Das Meer ist das größte Biotop des Planeten, es bietet unzähligen Tier- und Pflanzenarten einen Lebensraum.

Foto: Getty/iStock

Fluoreszierende Haie, gefräßige Algen und gesprächige Delfine sind nur drei der faszinierenden Kreaturen, die die studierte Meeresbiologin und Wissenschaftskommunikatorin Julia Schnetzer in ihrem neuen Buch "Wenn Haie leuchten" vor den Vorhang holt. Wie viele Forschungsschätze es noch in den Tiefen der Ozeane zu heben gibt, lässt sich nur erahnen, wenn man bedenkt, dass der Meeresboden bloß mit einer Auflösung von etwa fünf Kilometern vermessen worden ist. Zum Vergleich: Unser Nachbarplanet Mars ist durchgängig mit einer Auflösung von sechs Metern kartiert.

Schnetzers Bemühen, die Geheimnisse der Meeresforschung einem allgemeinen Publikum durch ihr Buch näherzubringen, wurde durch die Nominierung zum österreichischen Wissenschaftsbuch des Jahres, einer Initiative des Wissenschaftsministeriums, gewürdigt. Die Online-Stimmabgabe ist noch bis zum 7. Jänner auf wissenschaftsbuch.at möglich.

STANDARD: Sie haben in der Kindheit familiär bedingt viel Zeit in den Bergen verbracht. Nun haben Sie ein Buch über Meeresforschung vorgelegt – wie kam es zu Ihrer Begeisterung für das Meer?

Schnetzer: Es gibt keinen Ort, an dem ich mich wohler fühle als unter Wasser. Das Meer ist für mich wie Nachhausekommen. Es ist das die ultimative Ruhe und Entspannung, da kann ich im Moment sein. Für mich ist das Meer einfach der schönste Ort der Welt.

Julia Schnetzer, geboren 1985 in München, studierte Biologie u. a. in Köln und Merced, Kalifornien.
Foto: Gabriela Valdespino

STANDARD: Das Meer ist aber nicht nur Sehnsuchtsort, es spielt auch eine wichtige Rolle im Klimawandel. Worin besteht die?

Schnetzer: Das Meer ist ein extrem großer CO2-Speicher: Das meiste vom Menschen verursachte CO2 wurde durch die Ozeane aufgenommen. Das führt aber auch zu Problemen. Denn das Meer ist – trotz seiner Größe – keine unendliche Ressource. Das CO2 reagiert im Wasser zu Kohlensäure, und dadurch wird das Meer langsam saurer. Muscheln, Korallen oder Plankton, die Kalkschalen bauen, setzt die Säure zu, weil sie die Kalkschalen angreift. Dadurch werden wiederum Algen in Mitleidenschaft gezogen, die Photosynthese betreiben und dabei CO2 aufnehmen und durch ihr Absterben in der Tiefsee befördern. Wenn diese Algen aber durch die Übersäuerung schlechter lebensfähig sind, können sie schlechter CO2 auf den Meeresboden abtransportieren. Es kommt zu Rückkopplungen, die den Klimawandel verstärken.

STANDARD: Die Vereinten Nationen haben die 2020er-Jahre als UN-Dekade der Ozeane ausgerufen. Welche Rolle spielen die Ozeane für nachhaltige Entwicklung?

Schnetzer: Die Ozeane spielen für uns eine unglaublich wichtige Rolle, auch wenn wir vielleicht nicht direkt mit ihnen zu tun haben. Sie sind nicht nur wichtig als CO2-Speicher, sondern auch für unsere Sauerstoffproduktion: Mehr als 50 Prozent des Sauerstoffs wird in den Meeren gebildet. Abgesehen davon ist das Meer ein großer Wirtschaftsfaktor. Sehr viele Menschen leben von Meeresproteinen, hauptsächlich von Fisch. Weiters ist das Meer ein wichtiger Transportweg. Auch der Tourismus ist ein großer Wirtschaftsfaktor, von dem sehr viele Menschen abhängig sind. Daher wird geschätzt, dass mindestens eine Milliarde Menschen von einem gesunden Meer abhängig sind. Dennoch gibt es enorme Meeresverschmutzungen durch Plastik oder Öl. Das Problem ist, dass wir das Meer sehr stiefmütterlich behandeln, weil es so groß ist und weil man das Gefühl hat, man kann herausnehmen, so viel man möchte. Und man kann hineinschütten, so viel man möchte.

STANDARD: Welche Maßnahmen wären erforderlich, um die Ozeane besser zu schützen?

Schnetzer: Die Überfischung ist ein massives Problem, das meines Erachtens in den letzten Jahren aus dem Fokus gerutscht ist. Es zieht weitere Problematiken nach sich, wenn man so viele Arten aus dem System herauszieht. Ich glaube, dass wir viel größere geschützte Zonen im Meer brauchen, wo die Flora und Fauna Zeit haben, sich zu erholen. Es gibt Vorschläge, 30 Prozent des Meeres als Meeresschutzgebiet auszuschreiben. Das ist genau das, was es braucht. Aber das ist schwer umzusetzen, weil das Meer niemandem gehört und so etwas sehr schwer zu kontrollieren ist.

In ihrem Buch erzählt Julia Schnetzer von der faszinierenden Welt der Meeresforschung.
Hanser

STANDARD: In Ihrem Buch geht es Ihnen auch darum, einige Geheimnisse der Meeresforschung zu lüften. Welches fasziniert Sie besonders?

Schnetzer: Sehr spannend finde ich die Fluoreszenz unter Wasser, auf die auch der Titel des Buches Bezug nimmt. 2007 habe ich ein Praktikum in Ägypten gemacht. Da hat jemand Lampen für einen Fluoreszenz-Nachttauchgang besorgt, und da habe ich das zum ersten Mal gesehen – ein Riff, das in knalligen Farben fluoresziert. Das hat mich absolut vom Hocker gehaut.

STANDARD: Das Leben auf der Erde ist im Meer entstanden. Das Meer bietet aber auch Potenzial für unsere Zukunft – warum?

Schnetzer: Das Meer hat viel medizinisches Potenzial – etwa in Bezug auf neue Antibiotika. Weiters ist die Aquakultur von Algen interessant, um gezielt CO2 aus der Atmosphäre zu binden, aber auch als Nahrungsquelle. Andere Projekte versuchen, Algen als Alternativen für Plastik zu nutzen. Da gibt es noch viel unerforschtes Potenzial. (Tanja Traxler, 2.1.2022)