Lewis Hamilton hätte den Mercedes gern hinter dem Safety-Car ins Ziel gelenkt. Es kam aber ganz anders.

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Max Verstappen holte sich den Pokal für den Rennsieg, und krönte sich zum Weltmeister*. Er will mit der Nummer 1 in die neue Saison gehen.

* Mercedes legt möglicherweise Berufung ein.

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Was sind ein Dutzend Anwälte in der Boxengasse? Kein gutes Ende! Die Formel-1-Version eines sonst brachialen Jokes, in dem alternativ die Worte Meeresgrund und Anfang vorkommen, beschreibt gut die Situation, in die sich die sogenannte Königsklasse des Motorsports manövriert hat. Wir werden Richter brauchen, waren sich die Kontrahenten Mercedes und Red Bull schon vor dem Saisonfinale in Abu Dhabi sicher, also waren auch die entsprechenden Anwaltsteams mit in den Vereinigten Arabischen Emiraten.

Weshalb auch erst vier Stunden nachdem Max Verstappen vor Lewis Hamilton durchs Ziel gegangen war, zumindest für diesen langen 12. Dezember feststand, dass der Niederländer den britischen Champion entthront hat. Die Proteste von Mercedes wurden zurückgewiesen, glasklar war die Entscheidung letztlich aber nicht. Am Donnerstag soll Verstappen bei der Gala des Automobilweltverbands Fia in Paris seinen Pokal in Empfang nehmen. Bis Donnerstag hat allerdings auch Mercedes Zeit, offiziell Berufung einzulegen und damit die Zeremonie bis auf Weiteres zu verschieben. Das Fia-Schiedsgericht mit unabhängigen Richtern des International Court of Appeal (ICA) müsste erst nominiert und koordiniert werden. Es könnte über die WM 2021 sicher erst 2022 entscheiden.

Überholmanöver vor Gericht

Wird sogar die letzte sportrechtliche Möglichkeit ausgeschöpft, der Gang vor den internationalen Sportgerichtshof Cas in Lausanne, wäre die 72. Saison erst gegessen, wenn die 73. längst begonnen hat. Sie hebt am 20. März wieder in Bahrain an.

Mercedes hüllt sich seit der ersten Entscheidung in Schweigen. Hamilton, der sich im ersten Moment wie der Sir verhalten hatte, zu dem er am Mittwoch durch Erhebung in den Adelsstand durch die Queen auf Schloss Windsor auch offiziell wird, blieb der obligatorischen Pressekonferenz und weiteren Interviews fern. Der 36-Jährige verließ den Yas Marina Circuit kurz vor Mitternacht. Sein sonst recht auskunftsfreudiger Teamchef Toto Wolff schwieg ebenfalls, nur das Allernötigste wurde über knappe Statements kommuniziert. Etwa die Absicht, Berufung einzulegen – ein reiner Formalakt, dem nicht entsprochen werden muss. Gut käme die Berufung nicht an, allerdings gibt es auch Verständnis für den unglücklichen Sieger der Konstrukteurswertung.

"Natürlich fürs Fernsehen" habe Renndirektor Michael Masi seine Befugnisse am Sonntag exzessiv ausgereizt, sagte Lando Norris, der britische Jungstar von McLaren. "Man wollte einen Kampf sehen. Und hat ihn bekommen."

Mercedes monierte vor allem, dass Verstappen den vorausfahrenden Hamilton in der vorletzten Runde hinter dem wegen eines Unfalls von Nicholas Latifi im Williams ausgerückten Safety-Car verbotenerweise überholt habe. Tatsächlich war Verstappen kurzzeitig wenige Zentimeter vorn, ließ sich aber gleich wieder zurückfallen. Die vier Stewards – Garry Connelly, Felix Holter, Derek Warwick und Mohamed Al Hashmi – befanden zur Entlastung des 24-Jährigen, dass die mögliche Regelwidrigkeit in einer Phase geschehen sei, in der beide Piloten zwischen Beschleunigung und starkem Abbremsen wechselten. Jedenfalls verhinderte Verstappen, dass der Führende seine Reifen auf Temperatur halten konnte.

Juristisches Hochamt

Der zweite Protest richtete sich gegen die Entscheidung von Masi, vor dem Restart nicht alle acht überrundeten Fahrzeuge, sondern nur die fünf zwischen Spitzenreiter Hamilton und Verstappen Platzierten zurückrunden zu lassen. Das Gezerre um Formulierungen und Auslegungen der Begriffe "any" und "all" im englischsprachigen Regelwerk war mit Sicherheit ein juristisches Hochamt.

Zudem gab Masi das Rennen nach seiner Anweisung bereits bei der nächsten Zieldurchfahrt frei und nicht bei der übernächsten, wie es das Reglement vorsieht – dann wäre das Feld ohne Überholmöglichkeiten ins Ziel gefahren, Hamilton hätte also gewonnen. In diesem Fall sahen die Stewards das Reglement tatsächlich als verletzt an, Masi aber dennoch im Recht, weil dieser gemäß einem anderen Artikel das letzte Wort über den Einsatz des Safety-Car hat.

Masi, der wegen des via Rennfunk verfolgbaren Feilschens mit den Teams schon nach dem Rennen in Saudi-Arabien in der Kritik stand, argumentierte zudem, dass es schon lange Einigkeit mit den Teams gebe, Rennen eben nicht hinter dem von Bernd Mayländer gesteuerten Safety-Car zu beenden.

Diskussionslos wurde Verstappen ungeachtet der Umstände als würdiger Weltmeister erkannt. "Max ist ein fantastischer Fahrer, ich habe nichts als Respekt für ihn", twitterte selbst Williams-Pilot George Russell, der als neuer Partner von Hamilton bei Mercedes aber auch nicht umhinkonnte, den Ausgang der WM als inakzeptabel zu bezeichnen.

Königliche Aufgeregtheit

In den Niederlanden gab es selbstredend keinen Hauch an Zweifel. Das ganze Land huldigte seinem neuen Volkshelden, die königliche Familie konnte da unmöglich abseitsstehen. Willem-Alexander, Máxima und auch die drei Töchter hätten die Formel 1 "mit Spannung verfolgt", ließ der Hof mitteilen: "So wie die ganzen Niederlande."

Sechs Millionen der 17,5 Millionen Niederländerinnen und Niederländer waren live bei Verstappens entscheidendem Überholmanöver in der 1293. und letzten WM-Runde dabei. Der Marktanteil lag bei 87 Prozent. An diesem Abend fühlten sich alle der "Orange Army" zugehörig – den Fans, die mit dem neuen Champion um die Welt zu reisen pflegen. (Sigi Lützow, 13.12.2021)