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Kirill Petrenko – konzentriert und mit Übersicht bei Schnittke und Skrjabin.

Reuters

Wien – Ein wenig rätselhaft war das kulturelle Ende des Lockdowns schon. Während das Konzerthaus bereits am Sonntag ganztägig Konzerte präsentierte, startete die Staatsoper erst am Montag mit ihrem frischen Don Giovanni, dem sie am Dienstag eine weitere Vorstellung des Schwerenöters folgen ließ. Das htte am sicher lieber anders geplant...

Auch die Philharmoniker jedenfalls wurden im Musikverein nicht früher als am ersten Wochentag aktiv. Es darf die Informationspolitik zum Lockdownende beim nächsten Schließen des öffentlichen Lebens wohl genauer ausfallen.

Welt der Brüche

Der Chef der Berliner Philharmoniker Kirill Petrenko jedenfalls, trotz absage der abokonzerte, nicht sinnlos in Wien, er motivierte die Wiener anspruchsvoll zu einer Art Stilwanderung: Bei Alfred Schnittkes Konzert für Viola und Orchester türmt sich um die winselnde, kantable, dann wieder rasende oder maschinell sich in ein Motiv verfangende Viola eine Welt der Brüche. In ihr lebt die romantische, süßliche Unschuld neben dem modernen Drama. Mussorgskis schroffe Opulenz ist da ebenso zu hören wie Bachs kontrapunktische Klarheit oder das düstere Schweben im Dreivierteltakt, bevor das Werk in einem langsamen Decrescendo seinen Geist aushaucht.

Schroffe Sache

Schnittkes Polystilistik ist beim ausdrucksstarken Antoine Tamestit gut aufgehoben. Der Bratschist vermag den Ton in Extrembereiche verzweifelter Sanglichkeit zu führen wie auch vibratolos Eiseskälte zu verbreiten. So virtuos wie packend. Tamestit reicht die diversen Stilenergien an ein Orchester weiter, das unter Petrenko klangliche Qualitäten in den Dienst abrupter Kontraste stellt. das Collagehafte des Werkes kam gut heraus.

Da war Skrjabins 3. Symphonie Le divin poème stilistisch eindeutiger. Als spätromantische Schönheit ist sie ein Hort des Wohlklangs, ihre zumeist elegisch dahinschwelgenden Passagen bergen jedoch kein Geheimnis., das es interpretatorisch zu entschlüsseln gäbe. Die Oberfläche des Werkes scheint gewissermaßen schon dessen Tiefe zu sein.

Als Demonstrationsobjekt für die Kultiviertheit der Philharmoniker und das gute Einvernehmen mit dem Dirigenten war das natürlich passend, für das Orchester geht es ja nun Richtung Neujahrskonzert. Petrenko wäre übrigens ein interessanter Kandidat für den Dreivierteltakt – falls ihn die Berliner freigeben. (Ljubisa Tosic, 15.12.2021)