Wen es nach einem Linux-Desktop gelüstet, der kann sich über die Auswahl wahrlich nicht beschweren. Das Angebot an Distributionen für diesen Zweck ist ein großes. Gleichzeitig ist aber auch klar: Jenseits von Oberflächlichkeiten ähneln sich viele dieser Angebote sowohl im grundlegenden Aufbau als auch in der Zielsetzung.

Das ist bei Endless OS anders: Die gerade in ihrer Version 4.0 erschienene Distribution hat nämlich einen etwas anderen Fokus. Und zwar einen auf eine simple Handhabung – sowohl in Hinblick auf die Nutzung als auch die Wartung. Dazu kommt der Anspruch, den Nutzern dabei auch gleich ein bisschen was zu erklären. Wie das in der Praxis aussieht, soll im folgenden Test etwas näher unter die Lupe genommen werden.

Installation

Der erste Kontakt mit Endless OS ist wie gewohnt der – natürlich kostenlose – Download von der Website. Die dabei gebotene ISO-Datei kann auf einem USB-Stick installiert werden, von dem aus dann wiederum direkt in das System gestartet werden kann. Es handelt sich also um ein sogenanntes Live-Image.

Die Einrichtung von Endless OS ist denkbar einfach.
Screenshot: Proschofsky / STANDARD

Alternativ kann Endless OS aber auch gleich fix auf den betreffenden Rechner installiert werden, wobei auch dieser Akt denkbar simpel gehalten ist. Eine Parallelinstallation zu Windows ist dabei ebenfalls möglich. Die Einrichtung neben anderen Linux-Systemen unterstützt der Installer hingegen nicht – das ist wohl der Einfachheit zum Opfer gefallen. Das mag für bestehende Linux-Enthusiasten betrüblich sein, gleichzeitig sind diese aber eben auch nicht die Zielgruppe.

Auswahlmöglichkeiten

Doch noch einmal zurück zur Download-Seite. Dort finden sich nämlich auch noch einige andere Optionen. Neben dem erwähnten "Basic"-Image gibt es nämlich auch noch eigene Sprachausführungen in Englisch, Spanisch, Französisch und Portugiesisch. Was bei diesen auffällt: Sie fallen mit über zehn GByte jeweils sehr groß aus. Dafür gibt es jedoch einen guten Grund, ist dabei doch eine Fülle an Programmen vorinstalliert. Gedacht ist die Nutzung dieser Images also vor allem in einem Umfeld, wo keine – oder keine gute – Internetanbindung vorhanden ist. Dass es keine deutschsprachige Variante gibt, ist natürlich betrüblich. Generell kann aber natürlich auch bei Endless OS Deutsch als Systemsprache gewählt werden, nur um hier keine Missverständnisse aufkommen zu lassen.

Doch damit noch nicht genug an Optionen, gibt es auch eigene Images für den Raspberry Pi 4, das Pinebook Pro, Khadas VIM2 und AML-S905X-CC – alles Systeme mit ARM64-Chip. Dazu kommen dann noch Downloads für Virtualisierungslösungen wie Virtualbox.

Besonderheiten im Set-up

Was beim Einrichten sofort auffällt: Ein Root-Account – also für Administratoraufgaben – wird nicht eingerichtet. Und sogar die Angabe eines Nutzerpassworts ist optional – was wohl mit dem Blick auf die rasch wechselnde Nutzung auf öffentlichen Rechnern gedacht ist. Wie das alles geht, dazu später aber noch mehr.

Gnome trifft Windows

Der Desktop kommt Linux-Nutzern dann wieder bekannt vor, handelt es sich doch um einen Ableger des viel verwendeten Gnome-Projekts. Endless OS nimmt an diesem aber einige Anpassungen vor, die die Oberfläche für all jene, die Windows gewohnt sind, einfacher zu nutzen machen. Das Panel ist also an der Unterseite angebracht, zudem gibt es einen eigenen Button zum Aufrufen der App-Übersicht, die mit einer zentralen Desktop-Suche kombiniert ist. Rechts im Panel ist dann der Systembereich mit der Anzeige von Benachrichtigungen und Kalender, daneben einige Applets für Lautstärke und Co.

Der Desktop von Endless OS präsentiert sich als eine Mischung aus Gnome- und Windows-Konzepten.
Screenshot: Proschofsky / STANDARD

Dann gibt es noch ein Nutzermenü, über das Bildschirmsperre, Neustart sowie Einstellungen zu erreichen sind. Allerdings findet sich hier auch ein Link auf "soziale Konten", wobei man das nicht so wörtlich nehmen sollte – ist damit doch nicht der Aufruf von Tiktok und Co gemeint, sondern vor allem die Einbindung von diversen Cloud-Diensten – von Google über Microsoft bis zu selbst betriebenen Lösungen wie Nextcloud.

