Wien – Dieses Mal hat es Doroteja Gradištanac geschafft. Ab 1. Jänner 2022 leitet sie FM4. Der ORF gab am Montag die Entscheidung der Geschäftsführung bekannt.
"Doroteja Gradištanac ist eine der profiliertesten Programmmacherinnen des ORF", lässt der scheidende ORF-General Alexander Wrabetz wissen. "Unter ihrer Führung wird unser mehrsprachiger Jugendkultursender den erfolgreichen Weg der vergangenen Jahre fortsetzen." Dessen Nachfolger Roland Weißmann freut sich über "eine innovative und hochkompetente Führungspersönlichkeit für diese wichtige Funktion".
Seit 1998 bei Ö3
Gradištanac, vormals Roščić, ist in Belgrad geboren. Nach der Matura in Linz studierte sie Vergleichende Literaturwissenschaften und Germanistik an der Universität Wien. 1998 begann Gradištanac bei Ö3, war von 2000 bis 2008 Redakteurin in der ORF-TV-Entwicklung und anschließend bis 2012 im Stab der Programmdirektion tätig. 2012 bis 2021 war Gradištanac Redaktionsleiterin der TV-Entwicklungsabteilung und seit 2021 ist sie Leiterin der Abteilung für Formatentwicklung und Qualitätsmanagement.
Gradištanac folgt der bisherigen ORF-Radiodirektorin und FM4-Gründungschefin Monika Eigensperger, die mit Jahresende in Pension geht.
Bewerbungen
Für höhere Aufgaben sah sich Gradištanac schon im Sommer bereit, als sie sich für den Job des Landesstudios Wien bewarb. Den Zuschlag bekam schließlich Edgar Weinzettl. Bereit für einen Wechsel sah sich schon 2018, als sie sich für den Job des ORF-Unterhaltungschefs bewarb, damals noch gegen die Interessen der Geschäftsführung, die den früheren Salzburger Landesdirektor und Entwickler der ORF-2-Tagesschiene Unterwegs in Österreich Roland Brunhofer bevorzugte. Gradištanac war damals Favorit der Redakteure.
Das war dieses Mal anders. Die meisten Stimmen der Redakteurinnen und Redakteure für die Leitung des Radiosenders erhielt Oliver Lingens. Die Abstimmungen der Redakteurinnen und Redakteure sind allerdings nicht bindend für die Bestellung. Der ORF-Generaldirektor entscheidet über die Besetzung – in diesem Fall gab es wohl Einigkeit zwischen beiden.
Die Aufgaben, die auf Gradištanac warten, sind reichlich. Seit Jahren hadert man mit den Reichweiten unter jüngerem Publikum.
Zu spitz positioniert
FM4 wurde 1995 als jüngeres ORF-Radioprogramm konzipiert, bewusst abseits des Mainstreams und als Gegenentwurf zu Ö3, in dem noch avantgardistischere Inhalte möglich sind.
Dass diese dem zukünftigen ORF-Generaldirektor nicht allesamt angenehm sind, daraus machte er in seiner Bewerbung kein Hehl: "In seiner Ausrichtung als Jugendradio verfehlt FM4 sein Mission Statement und ist in der erreichten Zielgruppe zu spitz positioniert."
Die Hörerinnen und Hörer
FM4-Hörerinnen und -Hörer altern mit dem Sender. Laut Radiotest-Umfrage sind sie im Schnitt 37,8 Jahre alt. 2014 waren sie noch 33,9, in acht Jahren ist der Publikumsschnitt um vier Jahre gestiegen – beim großen Ö3 um 2,2 Jahre. Das Radiopublikum wurde im Schnitt um 2,5 Jahre älter.
Der ORF-Sender erzielte im jüngsten Radiotest für 2020/2021 3,4 Prozent Tagesreichweite in der Gesamtzielgruppe, was einer leichten Steigerung von 0,2 Prozentpunkten gegenüber dem Vergleichszeitraum entsprach. Bei den 14- bis 49-Jährigen kam FM4 auf 5,3 Prozent und legte damit um 0,3 Prozentpunkte zu.
Gradištanac wird also jetzt den Spagat versuchen müssen, das Stammpublikum nicht zu vergraulen und neue, jüngere Hörerinnen und Hörer an Land zu ziehen, was ein wenig wie die Quadratur des Kreises wirkt. Sendungen einfach nur andere Namen zu geben, wird da nicht ausreichen.
Kampf um die Jungen
Zudem befindet sich Radio besonders in einer an Information interessierten jüngeren Zielgruppe in empfindlicher Konkurrenz mit Podcasts, von denen immer noch täglich neue aus dem Boden schießen.
Ob jüngeres Publikum, das sich seine Musik über Streamingangebote selbst zusammenstellt, überhaupt noch auf Radioprogramm reflektiert, wird eine der spannenden Fragen sein, denen sich Gradištanac in den nächsten Jahren widmen wird.
Als Noch-General Wrabetz Ende 2020 die ORF-Strategie bis 2025 präsentierte, fiel ihm zu FM4 ein "Soundmodul" auf der geplanten Streamingplattform ORF-Player ein. Das bedeute keineswegs ein Ende als Radioprogramm, betonte er gleich auf Nachfrage.
Wrabetz’ Nachfolger Roland Weißmann hat mehrfach betont, dass er die heutigen TV- und Radioprogramme des ORF noch viele Jahre hören und sehen will. (Doris Priesching, 13.12.2021)