Am Mittwoch kommen die US-Währungshüter zusammen, am Donnerstag die Europäische Zentralbank (EZB) sowie ihr britisches Pendant. Auf der Agenda steht eine heikle Frage: Ist es Zeit, die Geldpolitik zu straffen, um der jüngst stark angestiegenen Inflation entgegenzuwirken? Oder sollten die Geldschleusen angesichts der drohenden Omikron-Welle weiterhin weit geöffnet bleiben, um der Wirtschaft durch unsichere Zeiten zu helfen? Die Währungshüter dürften unterschiedliche Ansätze wählen, wie sich abzeichnet. Ein Überblick.

Frage: Im November betrug die Inflation in der Eurozone 4,9 Prozent. War das der Höhepunkt der Teuerung?

Antwort: Das ist schwer zu beantworten. Josef Baumgartner vom Wifo etwa erwartet, dass die Teuerung zumindest bis zum Ende des ersten Quartals des nächsten Jahres hoch bleiben wird. Aber was sich sagen lässt: Wesentlich teurer wurden in Europa zuletzt vor allem Produkte mit einem hohen Importgehalt. Das bedeutet, dass Produktionsengpässe und Lieferschwierigkeiten der Grund für die gestiegene Inflation sind. Die Preise signalisieren, dass bestimmte Produkte gerade ziemlich knapp sind. Es gibt zwar bereits Anzeichen, dass sich die weltweiten Lieferketten erholen. Es ist aber gut möglich, dass Omikron die Erholung verzögert.

Die Europäische Zentralbank erwartet, dass die Inflation im kommenden Jahr wieder zurückgehen wird.
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Frage: Warum sind manche Länder so stark von Inflation betroffen?

Antwort: Die weltweiten Engpässe bekommen so gut wie alle Länder zu spüren. Aber es gibt auch Unterschiede zwischen den Staaten. In den USA ist die Inflation mit fast sieben Prozent deutlich höher als in Europa, was auch an staatlichen Investitionsprogrammen und Geldspritzen etwa für Arbeitslose liegen dürfte. Die Nachfrage erholt sich nicht nur, sie wurde auch noch kräftig angeschoben. Extremfälle wie die Türkei, dort lag die Inflation im November über 21 Prozent, haben nur bedingt mit der Situation auf den Weltmärkten zu tun. Präsident Recep Tayyip Erdogan mischte sich immer wieder in die Geldpolitik der türkischen Notenbank ein. Nicht zuletzt haben geldpolitische Fehlentscheidungen die Inflation in dem Land befeuert.

Frage: Wie ist die Situation in Österreich?

Antwort: In Österreich lag die Inflation im November bei 4,3 Prozent, der höchste Wert seit 1992. Hauptverantwortlich für die derzeit starke Teuerung sind Preisschübe bei Heizöl und bei Treibstoffen. Heizölpreise stiegen im Vergleich zum Vorjahr etwa um mehr als 60 Prozent. Anders sieht es bei Lebensmitteln aus, hier gab es zuletzt nur einen moderaten Preisanstieg. Ökonom Baumgartner erwartet, dass Öl im ersten Quartal von Strom und Gas als Inflationstreiber abgelöst werden wird. Aber nicht nur die Haushalte, auch die Industrie wird mehr für Energie zahlen müssen. Das wird sich dann letztendlich auch in den Konsumgüterpreisen wiederfinden.

An den Zapfsäulen ließ sich die Teuerung letzthin in Echtzeit beobachten. Auch wenn die Ölpreise wieder sinken, dürften Gas und Strom zunächst als Inflationstreiber einspringen und die Teuerung hoch halten.
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Frage: Ist die gestiegene Inflation bloß ein statistischer Effekt?

Antwort: Die Inflation wird berechnet, indem das Preisniveau eines Zeitraums mit demselben Zeitraum im Vorjahr verglichen wird. Die Oktober-Inflation 2021 drückt aus, wie stark die Preise im Vergleich mit Oktober 2020 gestiegen sind. Damals waren zahlreiche Staaten im Lockdown. In Europa gingen die Preise sogar zurück, was auch an der Mehrwertsteuersenkung in Deutschland lag. Die Inflation betrug minus 0,3 Prozent. Dass sie zuletzt in die Höhe schoss, liegt auch am "Basiseffekt". Im Vergleich zu 2020 lag die Oktober-Inflation in der Eurozone bei knapp über vier Prozent, verglichen mit 2019 bei knapp unter zwei Prozent. Das heißt nicht, dass die Zentralbank nicht genau auf die Preisentwicklung achten sollte, wie Ökonom Philipp Heimberger vom Wiener Institut für internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW) betont. Aber es lässt den Anstieg etwas weniger dramatisch aussehen. Die EZB erwartet, dass die Inflation im kommenden Jahr mehr als zwei Prozent betragen wird. Laut ihrem Mandat soll sie die Teuerung bei zwei Prozent halten.

