340 Millionen Pakete werden allein in Österreich im Jahr 2021 zugestellt, so die Hochrechnung.

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Die Paketflut kennt keine Grenzen. Nachdem die Anzahl der Pakete im Vorjahr bereits um 17,2 Prozent gestiegen ist, rechnet die Regulierungsbehörde RTR für 2021 gar mit einem Plus von 30 Prozent. Laut STANDARD-Informationen sind das 340 Millionen Pakete, die voraussichtlich bis Ende dieses Jahres in Österreich zugestellt werden.

Leidtragende dieser Entwicklung sind neben Empfängern, die über Zustellprobleme klagen, vor allem die Boten, die bisher schon unter einer enormen Arbeitsbelastung zu leiden hatten. Während es bei der österreichischen Post dieser Tage teilweise zu längeren Wartezeiten kommt, dürften vor allem Zusteller mit externen Lieferanten den Druck 1:1 an das letzte Glied in der Kette weitergeben. Zwischen 200 und 300 Pakete müssen einzelne Boten laut Arbeiterkammer und der Gewerkschaft Vida pro Tag ausliefern.

Abholstation statt zu Hause klingeln

Diese wissen sich meist nicht anders zu helfen, als Pakete gesammelt bei einer Abholstation abzuladen, anstatt bei den jeweiligen Empfängern tatsächlich einzeln anzuläuten. Diese für Kunden äußerst ärgerliche Praxis hat dem zweitgrößten Zusteller DPD Austria im Februar sogar ein Aufsichtsverfahren durch die RTR beschert, das derzeit noch am Laufen ist. DPD selbst reagierte im Mai mit der Ankündigung, man werde zusätzliche Arbeitskräfte einsetzen und die Zustelltouren um 25 Prozent erhöhen.

Die Paketflut bringt Boten regelmäßig an ihre Grenzen – auch weil die Arbeitsverhältnisse äußerst prekär sind.
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"Die Problematik ist seit Jahren unverändert. Weiterhin setzen viele der großen Zusteller fast ausschließlich auf Subunternehmen und Scheinselbstständige", sagt Susanne Bauer von der Arbeiterkammer Steiermark dem STANDARD. Diese müssten ihre Dienste unter prekären Arbeitsbedingungen leisten und noch dazu das ganze Risiko für die Zustellung tragen. "Diese Ein-Personen-Firmen fahren teilweise mit ihrem eigenen Fahrzeug und werden nicht nach Stunden, sondern pauschal bezahlt. Geht das Auto kaputt, verursachen sie einen Schaden oder geht ein Paket verloren, haften sie persönlich dafür."

Bei DPD weist man Anfrage des STANDARD die Kritik zurück. "Die Zusammenarbeit mit Systempartnern ist branchenüblich. Wir setzen auf langjährige Partnerschaften und einen vertrauensvollen Umgang mit unseren Frächtern." Vorwürfe wie Scheinselbstständigkeit oder Schwarzarbeit weise man zurück. "Bei Behördenkontrollen konnten keine derartigen Beanstandungen festgestellt werden", teilte DPD mit.

Auch größere Subfirmen landen in der Insolvenz

Für die angesprochenen Subfirmen führt die stressige Tätigkeit nicht selten in die Insolvenz. Bauer zufolge seien davon auch größere Firmen mit bis zu 15 Beschäftigten betroffen. Die öffentliche Hand müsse dann erst recht wieder die Versäumnisse der Branche auffangen, kritisiert die AK-Expertin. Oft handelt es sich bei den eingesetzten Boten auch um Menschen mit Migrationshintergrund, die sich aufgrund ihrer wirtschaftlichen Situation bzw. ihrer meist geringen Sprachkenntnisse ohnehin nur schwer wehren können, wie AK und Wirtschaftsuniversität Wien zuletzt aufzeigten.

Bauer fordert einmal mehr strengere Kontrollen der Arbeitsverhältnisse und vor allem eine sogenannte Versenderhaftung – also dass der Zusteller bis zum Schluss die Verantwortung für den Paketweg trägt. Auch eine Tachografenpflicht sei unabdingbar, um die durchgängigen Fahrzeiten der Zusteller überprüfen zu können und so deren Überlastung entgegenzuwirken.

