Auch nach zwei Jahren Pandemie ist immer noch nicht klar, was passiert, wenn eine Betreuerin positiv getestet wird.

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Fast schien es so, als würde das Kartenhaus der 24-Stunden-Betreuung einstürzen: Als im März 2020 Österreichs Nachbarländer pandemiebedingt die Grenzen dichtmachten, waren auch die Betreuerinnen eingeschlossen – im In- oder Ausland. Korridorzüge brachten sie daraufhin medienwirksam von Rumänien nach Österreich. Hier wurden sie beklatscht und – wie andere Systemerhalterinnen – als Heldinnen der Pandemie gefeiert. Seither sind fast zwei Jahre vergangen. Obwohl rund 62.000 24-Stunden-Betreuerinnen Tag und Nacht etwa 30.000 Pflegebedürftige in Österreich umsorgen, ist es im Hinblick auf Corona ruhig um sie geworden. Anna Leder, Mitinitiatorin der Interessengemeinschaft IG24, schildert im STANDARD-Gespräch die aktuelle Betreuungssituation und zeigt auf, wo es bei den Arbeitsbedingungen immer noch hakt.

STANDARD: Wenn es um Corona und Pflege geht, ist meist vom Spitalspersonal die Rede. Von 24-Stunden-Betreuerinnen hört man wenig. Woran liegt das?

Leder: Grundsätzlich taucht die 24-Stunden-Betreuung im Rahmen der Pflege wenig auf. Das hat man auch bei der Pflegereform gesehen, welchen Stellenwert beziehungsweise Nichtstellenwert die 24-Stunden-Betreuung hat. Allerdings ist es auch logisch, dass die Kolleginnen in der Pflege, die an vorderster Front mit Covid-kranken Menschen konfrontiert sind, jetzt im Fokus stehen. Von dieser Akutheit sind die Langzeitpflegerinnen nicht betroffen, sondern eher von erschwerten Hygienemaßnahmen und noch stärkerer sozialer Isolation.

STANDARD: Im März 2020 wurden 24-Stunden-Betreuerinnen mit Sonderzügen nach Österreich gebracht und mussten bis zum einem Sechsfachen ihrer normalen Turnuslänge arbeiten: Wie schaut ihre Situation momentan aus?

Leder: Nachdem das Testregime Routine geworden ist, funktioniert die Anreise nach Österreich wieder reibungslos. Da ist, unter Anführungszeichen, wieder Normalität eingekehrt. Ein großes Thema ist allerdings die Umsetzung der 2,5G-Regelung. Die Vorgabe, dass sich die Betreuerinnen alle drei Tage PCR-testen lassen müssen, wird nur lückenhaft umgesetzt. Da ist kein "Arbeitgeber", der das einfordert. Wir haben das Gefühl, dass sich einfach niemand zuständig fühlt. Außerdem haben Betreuerinnen oft gar nicht die Möglichkeit, sich testen zu lassen – gerade im ländlichen Raum. Aber auch in der Stadt, wo es ein besseres Testsystem gibt, können die Betreuerinnen durch ihre 24-stündige Verfügungspflicht gar nicht den Arbeitsplatz verlassen.

STANDARD: Was passiert, wenn eine Betreuerin positiv getestet wird?

Leder: Das ist tatsächlich ein ungelöstes Problem. Logischerweise muss sie sich in Quarantäne begeben, aber es ist überhaupt nicht klar, wo diese sein soll. Zum einen heißt es, sie sollen an ihrem Wohnort – das heißt, an ihrem Arbeitsplatz – diese Quarantänezeit verbringen. Das wollen viele Familien aber nicht. Wo sollen Betreuerinnen also hingehen? Wir wissen von einem Fall in Wien, bei dem die Wirtschaftskammer ein Quartier zur Verfügung gestellt hat. Aber es gibt keine bundeseinheitliche Regelung. Genauso wenig ist geregelt, ob Betreuerinnen dazu verpflichtet sind, ihre Klienten und Klientinnen zu betreuen, wenn diese positiv getestet werden.

STANDARD: Laut Gesetzesentwurf zur Impfpflicht müssen sich Personen impfen lassen, die in Österreich einen Wohnsitz haben. Fallen die Betreuerinnen also darunter?

Leder: Mit der Frage "Leben oder arbeiten die 24-Stunden-Betreuerinnen in Österreich?" sind wir immer wieder konfrontiert. Auch jetzt bei der Impfpflicht, bei der es vor kurzem noch hieß, dass 24-Stunden-Betreuerinnen aus dem Ausland davon ausgenommen seien. Erst seit einer Woche wissen wir nun, dass diese auch für sie gelten wird.

STANDARD: Stehen diese Unklarheiten sinnbildlich für die Branche?

Leder: Die 24-Stunden-Betreuung bewegt sich immer in diesem Graubereich. Hier wird generell viel weggeschaut. Das fängt damit an, dass es Betreuung heißt, aber Pflege ist. Während in anderen Institutionen wie etwa in der mobilen Pflege jeder Handgriff geregelt ist, wer was wo darf, werden hier Regelungen nur rudimentär umgesetzt. Es ist dieses Wegschauen bei den Problemen, kombiniert mit der Tatsache, dass sich niemand verantwortlich fühlt.

STANDARD: Gibt es mittlerweile mehr Klarheit, was Beschäftigungsverhältnisse betrifft?

Leder: Das Gesetz von 2007 sieht eigentlich vor, dass Betreuerinnen selbstständig wie auch unselbstständig arbeiten können. Tatsache ist aber, dass nicht einmal 0,1 Prozent in einem Anstellungsverhältnis sind. Das bedeutet, dass sie keine soziale Absicherung haben, keinen Anspruch auf Urlaub, Krankenstand, geregelte Pausen oder Nachtruhezeiten – und 24 Stunden zur Verfügung stehen müssen. Allerdings gibt es ein Gerichtsurteil, das besagt, dass diese Form der Selbstständigkeit keine wirkliche Selbstständigkeit ist, weil die Verträge von den Agenturen aufgesetzt, das Honorar und der Ort vorgegeben werden.

Durch die Diskussionen der letzten Jahre hat sich aber einiges getan. Zuvor wurde das Infragestellen der Scheinselbstständigkeit noch tabuisiert. Auch die Gewerkschaft hat sich nach langem Schweigen des Themas angenommen und strebt einen Prozess mit einer Betreuerin gegen Scheinselbstständigkeit an. Das ist ein wichtiger Schritt. Wir wollen uns dafür einsetzen, dass nicht nur diese eine Betreuerin gewinnt, sondern die Möglichkeit zur Anstellung für alle geschaffen wird. (Elisa Tomaselli, 16.12.2021)