Die schweren Tornados zogen vergangene Woche eine Spur der Verwüstung durch mehrere US-Bundesstaaten.

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Tornados sind in den USA eigentlich nichts Ungewöhnliches – mehr als 1200 fegen jedes Jahr durch das Land. Ein Wirbelsturm wie jener, der vor wenigen Tagen mindestens 88 Todesopfer in Kentucky und weiteren Bundesstaaten gefordert hat, ist allerdings äußerst selten.

Im Normalfall treten die Stürme hauptsächlich zwischen April und Juni auf. Im Dezember sind sie selten – vor allem in jener Stärke: Der Tornado wurde auf der fünfstelligen Skala mit Stufe 4 bewertet; nach Begutachtung aller Schäden könnte er sogar auf die höchste Stufe gehoben werden.

Mehr Tornados

Für Georg Pistotnik, Klimaforscher der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG), sind die Geschehnisse in den USA "ein sehr außergewöhnliches Ereignis". Ein so starker Tornado fand in den USA im Dezember zuletzt 2014 statt, einer der fünften und damit höchsten Stufe in den 1950er-Jahren – also zu Beginn der offiziellen Tornado-Aufzeichnungen in den Vereinigten Staaten.

Gibt es einen direkten Zusammenhang zwischen dem heurigen Dezember-Tornado und der Erderwärmung? "Es ist schwierig, Trends herauszulesen", erklärt Pistotnik. Allgemein gilt: Wird es wärmer, entsteht mehr Wasserdampf und mehr Energie, was für eine steigende Gewitterbildung sorgt. Global sei also damit zu rechnen, dass die Zahl der Tornados steigt. Einzelne regionale Phänomene könne man allerdings nur schwer direkt mit der Klimakrise in Verbindung bringen.

Nebel und Unfälle

Nicht gesichert ist nämlich etwa, ob durch die steigende Erdtemperatur auch die sogenannten Scherwinde öfter auftreten – jene veränderten Windgeschwindigkeiten und -stärken, die es ebenfalls für die Entstehung eines Tornados braucht. James Elsner von der Florida State University verglich im US-Medium The Hill Klimawandel und Tornados mit Nebel und Autounfällen: "Es könnten bei nebeligem Wetter mehr Unfälle passieren, aber man würde nicht sagen, dass der Nebel die Unfälle verursacht hat."

Langfristig ist davon auszugehen, dass Tornados im Norden der USA und auch im Norden Europas zunehmen werden. In Europa werden im Schnitt rund 300 bis 400 Tornados im Jahr registriert, in Österreich sind es laut Pistotnik durchschnittlich vier. In ihrer Intensität sind sie aber nicht mit jenen in den USA vergleichbar.

Prinzipiell werden auch deshalb mehr Tornados registriert, weil sich schlichtweg die Dokumentationsmethoden verbessert haben. Zu dem Schluss kam eine Studie im Fachmagazin Nature im Jahr 2016. Es wurden deshalb in den vergangenen Jahren auch schwächere Tornados in die Statistik aufgenommen. Vermehrt aufgetreten sind aber sogenannte Cluster – das bedeutet, dass mindestens sechs Tornados binnen sechs Stunden entstehen. Und diese waren für einen Großteil der Sturm-Todesopfer in den USA verantwortlich. Rund 110 Menschen sterben im Durchschnitt jährlich durch Tornados.

Frühwarnsysteme

Die hohe Todeszahl bei dem aktuellen Fall könne laut Pistotnik darauf zurückzuführen sein, dass der Tornado in der Nacht auftrat. In den USA herrsche eigentlich ein hohes Bewusstsein über Tornados, sagt der Experte. Die Menschen seien daran gewohnt, häufig vor Stürmen gewarnt zu werden, um beispielsweise im Keller Schutz zu suchen.

Im Gegensatz zu Hurrikans – die einen weiten Weg über Wasser zurücklegen – sind Tornados aber dennoch nur schwer vorherzusagen. Während US-Behörden untersuchen, ob ausreichend Vorbereitungen für die Stürme in der vergangenen Woche getroffen wurden, sind sich viele Expertinnen und Experten einig, dass es nicht zu wenige Warnungen gegeben habe, sondern die Menschen zu wenig reagiert hätten.

Besuch des Präsidenten

So wurden in den vergangenen Tagen Vorwürfe laut, dass die 110 Personen in der Nachtschicht der Kerzenfabrik in Kentucky nicht hätten arbeiten sollen. Überlebende erzählten etwa der New York Times, dass sie die ganze Nacht über Sirenen gehört hätten. Dutzende Arbeiterinnen und Arbeiter starben in den Trümmern der Fabrik.

Bereits am Montag hatte der Gouverneur von Illinois angekündigt, dass der Einsturz des Amazon-Lagers in Edwardsville untersucht werden soll.

Heute, Mittwoch, will US-Präsident Joe Biden nach Kentucky ins Katastrophengebiet reisen. Er soll dort unter anderem Mayfield besuchen, wo sich die zerstörte Kerzenfabrik befindet. (Bianca Blei, Nora Laufer, 15.12.2021)