Ob die Regierung die seit Jahren von AK und Gewerkschaften geäußerten Kritikpunkte und Forderungen in absehbarer Zeit aufgreifen wird, ist unklar. Eine Anfrage des STANDARD beim Arbeitsministerium blieb bis dato unbeantwortet.

Post grenzt sich von Mitbewerb ab

Bei der österreichischen Post führt man die gestiegenen Beschwerden und bei der RTR anhängigen Schlichtungsverfahren auf die enorme Steigerung an Paketen zurück. Jeder Beschwerde – etwa auch deswegen, ob der gelbe Zettel in den Briefkasten geworfen wurde, obwohl jemand zu Hause war – gehe man nach, versichert Post-Sprecher Michael Homola im Gespräch mit dem STANDARD. Post-intern habe man entsprechende positive Anreize geschaffen, damit die eigenen Boten die Pakete tatsächlich an die Haushalte übergeben.

So entwickelte sich der Brief- und Paketversand. Für 2021 wird mit 340 Millionen Paketen gerechnet, ein Plus von 30 Prozent.
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Vom Mitbewerb und der von AK und Gewerkschaft kritisierten Praxis will sich die Post allerdings abgrenzen. "Anders als andere Zusteller wickeln wir 80 Prozent der Paketzustellung über eigene Mitarbeiter ab. Nur etwa 20 Prozent werden – etwa zu Spitzenzeiten – an externe Frächter ausgelagert", sagt Homola. Diese würden hinsichtlich Gewerbeberechtigung und Personalausstattung streng geprüft, erst vor zwei Jahren habe man den Anforderungskatalog überarbeitet.

Von Behörden geschont werde man übrigens nicht. Auch bei der Post würden etwa in Verteilzentren regelmäßig Kontrollen durchgeführt. Anders als bei Mitbewerbern seien dabei aber keine Verstöße entdeckt worden, gibt der Post-Sprecher an. Er spricht damit wohl die aufsehenerregende Razzia bei Amazon Austria an, bei der die Finanzpolizei im Februar 2020 rekordverdächtige 987 Beanstandungen, darunter Schwarzarbeit und Abgabenhinterziehung, feststellte. Bei weiteren Razzien – zuletzt etwa im Juni 2021 – wurden hingegen kaum mehr Verstöße entdeckt.

Beschwerdeformular online

Für Empfänger, die sich über nicht zugestellte Pakete oder Ähnliches ärgern, hat die Regulierungsbehörde RTR ein Beschwerdeformular aufgesetzt. Absender, die sich hinsichtlich von ihnen bezahlten Leistungen geprellt sehen, können das ebenfalls der RTR melden und auf ein Schlichtungsverfahren setzen. Die Behörde rechnet STANDARD-Informationen zufolge in diesem Jahr mit knapp 9.000 Empfangsbeschwerden und 660 Schlichtungsverfahren, was im Vergleich zum Vorjahr nur eine moderate Steigerung bedeuten würde.

"Angesichts der enormen Sendungsmengen sind diese Zahlen vernachlässigbar, wenn auch im Einzelfall immer höchst ärgerlich", sagt Telekom- und Post-Regulator Klaus Steinmaurer. Die Beschwerdegründe seien seit Jahren immer die gleichen: "Unsachgemäße und verspätete Zustellung, Beschädigung oder Verlust von Sendungen, kein Läuten trotz Anwesenheit."

Die Dunkelziffer der täglichen Probleme dürfte allerdings weitaus höher sein, als die RTR-Zahlen suggerieren. Denn im Normalfall beschweren sich Kunden bei den Zustellern oder, wie im Fall von Amazon, beim Online-Händler selbst. Eine nachhaltige Verbesserung der Gesamtsituation – sowohl für Paketempfänger als auch für Paketboten – scheint nicht zuletzt aufgrund der weiter steigenden Versandflut in weiter Ferne. (Martin Stepanek, 16.12.2021)

Update 16.12., 19:50: Stellungnahme von DPD im Text ergänzt