Dutzende Waldbewohner brauchen Baumhöhlen zum Überleben, insbesondere angesichts des Klimawandels.

Foto: Jana Petermann

Bei einem Waldspaziergang fallen sie einem mitunter ins Auge: kleine, wassergefüllte Baumhöhlen, in denen man als Kind vielleicht die Badestelle von Kobolden oder Elfen vermutet hätte. Magische Wesen lassen sich darin zwar nicht nachweisen, wohl aber verschiedene Insekten. Größere Waldtiere nutzen sie außerdem zum Trinken und manchmal auch zum Baden. Die Mikrohabitate, die wissenschaftlich Dendrotelme heißen, dienen derzeit weltweit als Studienobjekte, um den Einfluss der Waldbewirtschaftung auf die Biodiversität zu untersuchen.

Prinzipiell können Höhlen an beziehungsweise in einem Baum auf zweierlei Weise entstehen: entweder durch die Wuchsform oder durch eine Schädigung. Je nach ihrer Form und Größe und den herrschenden Niederschlagsverhältnissen sammelt sich in ihnen zumindest für einige Zeit Regenwasser. Das macht sie zur Kinderstube für manche Insektenarten, die zu schätzen wissen, dass es hier keine Fische gibt, die ihre Brut fressen könnten. In erster Linie handelt es sich dabei um diverse Fliegen- und Mückenarten, doch sind auch Käfer dabei, wie etwa der Sumpffieberkäfer (Prionocyphon serricornis), dessen Larven ausschließlich in Dendrotelmen leben.

Daneben beherbergen die Höhlungen auch kleine Krebstiere, Würmer und diverse Mikroorganismen, die jedoch bisher wenig untersucht sind – ebenso wie die Auswirkungen, die verschiedene Formen der Waldbewirtschaftung auf all diese Organismen haben.

Künstlicher Mikrokosmos

Das soll sich nun ändern: Unter Schweizer und brasilianischer Führung arbeiten seit dem Vorjahr 78 Forscherinnen und Forscher aus 28 Ländern weltweit in dem Projekt Microcosm zusammen, bei dem sie Baumhöhlen und deren Bewohner näher unter die Lupe nehmen. Um die Daten möglichst vergleichbar zu machen, werden dabei aber keine natürlichen Höhlen betrachtet, sondern sogenannte Mikrokosmen. Dabei handelt es sich um Standardisierte Plastikgefäße mit einem Fassungsvolumen von 800 Millilitern, die ähnliche Lebensbedingungen bieten.

Anhand deren Besiedlung durch verschiedene Organismen, vor allem Insekten, wird untersucht, wie sich die Artenzusammensetzung mit der jeweiligen forstlichen Nutzung verändert. In Österreich nehmen der Wassercluster Lunz (WCL) und die Universität Salzburg an dem Projekt teil.

In Lunz werden dabei an je zwanzig Bäumen im unbewirtschafteten Wildnisgebiet Dürrenstein und in einem nahe gelegenen Wirtschaftswald die oben beschriebenen Mikrokosmen angebracht. Denselben Versuch führte Jana Petermann vom Fachbereich für Biowissenschaften der Universität Salzburg im Wienerwald durch. Nach drei Monaten, während derer Temperatur und Niederschlag kontinuierlich mitgeloggt werden, werden die Bewohner der Dendrotelme gezählt, bestimmt und dokumentiert.

Mangel im Fichtenhain

Wie Petermann, die auch zum Leitungsgremium des Projekts gehört, und Kollegen bei einer Untersuchung in Deutschland zeigen konnten, weisen die Minilebensräume im Naturwald und im Forst deutliche Unterschiede auf. Die Forscher erfassten insgesamt 123 natürliche Baumhöhlen in drei deutschen Regionen und erhoben deren Besiedlung durch Insekten.

