Die Zustimmung zur Demokratie an sich ist hoch, das politische System ist in Österreich aber mit einem massiven Vertrauensverlust konfrontiert.

Foto: Imago images/Zimmermann

Das Vertrauen der österreichischen Bevölkerung in das politischen System ist aktuell im Keller. 58 Prozent waren Ende 2021 der Meinung, dass das politische System weniger oder gar nicht gut funktioniert. Das geht aus dem Österreichischen Demokratiemonitor hervor – einer repräsentativen Befragung des Sozialforschungsinstituts Sora, die nun das vierte Jahr in Folge durchgeführt wurde. Das Vertrauen in die Politik ist im zweiten Pandemiejahr gegenüber 2020 in allen sozialen Schichten gesunken – allerdings von stark unterschiedlichen Niveaus aus.

Foto: Sora

Besonders deutlich zeigt sich das Wegbrechen des Vertrauens im oberen und mittleren Einkommensdrittel. 2020 gaben noch 78 Prozent der Besserverdiener und 70 Prozent der Menschen mit mittlerem Einkommen an, dass das politische System gut funktioniert; mittlerweile sind die Werte auf 54 respektive 42 Prozent gefallen.

Foto: Sora

Dennoch bleibt das Vertrauen in diesen Gruppen deutlich höher als im untersten Einkommensdrittel der Befragten, in dem ein massives Misstrauen gegenüber dem politischen Betrieb vorherrscht. Nur 31 Prozent dieser Gruppe sagen, dass das System funktioniert.

Wie sehr sich diese Gruppe der Niedrigverdiener sozial und politisch im Stich gelassen fühlt, manifestiert sich auch in anderen Antworten aus der Sora-Studie. 84 Prozent fühlen sich als "Menschen zweiter Klasse behandelt" – und nahezu ebenso viele sehen Menschen wie sich im Parlament eher nicht vertreten. Nur ein Fünftel erlebt zumindest hin und wieder, dass bei politischen Entscheidungen seine Lebensumstände einbezogen werden. Für Studienautorin Martina Zandonella ein höchst besorgniserregender Befund mit demokratiepolitischem Zündstoff: "Wird politische Gleichheit zu einem Privileg der Bessergestellten, widerspricht dies der grundlegenden Idee von Demokratie."

In der oberen Einkommensschicht urteilen immerhin 67 Prozent der Befragten, dass Menschen wie sie im Parlament vertreten sind, aus dem mittleren Drittel etwas mehr als die Hälfte. Wer sich im Parlament vertreten fühlt, vertraut viel eher dem politischen System – dieser naheliegende Zusammenhang zeigt sich auch in den Daten (siehe unten).

Im politischen Umgang mit der Pandemie mehrte sich laut Demokratiemonitor allerdings auch in den besser situierten Kreisen die Erfahrung politischer Ohnmacht und des Nichtgesehenwerdens bei Entscheidungen.

Einschnitt ÖVP-Chats

Eine Besonderheit des diesjährigen Demokratiemonitors: Es wurden zwei Befragungswellen durchgeführt. Die erste regulär von August bis Anfang Oktober telefonisch sowie online mit rund 2.000 Personen. Kurz darauf kam es allerdings zu den Razzien im höchsten ÖVP-Regierungsumfeld samt Publikwerden der Inseratenkorruptionsaffäre. Sora befragte deshalb Ende November 500 Personen noch einmal, um die Relevanz dieses Einschnitts zu ermessen, hinzu kam in der Phase trotz gegenteiliger Ankündigung auch noch die Verhängung des vierten generellen Lockdowns. Tatsächlich zeigte sich in der Nachbefragung bei allen Vertrauenswerten ein Abfall, der die ohnehin schlechten Ergebnisse 2021 noch nach unten gedrückt hat.

Überdies haben die Chats des türkisen Führungszirkels rund um Sebastian Kurz in der Wahrnehmung der Bevölkerung auf das gesamte politische System negativ ausgestrahlt. Waren zwischen August und Oktober "nur" 71 Prozent der Meinung, dass Korruption in der österreichischen Politik ein großes Problem darstellt, sind es im jüngsten Zeitraum 89 Prozent.

Foto: Sora

Jeder Vierte meint, dass die Chats typisch für alle Parteien seien, wohingegen nur 16 Prozent bloß "eine Partei" – also wohl die ÖVP – betroffen sehen. Sozialforscherin Zandonella wertet diese Antworten als Beleg, dass Entgleisungen politischer Eliten einen Gesamtschaden für die politische Parteienlandschaft nach sich ziehen.

Überwiegendes Ja zur Demokratie

Trotz aller Enttäuschungen über die konkrete politische Realität ist bei den Befragten keine Abkehr von demokratischen Überzeugungen zu sehen. Wie bei allen Erhebungen des Demokratiemonitors seit 2018 erklärten knapp 90 Prozent, dass sie die Demokratie für die beste Staatsform halten.

Foto: Sora

Um die Realität dem Ideal mehr anzugleichen, stellt sich die Mehrheit der Befragten auch hinter Forderungen zur Stärkung der Demokratie; 64 Prozent wünschen sich etwa mehr Transparenz im Regierungshandeln.

Autoritär Eingestellte gegen Covid-Politik

Laut Sora ist auch kein Anstieg bei der Präferenz für autoritäre Modelle samt "starkem Führer" zu verzeichnen. Allerdings lässt sich innerhalb der knapp zehn Prozent umfassenden Minderheit mit autoritären Einstellungen eine schärfer werdende Abneigung gegen die Demokratie feststellen. Besonders auffällig: Als ihr wichtigstes Anliegen nennen praktisch alle Menschen aus dieser Gruppe die Gegnerschaft zu den Pandemiemaßnahmen und zur Impfung. Auch in der klar prodemokratischen Gruppe lehnt ein Teil die Corona-Maßnahmen eher ab, rund zwei Drittel zeigen sich hier aber tendenziell zustimmend. (Theo Anders, 14.12.2021)