Rein rechtlich ist der Vorteil klar bei der Wiener SPÖ. Wären die Baustellen für die sogenannte Stadtstraße durch junge Aktivistinnen und Aktivisten nicht besetzt, würde hier längst gebaggert, geschaufelt und später asphaltiert werden. Die 3,2 Kilometer lange Straßenverbindung zwischen Südosttangente und Seestadt Aspern gilt als Grundvoraussetzung dafür, tausende Wohnungen in Stadtentwicklungsgebieten jenseits der Donau errichten zu können. Und um das durchzusetzen, ist den Wiener Roten einiges recht.

Wären die Baustellen für die Stadtstraße durch junge Aktivistinnen und Aktivisten nicht besetzt, würde hier längst gebaggert werden.
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Nach Monaten des Duldens haben Aktivistinnen und Aktivisten Ende der vergangenen Woche zunächst Besuch von der Polizei im Protestcamp und dann Post vom Anwalt bekommen – beides auf Betreiben der SPÖ. Die Quintessenz des Schreibens auf gut Wienerisch: Schleichts euch. Sofort. Oder es hagelt Klagen. Selbst eine 13-jährige und eine 14-jährige Schülerin wurden darüber informiert, dass eine "solidarische Haftung sämtlicher beteiligter Aktivist*innen für den gesamten Schaden" bestehen könnte.

Die Einschüchterungsbriefe erhielten übrigens nicht nur Mitglieder von Organisationen, die die Baustellen besetzen, sondern auch Personen, die den Protest auf sozialen Medien unterstützen. Verwarnt wurde laut SPÖ-Anwalt Hannes Jarolim, wessen Name und Adresse sich im Netz auffinden ließ.

Klagsdrohungen

Die möglichen Klagsdrohungen bezeichnete Verkehrsstadträtin Ulli Sima als "Signal", das man an die Besetzer aussenden musste. Das ist, mit Verlaub, Unfug. Und damit machen es sich die Roten zu leicht und werden ihrem Ruf als Betonfraktion gerecht. Kein einziges Mal ließen sich bisher Sima oder auch Stadtchef Michael Ludwig dazu herab, ein Gespräch auf Augenhöhe mit den jungen Aktivisten zu suchen. Es wäre, das muss man einräumen, wohl ein Spießrutenlauf für die Spitzenpolitiker geworden: Aber um Überzeugungsarbeit zu leisten, müssen bisweilen auch temporär gewählte Führungskräfte dorthin gehen, wo es wehtut.

Dazu kommt, dass auch der SPÖ-Nachwuchs gegen den Bau von Lobautunnel und Stadtstraße auftritt. Ein Antrag etwa der Jungen Generation (JG) hätte wohl beim roten Landesparteitag Ende November für Aufregung gesorgt. Gefordert werden statt der Straßenprojekte neue Straßenbahnen, der Ausbau von Schnellbahnen und dichtere Busintervalle in der Donaustadt. Der Landesparteitag der Wiener SPÖ wurde pandemiebedingt aber auf das kommende Jahr verschoben.

Die Sorgen der jungen Aktivistinnen und Aktivisten müssen ernst genommen werden. Sie werden zum Großteil länger auf diesem Planeten leben als die heutige Politikergeneration.

Mag sein, dass die Stadtstraße notwendig ist, um leistbaren Wohnraum zu schaffen. Die Stadtregierung muss den Jungen aber auch plausibel erklären, wieso das nicht mit einem massiven Öffi-Ausbau zu schaffen ist. Und warum kommen weitere Öffis nicht vor der Stadtstraße? Diese zusätzlichen Meter zur Entscheidungsfindung muss Wiens SPÖ bereit sein zu gehen. Klagsdrohungen sind da nicht förderlich. (David Krutzler, 13.12.2021)