Eine Mitarbeiterin und ein Mitarbeiter der Wiener Stadtgärten beim Aufstellen des Schutzgerüsts. Mit dieser Ulme stehen nun elf Bäume in der Weyringergasse, wo bis vor kurzem noch gar keine Pflanze war.

Foto: Christian Fischer

Ein bisschen Schieben an der einen Stelle, kurz Hämmern an der anderen, dann steht das dreibeinige Stützgerüst um den jungen Baum, der für ein Leben in der Stadt gerüstet wird. Schmal und karg ragt die Ulme in die Höhe, sie ruht, ehe im April oder Mai die Triebe ausschlagen.

Die junge Ulme vor dem Haus Weyringergasse 33 ist einer von elf Neuankömmlingen ihrer Art, die nunmehr die Gasse in Wien-Wieden, die parallel zum Gürtel verläuft, ziert. Sie ist Teil jener Strategie, mit der die Stadt Wien gegen Überhitzung und Versiegelung ankämpft und ihren Beitrag zur Bewältigung der Klimakrise leisten will. 4500 Bäume werden jedes Jahr im Stadtgebiet neu gepflanzt oder ersetzt, und langsam nähert sich die Zahl der sogenannten Straßenbäume der 100.000er-Marke.

Wien ist bekanntlich stolz auf seinen Grünbestand. Die Stadtverwaltung spricht von einem Grünraumanteil von 50 Prozent, das sei Weltspitze. Im Vorjahr rangierte die Stadt in einem Ranking der grünsten Städte der kanadisch-amerikanischen Beratungsagentur Resonance unter 100 Metropolen auf Platz eins.

Kürzlich wurde Wien mit einem internationalen Baumpreis prämiert. Ende November verlieh das European Arboricultural Council der Stadt den Europäischen Stadtbaumpreis (European-City-of-Trees-Preis, ECOT). Das EAC würdigte damit das Engagement für das urbane Ökosystem, gab es in der Begründung bekannt. Hervorgehoben wurde darin auch die verbesserte Anpassungsfähigkeit an die sich wandelnden Klimabedingungen. Explizit wurde das "exemplarische Baummanagement" der Stadt genannt.

Aber viele Wienerinnen und Wiener merken davon nicht viel. Denn die Bäume sind höchst ungleich verteilt. Der Großteil wächst in den weniger verbauten Außenbezirken. In den Innenbezirken sowie in manchen Arbeitervierteln außerhalb des Gürtels finden sich ganze Straßenzüge ohne ein Stück Grün, dafür mit unzähligen parkenden Autos. Und fast jeder Baum, der hier gepflanzt wird, bedeutet einen öffentlichen Stellplatz weniger.

Grätzelfest für die Ulmen

Das gilt auch für die Weyringergasse. Die Bäume hier gehen auf eine zwei Jahre alte Bürgerinitiative zurück. Gesäumt ist die Weyringergasse vorwiegend von vier- bis fünfstöckigen Zinshäusern, an ihrer rechten und linken Seite parken Autos. Bis November stand hier kein einziger Baum. Als die ersten vier Ulmen ankamen, hieß sie die Wiedner Bezirksvorsteherin, Lea Halbwidl von der SPÖ, mit einem Grätzelfest willkommen.

Nun ist das Begrünungsprojekt abgeschlossen, zumindest fast. Im nächsten Schritt werden Blumen in die Erde gepflanzt – eingesetzt wird die sogenannte Bensheimer Mischung, ein in gelben Farben gehaltener Mix. Abgeschlossen ist die Baumpflanzung, wenn der 30 Zentimeter hohe Zaun steht, der die Pflanzen vor Autos ebenso schützt wie vor urinierenden Hunden.

Es passt ins Bild, dass die geradlinig verlaufende Straße nach einem Gärtner und Samenhändler namens Josef Weyringer benannt ist. Hinter der Nummer 13 befinden sich Mauerreste des Wiener Linienwalls, der Anfang des 18. Jahrhunderts erbauten Befestigungsanlage zwischen der Stadt und ihren Vororten. Die Wieden entstand Ende des 19. Jahrhunderts durch die Eingemeindung mehrerer Vorstädte, verlor später an Fläche und ist heute ein typischer Innenstadtbezirk: dichtbebaut, mit wenig Grünfläche.