Auch sonst gibt es ein paar bemerkenswerte Änderungen im Vergleich zu einem Standard-Gnome: Neben ein Fenster – also quasi auf den eigentlichen Desktop – zu klicken wechselt immer auf die App-Übersicht, die entsprechend im Hintergrund immer angedeutet wird. Zudem gibt es beim Endless-Desktop klassische Knöpfe zum Minimieren, Maximieren – also Dinge, die Gnome selbst schon lange gestrichen hat.

Viel Wissen

Ein Blick auf die Softwareauswahl macht dann schnell klar, für welche Zielgruppe Endless OS gedacht ist. So finden sich schon in der Basisversion mehrere auf die Wissensvermittlung ausgelegten Programme. Darunter etwa eines, das spielerisch erklärt, wie ein Computer aufgebaut ist. Bei den umfangreichen Ausführungen zeigt sich dieser Fokus dann noch deutlich stärker – so gibt es hier etwa eine Offline-Enzyklopädie sowie Tools, die beim Einstieg in das Programmieren helfen. Doch auch wer Kochen lernen will oder Fragen zu Biologie oder Wissenschaft hat, wird hier mit eigenen Programmen versorgt. Gerade die größeren Ausgaben sind also vor allem für den Bildungsbereich gedacht. In Summe erinnert das alles ein bisschen an frühere Initiativen in diesem Bereich wie etwa "One Laptop per Child".

Dies allerdings mit dem Unterschied, dass man sonst einen recht "normalen", wenn auch eben bewusst simpel gehaltenen Desktop bekommt. Mit dabei sind also auch Programme wie Chromium als Browser oder die freie Office-Suite Libre Office – ganz so, wie man es von vielen anderen Distributionen kennt. Im grafische App-Center gibt es dann noch jede Menge zusätzliche Programme, wobei Endless OS auch hier Programme aus den Bereichen Bildung und Wissen in den Vordergrund stellt.

Sehr interessanter Aufbau

Mindestens so interessant wie das grundlegende Konzept sind die technischen Hintergründe, ist das eigentliche System bei Endless OS doch im Unterschied zu klassischen Distributionen "unveränderlich". Ein klassisches Paketmanagement wie bei Debian oder Fedora gibt es ebenfalls nicht. Regelmäßige Updates werden natürlich trotzdem vorgenommen. Dabei wird das lokale System mit dem aktuellen Online-Stand abgeglichen und in eine Kopie geschrieben. Beim nächsten Boot wird dann einfach in das zweite System gewechselt. Dieser Ansatz hat mehrere Vorteile: Einerseits kann das System von den Nutzern nicht beschädigt werden, sie haben lediglich Zugriff auf Nutzerdaten. Und wenn dann doch einmal irgendetwas schiefgeht, ist es einfach, auf den letzten Zustand davor zurückzukehren.

Updates werden einfach über die Softwarezentrale installiert. Allerdings nicht als Einzelpakete, sondern quasi "in einem Rutsch".
Screenshot: Proschofsky / STANDARD

Wem das bekannt vorkommt: Hinter diesem Konzept steht eine Software namens OSTree, die sich selbst als eine Art "GIT für Betriebssysteme" – also eine Versionsverwaltung für unterschiedliche Systemstände – versteht. Diese ist auch nicht auf Endless OS beschränkt, sondern kommt bei einer wachsenden Zahl an Linux-Distributionen zum Einsatz. Im Desktopbereich verfolgen etwa Fedora Silverblue (mit Gnome-Desktop) und Fedora Kinoite (mit KDE) sehr ähnliche Ansätze.

Flatpak zur Hilfe

Jetzt stellt sich natürlich die Frage: Wenn das System unveränderlich ist, wie installiere ich dann eigene Software? Die Antwort: mithilfe des Paketsystems Flatpak, das voneinander isoliert laufende Programme direkt im Nutzerbereich einrichten kann. Flatpaks werden zwar mittlerweile auf vielen Distributionen unterstützt, hier bilden sie aber wirklich den Dreh- und Angelpunkt der Programmauswahl. Von Haus aus nutzt Endless OS dabei Flathub als Quelle, wo es ein rasch wachsendes Angebot gibt. Die verbliebenen Lücken versucht man mit eigenen Paketquellen zu füllen. Dadurch kann Endless OS gar mit einem – wenn auch inoffiziellen – Flatpak von Google Chrome aufwarten.

Stärken und Schwächen

Solch ein Aufbau mag für Linux-Enthusiasten nichts sein, da sie selbst zu wenig Eingriffsmöglichkeiten in die Software haben. Für die breite Masse ist diese Kombination aus unveränderlichem System und Flatpaks hingegen ein äußerst zukunftsträchtiges Konzept. Zukunft bedeutet aber eben "nicht Gegenwart". Derzeit gehen damit nämlich noch einige Defizite einher. Dazu gehört, dass das Softwareangebot bei klassischen Linux-Distributionen trotz der Anstrengungen von Endless doch erheblich größer ist. Vieles gibt es schlich noch nicht als Flatpak. Aber auch bei der konkreten Umsetzung des gewählten Modells patzt der Hersteller an einigen Stellen.

