Es ist still geworden um Sebastian Kurz. Nach dem Rücktritt als ÖVP-Chef redet kaum mehr jemand über ihn. In Medien taucht er in Babygeschichten auf oder durch Spekulationen über einen Job bei einem Internetgiganten. Politisch ist der gefallene Superstar seiner Partei, der die Innenpolitik überdominierte und polarisierte, kein Thema mehr. Erledigt.

Nur Agrarministerin Elisabeth Köstinger, langjährige Vertraute, lässt noch Wehmut erkennen, zuletzt im Mittagsjournal, als sie betonte, wie eng, "ständig in Kontakt" sie mit ihm war.

Die einstigen Großparteien ÖVP und SPÖ liegen in Umfragen kaum über 25 Prozent.
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Neo-ÖVP-Chef Karl Nehammer hingegen hat bei seinen ersten Auftritten als neuer Bundeskanzler den Namen seines Vorvorgängers nicht in den Mund genommen. Als Nachfolger in der Funktion als Parteiobmann betonte er auffällig die Unterschiede: Er wolle die Hand zum Dialog ausstrecken, bereit zum Kompromiss, zur Zusammenarbeit mit allen.

Sollte wohl heißen: Ab sofort sei die ÖVP nicht mehr die Partei, die spalte, trickse, die auf Marketing zulasten von Inhalt und Programmatik setze, sondern eine, die Respekt vor Politikern anderer Parteien und den Bürgern gelobe.

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Der reuig geläuterte Nehammer, die schmerzlich gewendete Köstinger, kein Zufall: Die ÖVP möchte gerne so tun, als sei sie plötzlich eine im Kern neu aufgestellte Partei, die (gute) alte schwarze Volkspartei. Reicht es aus, dass man ein paar kleinere Minister- und Postenumbesetzungen vornimmt, um gleich "anders" zu sein?

Natürlich nicht. Die Ära Kurz wird innen noch lange weiterbrodeln. Das hat die ÖVP mit der CDU in gewisser Weise gemein: die Leere. Nur trat in Deutschland eine historisch große Kanzlerin ab.

Kurz’ Scheitern legt bloß, in welch tiefer Krise Parteien in Österreich nach wie vor stecken, lange vor seinem Aufstieg 2017. Und das betrifft keineswegs nur die ÖVP, sondern auch die FPÖ und die SPÖ. Noch am wenigsten trifft es auf die Grünen zu. Sie bewähren sich als "geheime" staatstragende Truppe, neben dem grünen Bundespräsidenten. Überraschend.

Die Türkis-Schwarzen von der ÖVP wären gut beraten, sich Fehlern und Irrtümern ihrer Kurz-Vergangenheit zu stellen, das aufzuarbeiten. Die Partei ist personell wie inhaltlich nackt. Bei allem Respekt für jugendlichen Elan: Die Ernennung des weiblichen Kurz-Pendants Laura Sachslehner zur VP-Generalsekretärin ist kein Aufbruch. Sie steht für die tägliche Schlammschlacht, eine Art der politischen Auseinandersetzung, die immer mehr Bürger abstößt.

Und die Opposition? Die FPÖ scheint seit der Übernahme der Obmannschaft durch Herbert Kickl durch Corona ins Jenseits von Gut und Böse weggekippt. Heißt: nicht regierungsfähig.

Die SPÖ hat sich seit den Zeiten Werner Faymanns bis heute nicht wirklich erholt. Parteichefin Pamela Rendi-Wagner gelingt es, eine bessere Figur zu machen als zu Beginn. Aber hinter ihr herrscht personell gähnende Leere. Sie ist als Medizinerin anerkannt, ihre politische Bandbreite bleibt bescheiden. Nur Wiens Stadtchef Michael Ludwig ragt heraus. Kein Wunder, wenn ÖVP wie SPÖ, früher Großparteien, in Umfragen kaum über 25 Prozent hinauskommen. Es entspricht einem europaweiten Trend.

Neuwahlspekulationen haben wenig Sinn. Erst müssen sich die Parteien dringend ändern, verbessern, erneuern. Sie müssen das tun, was Sebastian Kurz versprochen hatte, woran er gescheitert ist. (Thomas Mayer, 13.12.2021)