Frage: Was kann die Europäische Zentralbank gegen die Inflation tun?

Antwort: Sie kann wenig gegen die derzeitige Teuerung tun, sagt Heimberger. Auch wenn sie die Zinsen anhebt oder Anleihekäufe zurückfährt, ändert das an den Lieferengpässen nichts. Die Waren bleiben knapp. Grundsätzlich kann sie über den Leitzins und Wertpapierkäufe die Geldmenge in einer Volkswirtschaft steuern. Der Zins ist ein Preis für Kredite. Steigt er, werden Kredite teurer – und es werden weniger Kredite vergeben. Kauft die EZB weniger Staatsanleihen, müssen EU-Länder sich vermehrt Geld von Privaten leihen – und womöglich wesentlich höhere Zinsen zahlen.

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Die geldpolitische Sitzung der US-Notenbank findet Mittwochabend statt, einen Tag vor der Sitzung der Europäischen Zentralbank. Anders als die Europäer fürchten die US-Währungshüter, dass die Inflation in den Vereinigten Staaten kein rein temporäres Phänomen bleibt.
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Frage: Warum sieht die EZB die derzeitige Situation scheinbar so gelassen?

Antwort: Die Zentralbank betont zwar bei jeder Gelegenheit, dass die Inflation kommendes Jahr wieder zurückgehen werde. So richtig gelassen sieht sie die Situation aber nicht: Die Inflation spricht für eine Straffung der Geldpolitik, Omikron für das Gegenteil. Eine Zinserhöhung ist nicht absehbar, aber vieles deutet auf ein Auslaufen des im März 2020 beschlossenen Notfallprogramms PEPP im Frühjahr hin, das bei der Zinssitzung am Donnerstag beschlossen werden könnte. Die Liquiditätsschleuder mit einem Gesamtumfang von 1,85 Billionen Euro hat Wirtschaft und Finanzmärkte nach dem beispiellosen Pandemieschock über Wasser gehalten. PEPP ist nicht das einzige Kaufprogramm der EZB, sie wird also weiterhin Wertpapiere kaufen. Und vermutlich wird sie signalisieren, dass das man im Fall neuer Marktturbulenzen flexibel reagieren könne.

Frage: Und was wird die US-Notenbank am Mittwoch beschließen?

Antwort: Bei der geldpolitischen Sitzung der US-Notenbank (Fed) am Mittwoch dürfte der Startschuss für das Ende der Krisenpolitik fallen. Fed-Chef Jerome Powell hat das im Kongress bereits signalisiert. Die Wirtschaft sei sehr stark und zugleich der Inflationsdruck hoch, lautet die Einschätzung der Notenbank. Anders als die Europäer hat die Fed inzwischen die Sorge, dass sich der vermeintlich temporäre Preisanstieg verfestigen könnte. Folglich könnte das Ende der Anleihenkäufe auf März vorgezogen werden – was wiederum die Voraussetzung für eine Zinswende ist.

Frage: Gibt es etwa Anzeichen für eine Lohn-Preis-Spirale?

Antwort: Wenn Beschäftigte mit dauerhaft höheren Preisen rechnen, werden sie höhere Löhne verlangen. Gestiegene Personalkosten und eine angesichts höherer Einkommen größere Nachfrage verleiten wiederum Unternehmen dazu, die Preise anzuheben. Diesen Mechanismus nennt man Lohn-Preis-Spirale. In Europa gibt es derzeit keine Anzeichen dafür. Laut Ökonom Heimberger liegt das auch an der Kurzarbeit, auf die in Europa während der Krise vielfach gesetzt wurde. Während in Europa Beschäftigte trotz stillstehender Wirtschaft ihre Jobs oft behielten, wurden in den USA während der Krise viel mehr Menschen arbeitslos. Um diese zurück in Beschäftigung zu holen, müssen Unternehmen in Amerika nun angesichts gestiegener Preise wesentlich höhere Löhne zahlen als vor Ausbruch der Pandemie. Ob eine Lohn-Preis-Spirale in Gang kommt, muss sich erst zeigen. In Österreich haben Lohnrunden im Herbst jedenfalls gezeigt, dass keine anhaltende Inflation erwartet wird. In vielen Branchen wird das Realeinkommen nächstes Jahr trotz Lohnsteigerungen sinken. Spannend wird, ob die Gewerkschaften 2022 deutlich höhere Lohnsteigerungen verlangen.

