In Österreich sind 947.000 Menschen auf Pflege oder Betreuung durch andere Personen angewiesen. Rund 800.000 von ihnen werden zu Hause gepflegt beziehungsweise betreut – das sind 84,6 Prozent. Diese Zahlen gehen aus der Studie "Angehörigenpflege in Österreich" des Sozialministeriums aus dem Jahr 2018 hervor. Meist sind es weibliche Angehörige, mehr als ein Drittel davon berufstätig, die sich dieser Aufgaben annehmen. Viele von ihnen klagen über die hohe Belastung, die mit der Pflegetätigkeit einhergeht.

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Heimpflege fordert Betreuende sowie Betreute teils stark. Neben gesundheitlichen Problemen erschwert oft mangelnde Einsicht in die eigene Krankheit die Lage.
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Das österreichische Unternehmen Lica Life Care entwickelt eine App, die pflegende Angehörige, aber auch gewerbliche Personenbetreuer bei der Heimpflege unterstützen soll. Die App dokumentiert beispielsweise Wege zum Arzt oder zu Therapien, aber auch Daten der zu pflegenden Personen wie Körpergewicht und Blutdruckwerte.

Konkrete Ratschläge

Die App soll künftig auch konkrete Empfehlungen in bestimmten Situationen geben. Wissenschaftliche Unterstützung erhält das Unternehmen dabei von der Fachhochschule Gesundheitsberufe Oberösterreich. Aufgabe des siebenköpfigen FH-Teams ist es, drei bis fünf Anwendungsfälle typischer Pflegesituationen in einem sehr hohen Detailgrad zu definieren. Der Ansatz ist dabei interdisziplinär gewählt.

"Das Projekt hat zwar den Schwerpunkt auf dem pflegerischen Blickwinkel, dies aber stets in Kombination mit den Disziplinen Diätologie, Physiotherapie, Ergotherapie und Logopädie", so Co-Projektleiterin Astrid Figl-Hertlein von der oberösterreichischen FH. Das Projekt hat im September begonnen und soll ein Jahr laufen. Ausgangspunkt ist eine Literaturrecherche, um besonders häufige Diagnosen und Symptome zu identifizieren.

Problem-Profil

Pflegebedürftige Menschen sind häufig schon älter und weisen Einschränkungen ihrer körperlichen Beweglichkeit oder der Mobilität auf. Oft leiden sie an Demenz oder Alzheimer. Typisch sind außerdem kognitive Defizite wie Wortfindungsstörungen, Orientierungsprobleme und Vergesslichkeit. Relevant für die Beschreibung der Anwendungsfälle ist außerdem das soziale Umfeld. Gibt es einen Lebenspartner? Oder Kinder? Können diese bei der Pflege unterstützen?

Nicht zuletzt spielt die konkrete Wohnsituation eine Rolle, sowohl hinsichtlich der Barrierefreiheit innerhalb der eigenen vier Wände, aber auch soweit es die Erreichbarkeit von Ärzten oder Therapieeinrichtungen betrifft. Aus all diesen und noch weiteren Faktoren erstellen die Forscher der FH beispielhafte, dabei aber sehr detailliert beschriebene Profile von pflegebedürftigen Menschen und deren Problemen.

Stress und Schamgefühle

Neben körperlichen und emotionalen Symptomen werden auch Verhaltenssymptome berücksichtigt. So sind etwa Stimmungsschwankungen, Aggressivität, fehlende Einsicht in die eigene Erkrankung oder ein umgekehrter Schlaf-Wach-Rhythmus hinreichend dokumentierte Phänomene, mit denen pflegende Personen umgehen müssen.

"Pflegende Angehörige haben oft ein Wissensdefizit, weil sie in kurzer Zeit nicht genug aufgeklärt werden können", meint Figl-Hertlein. "Viele sind deshalb von der Situation überfordert und leiden unter chronischem Stress." Gefühle wie Zukunftsängste, Scham oder Ekel sind keine Seltenheit bei ihnen.

Sensible Grenzziehung

Die detaillierten Anwendungsfälle verstehen sich laut der Forscherin als "theoretisch-konzeptionelle Resultate", die einerseits auf wissenschaftlicher Fachliteratur und dokumentierten Fallstudien, aber auch auf dem Praxiswissen der am Projekt beteiligten Experten basieren. Sie sollen die Entwickler von Lica Life Care in die Lage versetzen, relevante Ratschläge in die App zu implementieren, ohne jedoch die sensible Grenze zu medizinischen Empfehlungen zu überschreiten.

"Weil zu pflegende Personen kranke Menschen sind, ist es ein schmaler Grat zwischen verallgemeinerbaren gesundheitsförderlichen Tipps und medizinischen Ratschlägen", sagt Figl-Hertlein. "Die App soll eine Beratung für pflegende Personen bieten und ihren Alltag erleichtern." (Raimund Lang, 4.1.2022)