an zu spielen.

Youngs Frau, die Schauspielerin Daryl Hannah, hielt das filmisch fest; im Deluxepaket des Albums ist ihre Doku über die Entstehung von Barn inkludiert.

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Lofgren, Talbot, Molina und Young zählen zusammen 302 Jahre, doch Liedern wie Human Race hört man das nicht an. Der Song kracht wie immer, wenn Young dem Horse die Sporen gibt. Die Band rollt ihm einen Teppich aus, eine Unterlage aus einem so sturen wie verlässlichen Rhythmus, auf dem Young die Gitarre jaulen lässt. Das Resultat ist, wie man so schön sagt, geil.

Heller Zuckerguss

Gemächlich entwickelten sie die Songs, ließen das Band beständig mitlaufen, immer versucht, die Magie der ersten Aufnahme einzufangen. Das geht, wenn man, wie dieses Team, miteinander kommunizieren kann. Aus dieser Direktheit entstand ein Werk, das bis auf eine Ausnahme keine Overdubs verwendet: "raw power".

Das gilt für stille Meditationen wie Welcome Back, lässige Bar-Rumpler wie Tumblin’ Through The Years oder das vom Akkordeon begleitete Song of The Seasons gleichermaßen. Und obendrauf gibt es die helle Stimme Youngs als Zuckerguss oder zornige Klageschrift — je nach Nachrichtenlage. Gerne mehr davon, gerne mehr Stall. (Karl Fluch, 13.12.2021)