Dabei stellte sich unter anderem heraus, dass sich intensives Holzfällen negativ auf die Häufigkeit von Insekten auswirkt. Das dürfte daran liegen, dass die Entnahme vieler Bäume die Menge an Falllaub reduziert, von dem sich die meisten Baumhöhlenbewohner ernähren. Auch die Verfügbarkeit von Höhlen wird – zumindest indirekt – von der Bewirtschaftung beeinflusst. So bilden sich in Nadelbäumen deutlich weniger oft Dendrotelme als in Laubbäumen. In den üblicherweise aus Fichten bestehenden Wirtschaftswäldern sind diese Habitate also eher Mangelware als etwa in Buchenwäldern.

Große Flügelspannweite

Das Vorhandensein beziehungsweise Fehlen von Baumhöhlen in einem Gebiet hat seinerseits Auswirkungen auf die Zusammensetzung der jeweiligen Insektengemeinschaft darin: So fanden Petermann und ihre Kollegen in Wäldern mit weit auseinanderliegenden Baumhöhlen Insektenarten mit verhältnismäßig großer Flügelspannweite: "Die Flügellänge spielt eine Rolle dabei, wie weit die erwachsenen Tiere fliegen und sich ausbreiten können", erklärt Petermann den Zusammenhang. Gleichzeitig handelte es sich dabei oft um Spezies, die als Eier, Larven oder Puppen überwintern können, während die meisten bei guter Wohnungslage das nur im Larvenstadium tun.

Auch das dürfte bei geringem Habitatangebot von Vorteil sein: Arten mit unterschiedlichen Überwinterungsstadien sind flexibler, wie Petermann ausführt. In Kombination mit den längeren Flügeln könnte das im Frühjahr bedeuten, dass sie die dünn gesäten Höhlen als Erste besetzen können und so einen Wettbewerbsvorteil haben. Das gilt übrigens auch für Mikrokosmen: Sie weisen zwar eine andere Artenzusammensetzung auf als natürliche Baumhöhlen, aber sonst dieselben Bewirtschaftungseffekte.

Was aber haben die Vorgänge in diesen Minilebensräumen mit dem sie umgebenden Wald zu tun? Lassen sich aus dem Verhalten mehr oder weniger spezialisierter Insekten wirklich Rückschlüsse aufs große Ganze ziehen? Diese Frage beantwortet Petermann definitiv mit Ja: "Es hat sich mehrfach gezeigt, dass die Artenvielfalt in den Dendrotelmen mit der anderer Habitate im Wald in Zusammenhang steht."

Neue Arten entdecken

Ganz angekommen ist die Idee zwar noch nicht bei allen Ökologen, aber Petermann und ihre Kollegen hoffen, dass das Microcosm-Projekt für die globale Anerkennung dieser Zusammenhänge sorgt. In jedem Fall werden die Ergebnisse aller Teams am Schluss auf Muster, Gemeinsamkeiten und Unterschiede untersucht. Petermann sieht dabei auch die Chance, neue Arten zu entdecken, vor allem in den Tropen, aber vielleicht sogar in Europa, "weil da hat bis jetzt niemand so genau hingeschaut".

Größere Tiere dürften nicht dabei sein, denn für sie sind die Baumhöhlen im Normalfall zu klein. Das heißt aber nicht, dass sie die Wasserstellen nicht nutzen: In einer kürzlich abgeschlossenen Studie in deutschen Wäldern fanden Petermann und Kollegen insgesamt elf Säugetier- und 17 Vogelarten sowie eine Amphibienart, die die Dendrotelme zur Nahrungssuche, zum Trinken und teilweise auch zum Baden verwenden.

Die häufigsten Säugetiere waren dabei Eichhörnchen, Gelbhals-Mäuse und Siebenschläfer, während bei den Vögeln Baumläufer, Buchfink und Rotkehlchen führten. Die Studie erfolgte im heißen und trockenen Sommer 2019, währenddessen die Tiere die Wasseransammlungen oft sogar mehrmals am Tag aufsuchten.

Die Miniwasserstellen haben also offensichtlich einen hohen Stellenwert für diese Arten. Mit der erwarteten Zunahme von Hitzeperioden in der Zukunft könnte ihre Bedeutung noch weiter steigen. (Susanne Strnadl, 9.1.2022)