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Die reine Willkür

Auf nichts und niemanden ist Verlass, nicht einmal mehr auf die Formel 1. Jahrelang hat sie einem geholfen, das unter der Woche aufgerissene Schlafmanko sonntags einigermaßen auszugleichen. Ein Rennen langweiliger als das andere, es herrschte fast garantiert die pure Monotonie. Wer sich nur den Start gab und zur Siegerehrung wieder zu sich kam, hatte meist genau gar nichts versäumt. Und heuer? Dramatik auf den Strecken, Geschrei in den Kommentator-Kabinen! Man rieb sich die Augen, aber nicht vor Müdigkeit, sondern vor Verwunderung. Schluss mit schläfrig!

Die Saison, die am 8. März in Bahrain begann und nach 22 Rennen am 12. Dezember in Abu Dhabi zu Ende ging, lieferte eine gute, unterhaltsame Show. Das muss man ihr lassen. Das Duell des Titelverteidigers Lewis Hamilton mit dem Herausforderer Max Verstappen hatte es in sich. Fünfmal wechselte die Führung in der WM, doch da gab es immerhin auch vier Sieger, die nicht Hamilton oder Verstappen hießen.

Das Jahr hat aber vor allem gezeigt, dass der sportliche Wert just der so genannten Motorsport-"Königsklasse" sehr flott enden wollend ist. Solange mit Mercedes die Fadesse regierte, hat das keine Rolle gespielt. Doch nun wurde quasi Rad an Rad um den Titel gefightet, und die Entscheidung fiel in der letzten Runde. Es war eine Safety-Car-Phase nach einem Unfall eines No-Names, die diese Entscheidung herbeigeführt hat.

Safety-Car-Phasen nehmen nach einem Unfall dem Führenden den Vorsprung, den er sich redlich verdient hat, und pressen das Feld wieder zusammen. Einer, der aussichtslos zurückliegt, ist plötzlich wieder voll im Rennen um den Sieg. Aus sportlicher Sicht müsste man dringend eine Regeländerung herbeiführen, der Status quo ist alles andere als fair. Es ist, als würde beim Mensch-ärgere-dich-nicht die letzte Figur knapp vor dem Ziel hinausgeworfen, aber nicht von einem anderen Spieler, sondern von einem Windstoß. Die reine Willkür. Schluss mit sportlich. (Fritz Neumann, 13.12.2021)

Der Sieger ist die Formel 1

Diese Titelentscheidung in der Formel 1 wird in Erinnerung bleiben. Und zwar nicht nur bis Weihnachten. Sondern bis in alle Ewigkeit. Wie sich Max Verstappen in einem nervenzerreißenden Finale auf den buchstäblich letzten Metern zum neuen Weltmeister krönte, das war ein Triumph epischen Ausmaßes. Die Proteste aus dem Fan-Lager von Lewis Hamilton kamen wie das Amen im Gebet: zwei Safety-Car-Phasen, überrundete Fahrer, die "zurückrunden" durften, die neuerliche Freigabe des Rennes eine Runde vor Schluss. Die Rennleitung habe das Duell um den Titel entschieden, nicht die Fahrer, so der Vorwurf.

Einen unbestreitbaren Sieger gibt es in diesem Drama in jedem Fall: die Millionen Zuschauer, die das Rennen im Fernsehen verfolgten und es vor Aufregung kaum ausgehalten haben. Zur Erinnerung: Wie oft wurde in der Vergangenheit nicht gejammert, wie fad die Formel 1 ist. Eine Gähnveranstaltung im Kreisverkehr, Formel fad. Überholmanöver gibt es nur im eigenen Pkw auf der Autobahn zu sehen.

Nun war endlich die Spannung drin, die sich doch alle so sehnlichst gewünscht hatten. Eine Runde, eine verdammte Runde würde diese Weltmeisterschaft entscheiden! Die mit 22 Rennen längste der Geschichte und die erste seit 1974, in der zwei Fahrer punktegleich in die Entscheidung fuhren. Man kann Rennleiter Michael Masi für seine Entscheidungen kritisieren, regelkonform waren sie allemal, das bestätigte auch Ex-Formel-1-Fahrer Alexander Wurz, der als ORF-Kommentator großartig ist.

Vielleicht hätte es den ganzen Bahöl um das Regelwerk auch gar nicht gegeben, wenn Lewis Hamilton früher zur Box gefahren wäre und sich nicht auf 44 Runden alten Reifen zum Titel hätte zittern wollen. Was wäre, wenn? Diese Diskussion lässt sich endlos fortsetzen. Der Sieger ist die Formel 1. Weil der Rennsport großes Gesprächsthema ist. (Florian Vetter, 13.12.2021)