Freunde über Klassengrenzen hinweg: "Pünktchen und Anton".

Anja Köhler

Bregenz – Ein armer Bub schließt Freundschaft mit einer Fabrikantentochter, soziale Klassen vermischen sich – und so wird alles gut. Diese verkürzte Botschaft aus Erich Kästners Buchklassiker Pünktchen und Anton hält auch neunzig Jahre nach seiner Ersterscheinung 1931 das vorweihnachtliche Bühnengeschehen in Schwung. Am Vorarlberger Landestheater Bregenz hätte die Originaltheaterfassung in der Regie von Catharina May schon 2020 Premiere feiern sollen. Einige Lockdowns und ein Jahr später war es dann am 20. November so weit. Nach einem weiteren Lockdown steht das Klassismus-Stück rund um Luise Pogge aka Pünktchen und Anton seit dem dritten Adventsonntag wieder auf dem Spielplan.

Nach der Premiere strahlten nicht nur die in etwa drei Dutzend Kinder; auch das ältere Publikum jubelte. Intendantin Stephanie Gräve zeigt das Märchen als Abovorstellung. Das kommt beim Publikum gut an, zumal Schulvorstellungen weiterhin untersagt sind. Schulen können einstweilen das Video einer aufgezeichneten Vorstellung erwerben. Pünktchen und Anton, für Kinder ab sechs Jahren empfohlen, hat jedenfalls die richtige Botschaft zur Weihnachtszeit. Die Geschichte lässt einen an das Gute im Menschen glauben.

Herz am rechten Fleck

Pünktchen (energiegeladen: Maria Lisa Huber) hat das Herz am rechten Fleck, für die wohlstandsverwahrloste Tochter ist das Leben ein einziges Abenteuer. Mit ihrem Kindermädchen verkauft sie nachts heimlich Streichhölzer auf der Straße. Ihre Eltern haben nie Zeit, Papa ist Generaldirektor, Mama muss shoppen. Pünktchens Freund Anton lebt am anderen Ende der Wohlstandsskala und muss Geld für die Haushaltskasse auftreiben (OP der Mutter).

Als einer der Ersten hatte Kästner soziale Ungerechtigkeit in einem Kinderbuch thematisiert. Er erzählt davon schnörkellos, nimmt die Kinder ernst. Das machen Regisseurin May und ihr Ensemble ebenso – mit einem liebevollen Schuss Verrücktheit dazu. Sie zeigen sympathische schräg überzeichnete Figuren, Wicke Naujoks steckt sie in knallige Kostüme. Auch das Bühnenbild von Jenny Schleif ist verspielt, drei verschieb- und aufklappbare Holzhäuser werden zur Straßenkulisse, sind herrschaftliches Esszimmer, ärmliche Küche oder Tanzlokal.

Die Bregenzer Bühnenfassung hält sich eng an die Vorlage und lässt kurz den Lockdown anklingen: Pünktchen und Anton ahmen im Spiel die Fahrt in einem Faltboot über den Ozean nach: "Oh nein", sagt Anton, "Windstille." – "Wie lange?", fragt Pünktchen. – "Sehr lange. Drei Wochen", antwortet Anton. Das Premierenpublikum lacht. (Julia Nehmiz, 14.12.2021)