Aktuell sind zwei Baustellen für die Stadtstraße bei der Hirschstettner Straße sowie bei der Hausfeldstraße besetzt.

Foto: Regine Hendrich

Die Stadt Wien hat die Ebene des Dialogs mit den Besetzerinnen und Besetzern des Protestcamps gegen Stadtstraße und Lobautunnel vorerst verlassen. Daraus macht sie auch gar kein Hehl. So wurden zahlreiche von der Stadt beauftragte Anwaltsschreiben an Aktivistinnen und Aktivisten verschickt. Darin heißt es unter anderem: "Der bestehende Dialog zwischen der Stadt Wien und den Aktivist*innen hat zum Bedauern der Stadt Wien zu keinen Ergebnissen geführt."

Stattdessen droht die Stadt den Besetzerinnen und Besetzern mit Schadenersatzklagen, falls diese das Protestcamp nicht sofort verlassen und abbauen sollten. Nach Ansicht der Stadt besteht eine "solidarische Haftung sämtlicher beteiligter Aktivist*innen für den gesamten Schaden". Dieser wird mit der Verzögerung der Bauarbeiten und rechtswidrigem Verhalten begründet. Die Aktivistinnen und Aktivisten haben demnach "immens hohe Schäden" verursacht. Den Besetzern könnten also auch Millionenklagen drohen.

Rund 50 Schreiben an Organisationen und Einzelpersonen verschickt

Diesen Brief der Anwaltskanzlei des ehemaligen SPÖ-Justizsprechers Hannes Jarolim erhielten nicht nur Umweltschutzorganisationen, sondern unter anderem auch eine 13- sowie eine 14-Jährige. Das sagte Lena Schilling vom Jugendrat dem STANDARD. Die beiden Schülerinnen sollen den Anwaltsbrief per E-Mail erhalten haben. Beide Briefe liegen dem STANDARD vor. Insgesamt sind laut dem Büro von Verkehrsstadträtin Ulli Sima (SPÖ) rund 50 Schreiben an Organisationen sowie auch Einzelpersonen mit der Androhung von Schadenersatzklagen verschickt worden.

Sima: Keine Räumung in dieser Woche

Stadträtin Sima bezeichnete die Schreiben an die beiden Schülerinnen als "bedauerlich". Die Stadt habe nach mehr als drei Monaten Baustellenbesetzung aber "ein Signal aussenden müssen", wie Sima dem STANDARD sagte. Der wirtschaftliche Schaden durch die Besetzung würde sonst weiter steigen. Informelle Gespräche hätten laut Sima nichts gebracht. Konkret hätten daher Vertreter der Organisationen Fridays for Future, System Change Not Climate Change, Extinction Rebellion, Jugendrat sowie Südwind das "Aufforderungsschreiben" erhalten – "und alle, die aktiv zur Besetzung aufgerufen haben".

Laut Sima würden nur noch die Besetzerinnen und Besetzer den Bau der Stadtstraße verhindern, an der die Entwicklung von Wohnungen für rund 60.000 Personen in der Donaustadt hängen würde. Das könne sich die Stadt nicht länger bieten lassen – und verwies auch auf den illegalen Bau einer Pyramide im Protestcamp sowie auf "Lagerfeuer und Rave-Partys". Sollten sich die Aktivisten weiter unkooperativ verhalten, würden weitere Schritte gesetzt. "An eine Räumung in dieser Woche ist derzeit aber nicht gedacht", sagte Sima.

Die Stadträtin erinnerte auch daran, dass die Grünen, die das Bauprojekt aktuell scharf kritisieren, dieses einst selbst mitentwickelten. Im Juli 2016 etwa verkündete die damalige Vizebürgermeisterin und Verkehrsstadträtin Maria Vassilakou gemeinsam mit SPÖ-Klubchef Christian Oxonitsch "die nächsten Schritte für die Stadtstraße Aspern". Laut Sima sei die Straße vierspurig geplant, weil nur so die Strecke zur Hälfte auch untertunnelt werden könne.

Sima richtete den Aktivistinnen und Aktivisten aus, dass sie "für Gespräche zur Verfügung" stehe – auch wenn sie einräumte, dass es diese in den drei Monaten der Baustellenbesetzung noch nicht gegeben habe. Für "Showcases" – also etwa Podiumsdiskussionen mit politischer Inszenierung – sei sie aber nicht zu haben.

Gesprächsrunde wurde angekündigt, dann löste Polizei Protestcamp auf

Sima hatte bei einer Pressekonferenz am vergangenen Donnerstag angekündigt, dass es diese Woche eine Gesprächsrunde mit den Aktivistinnen und Aktivisten des Protestcamps geben solle – ohne Sima, aber "auf hoher Beamtenebene", wie sie zum STANDARD sagte. Daraus dürfte nichts mehr werden: Denn praktisch zeitgleich mit der Pressekonferenz Simas am Donnerstag wurde die Polizei auf Betreiben der Stadt im Protestcamp vorstellig. Das Camp gilt seither als polizeilich aufgelöst. (David Krutzler, 13.12.2021)