Umso heftiger wird die Frage diskutiert, wie viel von dem spärlich verfügbaren Platz in den Innenbezirken begrünt werden kann. Wie heikel die Materie auch am Stadtrand ist, zeigt sich in der Donaustadt. Die dort geplante Lobau-Autobahn steht nach einem Veto der grünen Klimaministerin Leonore Gewessler auf der Kippe. Umweltorganisationen kämpfen auch gegen die Stadtstraße, von deren Bau aus Sicht der Stadtregierung große Entwicklungsprojekte im 22. Bezirk abhängig sind.

Straßenbau und Klimaziel

Dabei will der Wiener Umweltstadtrat Jürgen Czernohorszky (SPÖ) Straßenbau und ambitionierte Klimaziele nicht als Widerspruch sehen. Der Klimafahrplan der Stadt sehe Maßnahmen zur Reduktion vorhandener Verkehrsflächen vor, darunter falle auch die Pflanzung von 25.000 neuen Stadtbäumen. Um wie von der Stadtregierung in Angriff genommen bis 2040 klimaneutral zu werden, sollen Hitzeinseln bekämpft, die Errichtung neuer Parks und Bäume vorangetrieben werden.

"Innerstädtisch waren es noch nie so viele wie jetzt gerade", sagt Karl Hawliczek, Leiter der Abteilung Grünflächenpflege und -erhaltung. Gegossen wird über Bewässerungsanlagen oder händisch. Die Wiener Stadtgärten pflegen 500.000 Bäume und sind zudem für Planung, Errichtung und Erhaltung von 1000 Parkanlagen zuständig.

Das Straßenbaumsortiment der Magistratsabteilung 42 besteht aus 30 Sorten. Sie alle müssen mit einer Reihe besonderer Gegebenheiten zurechtkommen, die mit dem Leben in der Stadt einhergehen. Sie müssen Hitze und Abgase aushalten, außerdem den Stress, den Bauarbeiten oder Schadstoffe bringen.

Das Sortiment sei nicht starr, sondern werde stetig weiterentwickelt, erklärt Hawliczek. Was dazukomme, werde fürs Erste in geringerer Anzahl getestet: Die Lindensorte Sisi ist so ein Fall oder der Feldahorn Huibers Elegant. Eingesetzt werden die Jungbäume ab Oktober, pausiert wird nur, wenn im Jänner oder Februar der Boden gefroren ist.

Plötzlich einsam

Karl Hawliczek steht in der Weyringergasse, neben einer der frisch gepflanzten Ulmen, die so neu sind, dass sie noch nicht Einzug gefunden haben in den Baumkataster. Dieser umfasst 386.000 Bäume, davon aktuell an die 96.500 Stadtbäume. Der Baumstamm der Jungbäume ist weiß gestrichen – zum Schutz vor der Sonne. Was absurd erscheinen mag an einem nebeligen Dezembertag, sichert der jungen Pflanze das Überleben. Aufgewachsen ist sie wie jeder andere Jungbaum in städtischem Besitz in der Baumschule Mauerbach im Wienerwald.

Dort werden sie herangezogen und auf das städtische Klima vorbereitet. Zehn Jahre verbringen Bäume im Durchschnitt in dem Betrieb der Stadtgärten, ehe sie in die Metropole entsandt werden. Und während sie in Mauerbach eng beisammenstehen und einander Schatten spenden, fehlt ihnen in Wien ein direkter Nachbar – und damit Schatten.

Erreicht die Sonne im Winter aber eine bestimmte Höhe, dann knallt sie auf eine Seite des Baumes. Der weiße Anstrich reflektiert das Licht und verhindert so Erhitzung und große Temperaturunterschiede im Stamm – was in jungen Jahren den Baumtod bedeuten kann. Das sei anfänglich schon eine Umstellung, sagt Hawliczek. Prinzipiell aber seien die Jungbäume schon stadtfit: "Wenn sie ankommen, sind das schon echte Wienerinnen und Wiener." (Anna Giulia Fink, 16.12.2021)