Der Comicband "Starman" erzählt die Geschichte von David Bowies größten Erfolgen.

Foto: Reinhard Kleist/Carlsen Verlag
Reihard Kleist/Carlsen Verlag
Reinhard Kleist/Carlsen Verlag
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"Time takes a cigarette." Zeit dauert laut David Bowie immer nur eine Zigarettenlänge. Dann zündet man sich die nächste Tschick an. Das entspricht ziemlich genau der menschlichen Aufmerksamkeitsspanne in der Zeit vor Tiktok. Bei Tiktok muss es schneller gehen. Nach gut einem halben Jahrhundert Karriere ist dem britischen Jahrhundertkünstler mit seinen vielen Facetten und diversen Stilbrüchen am Ende aber doch noch alles zu einem halbwegs geschlossenen Gesamtbild geronnen.

Am 8. Jänner 2022 wäre Bowie 75 Jahre und sein bekanntestes Alter Ego, der "Starman" Ziggy Stardust, einige Monate später 50 Jahre alt geworden. Zwei Tage vor seinem Tod, am 10. Jänner 2016, ist David Bowies letzte Botschaft aus Raum und Zeit erschienen. Blackstar, ein dunkler Stern, der noch einmal alle visionären wie dystopischen Kräfte aufbietet und sein über die Jahrzehnte mitunter etwas kraftlos gewordenes Schaffen ein letztes Mal um eine neue Facette erweitert – den Jazz der beunruhigenden Sorte, der zum Pop will, aber dann implodiert.

Die Erben sind glücklich

Da David Bowie meist erst im Studio seine Alben erarbeitete, existiert von ihm nur wenig Material, das er auf Halde produzierte. Umso erwartbarer, dass sein Gesamtwerk nach seinem Tod mit bis dato vier chronologischen Boxsets seiner Studioalben und sechs Mitschnitten von Live-Konzerten (allein innerhalb der letzten zwölf Monate) sowie wirklich vielen Hagiografien, Biografien und Comics erweitert wurde. Sie haben allesamt wenig Neues zu bieten, dürften allerdings die Erben glücklich machen.

Über einen jetzt anlässlich der beiden im nächsten Jahr anstehenden Jubiläen erschienenen Comicband lässt sich allerdings angesichts dieser Verwertungsmaschinerie nur Gutes berichten. Der Berliner Comicautor Reinhard Kleist widmet Starman – David Bowie’s Ziggy Stardust Years (Carlsen-Verlag) Bowies berühmtester Rolle als Alien des Pop. Der kam 1972 zu uns auf die Erde, um im Song Five Years die Welt vor dem nahenden Untergang zu warnen. Etwas wirr könnte man aus dem gar nicht einmal so stringenten "Konzeptalbum" The Rise and Fall of Ziggy Stardust and the Spiders from Mars auch die Aufforderung herauslesen, doch hinaus ins All zu flüchten. Weltraum darf ruhig auch als Weltflucht gelesen werden, in die Drogen, in die Isolation. Das kann schiefgehen. Fragen Sie Major Tom.

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Reinhard Kleist ist mit den Comicbänden über zwei andere, nicht viel weniger mythische Gestalten bekannt geworden. JohnnyCash – I See a Darkness und Nick Cave – Mercy on Me schildern, etwas weniger knallbunt wie jetzt Starman, ebenfalls das Ringen zweier Gestalten um Triumph und Erlösung mittels Songs im Dreiminutenformat.

Im Gegensatz zu den Wahrhaftigkeit behauptenden Dunkelmännern streifte David Bowie aber seine Bühnenfiguren (Ziggy Stardust, Aladdin Sane, Thin White Duke) als begnadeter (Selbst-)Darsteller einfach ab, wenn er sie für durchdekliniert erachtete. Die Auseinandersetzung mit der von Kleist bildhaft umgesetzten Musik und den Songtexten darf auf jeden Fall als gelungen angesehen werden. Ein Band über Bowies Jahre in Berlin soll folgen.

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Solange wir nicht Raum und Zeit biegen können, wird es mit der Sternenfahrt als Fluchtpunkt vor irdischen Katastrophen schwierig werden. Starman, Ziggy Stardust, Major Tom, Hallo Spaceboy, Blackstar. Aber selbst ein erfahrener Raumfahrer wie David Bowie hinterlässt in seinen Sterntagebüchern Lücken.

Die aktuelle CD-Box Brilliant Adventure (Warner) lässt in chronologischer Folge zu den vorangegangenen und klanglich renovierten Boxen seiner Studioalben die Jahre zwischen 1989 und 1991 bewusst aus. Damals wollte Bowie nicht mehr als Einzelkünstler in Erscheinung treten, sondern als einfaches Bandmitglied der technoiden Rockgruppe Tin Machine. Mit genügend historischem Abstand klingt das heute gar nicht einmal so schrecklich. Das breitbeinige Rocken ist David Bowie allerdings nie wirklich gelegen.

Das verschollene Album

Die elf CDs starke Box Brilliant Adventure beinhaltet neben dem starken Solo-Comeback Black Tie White Noise und der unterschätzten Arbeit The Buddha of Surburbia zwar auch Mediokres wie Bowies Versuch in den frühen 1990er-Jahren, dem damals populären Drum ’n’ Bass nachzuhecheln. Und auch das Konzeptalbum 1. Outside im Zeichen des Industrial Rock im Stile von Nine Inch Nails ist schlecht gealtert.

Mit der erstmals regulären Veröffentlichung seines 2001 eingespielten und damals von der Plattenfirma aus unerfindlichen Gründen abgelehnten Albums Toy hört man allerdings auch – dank Neudeutungen älterer Songs aus den 1960er-Jahren wie The London Boys oder Perlen wie Silly Boy Blue und You’ve Got a Habit of Leaving – Lieder, die Bowies besten Arbeiten in nichts nachstehen. Dass Toy Anfang Jänner noch einmal als eigene mehrteilige CD-Box mit alternativen Abmischungen und Unplugged-Versionen erscheinen wird, verärgert den Bowie-Fan dann aber doch erheblich. (Christian Schachinger, 16.12.2021)