Häusliche Gewalt ist ein weltweit verbreitetes Phänomen mit weitreichenden Folgen für die betroffenen Individuen, aber auch für die Gesellschaft insgesamt. Weltweit sind 27 Prozent aller Frauen über 15 Jahren mindestens einmal im Leben häuslicher Gewalt durch ihren Partner ausgesetzt. Bei 38 bis 40 Prozent aller Morde an Frauen ist der (Ex-)Lebenspartner beteiligt. In Österreich waren 15 Prozent aller Frauen über dem 15. Lebensjahr bereits einmal in ihrem Leben von Gewalt durch den Partner betroffen, vier Prozent sogar innerhalb der letzten zwölf Monate.

Bereits beim Inkrafttreten der Corona-Ausgangsbeschränkungen im Frühjahr 2020 gab es Befürchtungen, dass diese zu einem Anstieg an häuslicher Gewalt führen könnten und dass diese Gewalt vermehrt im verborgenen häuslichen Umfeld stattfinden könnte. In der Tat berichteten Hilfsorganisationen für betroffene Frauen in vielen Ländern einen dramatischen Anstieg an Fällen häuslicher Gewalt, der sich aber nicht in empirischen Studien, basierend auf offiziellen Polizeistatistiken, bestätigen lässt. Einer der Hauptgründe für dieses Auseinanderdriften der Wahrnehmung häuslicher Gewalt und offizieller Statistiken könnte darin liegen, dass es den Opfern wesentlich schwerer fällt, die Fälle zur Anzeige zu bringen, solange der Täter sich im direkten häuslichen Umfeld befindet.

In den Lockdowns kam es zu einem Anstieg an häuslicher Gewalt.
Foto: imago images/CHROMORANGE/ Maria Reichenauer

Was die Online-Suchanfragen aussagen

Um dieses Problem für die Quantifizierung von häuslicher Gewalt zu lösen, schlagen wir in einer Studie vor, tagesaktuelle Daten zum Suchverhalten auf Google zu nutzen, um die tägliche Variation der häuslichen Gewalt besser zu erfassen. Die zugrunde liegende Idee ist, dass es während des Lockdowns für Betroffene potenziell leichter ist, sich ohne Wissen des Partners online (zum Beispiel am Handy) über Hilfsangebote zu informieren, als die Polizei zu kontaktieren und die Tat zur Anzeige zu bringen. Hierzu verknüpfen wir Daten der offiziellen Polizeistatistik mit Daten zum Online-Suchverhalten zu häuslicher Gewalt über den Zeitraum der letzten fünf Jahre. Aus den gewonnenen Erkenntnissen bilden wir einen Index, der Fälle häuslicher Gewalt, basierend auf dem Online-Suchverhalten, errechnet. Dieser Index wird anschließend verwendet, um den Effekt der Ausgangsbeschränkungen auf häusliche Gewalt abzuschätzen.

In der Studie finden wir – am Beispiel von London – einen starken Anstieg an häuslicher Gewalt, der allerdings nicht direkt ab Inkrafttreten der Ausgangsbeschränkungen, sondern erst mit einer Verzögerung von drei bis sechs Wochen eintritt. Zum Höhepunkt der häuslichen Gewalt wird ein Anstieg um 40 Prozent gegenüber dem Vor-Lockdown-Zeitraum verzeichnet. Dieser Anstieg ist sieben- bis achtmal größer als der Anstieg, der in den offiziellen Polizeistatistiken registriert wurde, und ungefähr halb so groß wie der maximale Anstieg, den die Hilfsorganisationen im selben Zeitraum vermeldeten. Mit Rücknahme der strengen Lockdown-Regeln nähern sich die errechneten und die von der Polizei registrierten Fälle einander wieder an.

Die Abbildung unten zeigt dies anhand des zeitlichen Verlaufs der in der Polizeistatistik vermerkten Fälle von häuslicher Gewalt (rot, gestrichelte Linie), des basierend auf dem Online-Suchverhalten errechneten Index zum Auftreten von häuslicher Gewalt (blau, durchgezogene Linie) und der von den Hilfsorganisationen gemeldeten Kontakte bezüglich häuslicher Gewalt (grün, gepunktete Linie). Um die relative Veränderung besser darzustellen, wurden alle Zeitreihen auf 100 im Durchschnitt des Vor-Corona-Zeitraums normalisiert.

Vergleich der Indizes für häusliche Gewalt während des ersten Corona-Lockdowns in London. Hinweise: Die Abbildung zeigt den bereinigten zeitlichen Verlauf der in der Polizeistatistik vermerkten Fälle von häuslicher Gewalt (rot, gestrichelte Linie), des basierend auf dem Online-Suchverhalten errechneten Index zum Auftreten von häuslicher Gewalt (blau, durchgezogene Linie) und der von den Hilfsorganisationen gemeldeten Kontakte bezüglich häuslicher Gewalt (grün, gepunktete Linie). Alle Indizes wurden um Jahres-, Monats- und Wochentags-Effekte bereinigt und auf einen Wert von 100 für den Zeitraum von 1. April 2015 bis 31. Dezember 2019 normalisiert.

Mehr häusliche Gewalt

Basierend auf den vorhandenen Daten und dem berechneten Index lässt sich errechnen, dass während des ersten Lockdowns in London täglich rund 48 Fälle von tatsächlich stattgefundener häuslicher Gewalt nicht in der offiziellen Polizeistatistik registriert wurden. Über den gesamten Zeitraum des ersten Lockdowns summiert sich dies auf 4.700 Fälle. Hierbei handelt es sich ausschließlich um Fälle, die unter normalen Umständen zur Anzeige gebracht worden wären. In Anbetracht dieser Erkenntnisse stellt sich die Frage, ob auch die offiziellen Zahlen zu häuslicher Gewalt in Österreich womöglich nicht das vollständige Ausmaß des Problems während der unterschiedlichen Phasen von Ausgangsbeschränkungen aufzeigen. (Dan Anderberg, Helmut Rainer, Fabian Siuda, 14.12.2021)