Mit einem Danke gaben sich die Verhandlungsführer der Arbeitnehmerseite im Herbst nicht zufrieden, aber die Lohnrunde der Metaller zeigte, dass man in Österreich nicht mit einer sich verfestigenden Inflation rechnet. Freilich kann sich das ändern. Experten sind heute schon gespannt auf die Lohnrunden im nächsten Herbst. Wenn die Inflation bis weit ins kommende Jahr hinein hoch bleibt, dürften von Gewerkschaftsseite entsprechend große Lohnerhöhungen eingefordert werden.
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Frage: Und was ist mit den Immobilienpreisen, die immer weiter steigen?

Antwort: Kritiker der EZB-Politik der vergangenen Jahre weisen oft darauf hin, dass die lockere Geldpolitik zu Inflation in Märkten führt, die nicht in den Verbraucherpreisen abgebildet sind. So fließt etwa immer mehr Geld in Aktien oder Immobilien, weil sichere Wertpapiere wie Staatsanleihen keine attraktiven Renditen bringen. An den Börsen ging es in den vergangenen Monaten bergan, Immobilien werden bereits seit Jahren teurer und teurer. Für die EZB ist dabei relevant, ob es zu erhöhten Finanzmarktrisiken kommt. Das ist laut vorherrschender Ansicht nicht der Fall, Experten sehen keine Blase etwa am Immobilienmarkt.

Frage: Ist Inflation eigentlich gut oder schlecht?

Antwort: Wenn die Preise in einem kurzen Zeitraum stark steigen, muss das noch kein Problem sein, solange die Wirtschaftsteilnehmer mit einer baldigen Normalisierung rechnen. Es gibt jedenfalls einen Grund, weshalb die Europäische Zentralbank eine Inflation von zwei Prozent anstrebt. Eine moderate Inflation ist gut für die Wirtschaft. Wenn Geld mit der Zeit weniger Wert wird, wird mehr ausgegeben beziehungsweise investiert. Sinken die Preise, warten Unternehmen und Konsumenten mit ihren Ausgaben, das kann die Wirtschaft abwürgen. Allerdings bedeutet Geldentwertung auch, dass es schwieriger wird, Vermögen anzusparen. Steigen die Preise schneller als die Löhne, verlieren Menschen jedenfalls real an Einkommen. Das kann im Extremfall nicht nur zu Hunger und Armut führen, sondern auch zu politischer Unruhe.

Frage: Inflation wird immer öfter mit der Klimakrise in Verbindung gebracht. Warum eigentlich?

Antwort: Die EZB warnt schon länger vor den Folgen der Klimakrise auf die Geldpolitik. Aus Sicht der Zentralbank kann ein klimabedingter Strukturwandel im Finanzsystem beeinträchtigen, wie wirksam die Geldpolitik ist. Dürren, Starkregenereignisse oder Frost können mitunter ganze Ernten vernichten, wodurch Lebensmittelpreise in die Höhe schnellen, argumentiert die EZB. Das sei nicht zwingend der Fall, wirft der Klimaökonom Stefan Schleicher ein. Es mache einen Unterschied, ob eine Dürre in Afrika stattfindet oder in Österreich. Hierzulande könne man die Schäden nach wie vor kompensieren. Global gesehen sieht er eine Bedrohung in der Ausbreitung von Schädlingen. Die Lösung: die Sortenvielfalt möglichst zu erhalten.

Der Klimawandel macht Dürren häufiger und damit auch Ernteausfälle. In Europa dürfte sich das höchstens moderat auf die Lebensmittelpreise auswirken, in weniger entwickelten Ländern wesentlich stärker.
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Frage: Was unternimmt die EZB?

Antwort: Die Zentralbank hat im Juli 2021 einen Aktionsplan vorgelegt, der festlegt, wie der Beitrag zur Bekämpfung der Klimakrise aussehen soll. So sollen künftig klimabezogene Kriterien in die Geldpolitik des Instituts einfließen. Die Frage, ob eine Zentralbank in die Klimapolitik eingreifen soll, hat in der Vergangenheit durchaus für Diskussionen gesorgt.

Frage: Energie ist ein Inflationstreiber. Was bedeutet der CO2-Preis für die Inflation?

Antwort: Im Vergleich zu den stark schwankenden Energiepreisen fällt der geplante CO2-Preis nicht schwer ins Gewicht, argumentiert Schleicher. Im vergangenen Monat ist der Schwankungsbereich am Treibstoffmarkt höher gewesen als der zu erwartende Effekt der CO2-Bepreisung. Für Konsumenten sei entscheidend, wie viel sie insgesamt für Heizen und Mobilität ausgeben. Der starke Preisschub könne zumindest teilweise kompensiert werden: Beim Autofahren könne einiges durch weniger Kraft am Gaspedal und Wegemanagement, beim Heizen durch bewusstes Kontrollieren des Thermostats wettgemacht werden. (Nora Laufer, Aloysius Widmann, 15.12.2021)