Eines der mitgelieferten Programme informiert nett aufbereitet über den Aufbau des Systems.
Screenshot: Proschofsky / STANDARD

Um zu verstehen, was damit gemeint ist, zunächst etwas Hintergrund dazu, wie Flatpaks funktionieren: Damit diese auf mehreren Distributionen laufen, liefern sie viele Abhängigkeiten und Bibliotheken mit, die sonst vom System übernommen würden. Wie man sich schnell denken kann, würde das unweigerlich zu zahlreichen Dopplungen führen, immerhin gibt es viele solche Bestandteile, die von praktisch allen Programmen verwendet werden. Damit das nicht ausufert, wurde das Konzept der "Runtimes" erfunden. Dabei handelt es sich um spezielle Pakete, die ein fixes Set an Bibliotheken und Programmen zusammenfassen, die dann von anderen Flatpaks genutzt werden können. Im Gegenzug bleibt dann das eigentlich Flatpak zum jeweiligen Programm – zumindest wenn es richtig umgesetzt wurde – relativ schlank. Solche Runtimes gibt es etwa mit den Basiskomponenten für aktuelle Gnome- und KDE-Desktops.

Platzverbrauch

Ein an sich schlaues System, das aber auch seine Schattenseiten hat. So gibt es jeweils eigene Runtimes für einzelne Generationen von Gnome und KDE – was generell durchaus sinnvoll ist, alles andere würde schnell zu Kompatibilitätsproblemen führen. Das Problem beginnt nun da, wenn die Programmentwickler schleißig dabei sind, ihre Flatpaks auf neuere Runtimes zu aktualisieren. Dann sammeln sich nämlich bald mehrere Runtimes für verschiedene Versionen der jeweiligen Desktops an.

Im Fall von Endless OS sieht das so aus, dass bereits in der Basisvariante drei Gnome-Runtimes parallel installiert werden – jede mit einer Größe von fast einem GByte. Noch schlimmer: Eine davon ist dermaßen veraltet, dass sie schon seit Februar nicht mehr gewartet wird, was natürlich auch ein Sicherheitsproblem darstellt. Bei der größeren Variante der Distribution sind es dann gleich sechs dieser Runtimes – und eine davon dermaßen veraltet, dass lieber der Mantel des Schweigens darüber gebreitet werden soll.

Durch eine mangelhafte Wartung der Flatpaks sind sehr viele Runtimes in mehreren Versionen installiert – das braucht viel Platz. Am Rande bemerkt: Ganz so schlimm, wie es die Zahlen vermuten lassen, ist es in der Praxis nicht, da Flatpak automatisch alle Daten "dedupliziert" abspeichert. Wenn also zwei Dateien in zwei Runtimes gleich sind, verbrauchen sie auch nur einmal den Platz.
Screenshot: Proschofsky / STANDARD

Zuzuschreiben hat sich das Endless selbst, sind es doch die eigenen Lern-Tools, die einen Wildwuchs unterschiedlicher Gnome-Runtimes verwenden. Würde man diese regelmäßig aktualisieren, könnte man gehörig Platz sparen.

Vorteile

Aber es gibt auch positive Effekte durch diese Trennung. Während der eigentliche Desktop bei Endless OS 4.0 auf Gnome 3.38 und damit einer bereits etwas älteren Version basiert, sind die eigentlichen Anwendungen dank der Flatpaks auf dem aktuellsten Stand – also in ihren Versionen von Gnome 41 enthalten. Leider gibt es aber auch hier noch Luft nach oben: Aus unerfindlichen Gründen sind viele der mitgelieferten Gnome-Programme nämlich keine Flatpaks, sondern erst recht wieder Teil des Basissystems – und das obwohl es auf Flathub passende Pakete gäbe, die dann auch neuer wären als das, was man derzeit bekommt.

Fazit

In Summe ist Endless OS 4.0 vor allem eines: erfrischend anders. Es ist einfach erfreulich, Distributionen zu sehen, die etwas Neues ausprobieren. Gerade der Fokus auf Einfachheit – sowohl bei der Nutzung als auch bei der Administration – gehört denn auch zu den unleugbaren Stärken der Distribution, die sie gerade für größere Installationen im Bildungsumfeld prädestiniert machen – aber auch für Einsteiger. Wer hingegen bereits mehr Erfahrung mit Linux hat und mit ähnlichen Systemkonzepten experimentieren will, ist wohl bei Fedora Silverblue / Kinoite besser aufgehoben. (Andreas Proschofsky, 15.12.2021)