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Vom Künstler zum Aktivisten: Mit seinem Blog übte Ai Weiwei Kritik an Missständen in China, schließlich wurde er zensiert.
Foto: Reuters / Violeta Santos Moura

Die Idee, diese Geschichte aufzuschreiben, kam Ai Weiwei während seines Polizeigewahrsams. 2011 war der Künstler vor allem wegen seiner aktivistischen Tätigkeit in seiner Heimat China für 81 Tage in Isolation festgehalten worden. Sofort nach seiner Entlassung auf Kaution begann er seine Autobiografie zu verfassen. Nach seinem Hausarrest verließ er China 2015 und floh nach Berlin.

Einerseits möchte Ai Weiwei in diesen Erinnerungen das prägende Verhältnis zu seinem Vater Ai Qing festhalten, in dessen Tradition eines kritischen Geistes er sich selbst versteht: "Als Staatsfeind war ich nun meinem Vater gleichgestellt", schreibt er. "Mit einem Abstand von achtzig Jahren konnten wir uns wegen ähnlicher Vergehen im selben Land auf Augenhöhe begegnen." Zum anderen gibt Ai Weiwei jene Geschichten an seinen eigenen Sohn weiter. Jene Erinnerungen, die ihm dabei helfen zu vergessen.

Gezwungene Bücherverbrennung

Die vorliegenden 400 Seiten sind aber keine klassische Autobiografie, sondern zweiteilige Memoiren. Fast die ganze erste Hälfte von 1000 Jahre Freud und Leid erzählt die Lebensgeschichte seines Vaters, der als einer der bekanntesten Dichter Chinas unter der Kulturrevolution Ende der 1960er-Jahre als "Rechtsabweichler" in eine Strafkolonie namens Klein-Sibirien im nördlichsten Teil Chinas verbannt wurde. Ai Weiwei war damals noch ein Bub und musste mit seinem Vater monatelang in einem dunklen Erdloch hausen.

Kurz davor wurde Ai Qing aus der Kommunistischen Partei ausgeschlossen und öffentlich verhöhnt, sein Werk verboten. Als sich die Revolution gegen die kulturelle Elite richtete, half Ai Weiwei seinem Vater, dessen Bücher zu verbrennen. Kurz bevor die Roten Garden das Haus der Familie durchsuchten, gingen Klassiker der Renaissance oder Gedichtsammlungen von Baudelaire in Flammen auf. Rückblickend bezeichnet der Künstler diesen Moment als einen, in der er von einer "seltsamen Kraft" erfasst wurde – die ihn nicht mehr losließ.

"Zweiter Picasso" mit Tabu

Auf nüchtern-spannende Weise wird so die persönliche Geschichte mit jener Chinas verknüpft. Etwas sprunghaft legen sich unterschiedliche Zeitebenen übereinander. In den 1940er-Jahren floh Ai Qing vor den japanischen Bombenangriffen, neigte sich von der nationalistischen Regierung enttäuscht der Kommunistischen Partei zu. Er kannte sogar Mao Zedong vor dessen Zeit als Parteivorsitzender persönlich, korrespondierte mit ihm – bis Ai Weiweis Vater selbst im Sumpf ideologischer Säuberung unterzugehen drohte. Erst nach Maos Tod wurde seine Degradierung als "Rechtsabweichler" korrigiert – und er veröffentlichte wieder Gedichte. Einige hat sein Sohn in diesem Buch nun abgedruckt.

Dann schließlich wird Ai Weiweis Entwicklung zu einem der bekanntesten Künstler der Gegenwart chronologisch erzählt. Zugespitzt gesagt liest sich diese etwas wie eine "Vom Tellerwäscher zum Popstar"-Geschichte. Ai Weiwei ging nach New York, wo er neben dem Kunststudium als Straßenmaler jobbte. In den großen Museen begeisterten ihn die Werke Marcel Duchamps. Seiner Mutter sagte er beim Abschied, dass er als "zweiter Picasso" zurückkehren werde. In einer Szene erinnert er sich, als sein Professor Sean Scully in seiner Malerei-Klasse eine seiner Zeichnungen als schlecht bezeichnete. Dreißig Jahre später besuchte der irische Maler Ai Weiwei in dessen Atelier in Beijing.

Die Idee, diese Geschichte aufzuschreiben, kam Ai Weiwei während seines Polizeigewahrsams.
Foto: Penguin Verlag

Dorthin kehrte er Anfang der 1990er-Jahre zurück und begann sich mit einer selbst gegründeten Galerie und Ausstellungsprojekten zu etablieren. Er startete seinen Blog, auf dem er Missstände in China öffentlich machte – und der später der Zensur zum Opfer fiel. Doch er hatte "nicht die geringste Absicht", sich zurückzuhalten. 2008 übte er mit seinem Dokumentarfilm Little Girl’s Cheeks scharfe Kritik an der chinesischen Regierung, weil sie das Erdbeben in Sichuan, bei dem tausende Kinder umgekommen waren, totgeschwiegen hatte. Ab dem Zeitpunkt war er "offenbar vom Künstler zum Aktivisten geworden", stellt er fest. Heute ist sein Name in China tabu.

Flucht und Marketing

Diese Kopplung aus Kunst und Kritik wird in Ai Weiweis Erinnerungen überdeutlich und macht seine bekannten Projekte nachvollziehbarer, die er stets als "Readymades" ansah. Immer packt er auch starke Bezüge zu seiner Heimat in seine Kunstaktionen: Für sein Projekt Fairytale ließ er 1001 Chinesen zur Documenta nach Kassel einfliegen, die Turbinenhalle der Tate Modern in London flutete er mit Millionen Keramik-Sonnenblumenkernen oder stellte seine Tierkreis-Köpfe in New York auf.

Warum der 64-Jährige auch in seinem Exil – aktuell lebt er in Portugal – immer auch als scharfer Kritiker der europäischen Flüchtlingspolitik und speziell der Lage auf Lesbos auftrat, kann als Ergebnis seiner eigenen Biografie gelesen werden. Wie das Leben seines Vaters ist auch seines von Flucht und Verfolgung geprägt. Eine Logik, die sich in seiner künstlerischen Arbeit fortsetzt.

Kann man den aktivistischen Künstler und sein Werk nun besser verstehen? Vielleicht schon. Dennoch darf man nicht vergessen, dass es Ai Weiwei immer auch verstand, seine eigene Person und das daran verknüpfte Schicksal geschickt zu vermarkten. Die beobachtenden Erzählstränge fügen sich am Ende dann doch zu einem leicht pathetischen Ende zusammen. (Katharina Rustler, 13.12.2021)