Ridley Scott lässt sich Zeit. Zwei Stunden und 38 Minuten gönnt der Regisseur seinem Porträt der Familie Gucci, das auf einen Mord hinausläuft. Am 27. März 1995 wird Maurizio Gucci mit zwei Schüssen getötet. Zwei Jahre später folgt die Verhaftung der Ex-Frau Patrizia, 18 Jahre lang sitzt sie für den Auftragsmord im Gefängnis.

Erst die große Liebe, dann ein blutiges Ende: Unternehmensspross Maurizio Gucci (Adam Driver) mit seiner Frau Patrizia Reggiani (Lady Gaga) in Ridley Scotts Verfilmung "House of Gucci".
Foto: 2021 Metro-Goldwyn-Mayer Pictures Inc. All Rights Reserved.

158 Minuten hätte es für diese Mixtur aus True Crime, Seifenoper und Modefilm sicher nicht gebraucht. Man könnte dem 84-jährigen Regisseur sogar vorwerfen, dass er sich nicht so recht hat entscheiden können, was der Film eigentlich sein will. Langweilen muss man sich trotzdem nicht. Dafür sorgen die großartigen Kostüme, die opulenten Sets, der mitreißende Soundtrack (Donna Summer, George Michael, New Order) und nicht zuletzt die Darstellerriege:

Lady Gaga gibt als Patrizia Reggiani, Tochter eines Transportunternehmers, die ehrgeizige Aufsteigerin (wie alle mit überdrehtem Fake-Italo-Akzent), die Adam Driver als Gucci-Sprössling und Jus-Student Maurizio mit ihrer Schlagfertigkeit und eng sitzenden Kleidern um den Finger wickelt. Dann wären da noch der verbitterte, stoische Patriarch Rodolfo (Jeremy Irons) und dessen windiger, schmieriger Bruder Aldo (Al Pacino). Jared Leto gibt mit Halbglatze und rosa Cordanzug die Karikatur des durchgeknallten, verlorenen Sohnes Paolo.


Tolle Ausstattung: Modefans sollten auf Ihre Kosten kommen.
Foto: 2021 Metro-Goldwyn-Mayer Pictures Inc. All Rights Reserved.

Gnadenlose Übertreibung

Scott setzt in der Darstellung der Guccis zwischen 1970 und 1995 auf Effekte, auf gnadenlose Übertreibung und Zuspitzung. So ziemlich jedes Italienklischee wird hollywoodgerecht aufbereitet, Modefans dürften die historischen Verzerrungen gleich ins Auge fallen: Einige Söhne des Aldo Gucci werden unter den Tisch fallen gelassen, Tom Fords Modenschau, mit der er seinen Durchbruch erlebte, ging nicht so wie im Film über den Laufsteg. Wer hier also eine faktentreue Darstellung, die "wahre Geschichte" des Gucci-Clans, sehen will, sollte sich Ridley Scotts Verfilmung erst gar nicht zumuten.

Jared Leto als Paolo Gucci
Foto: 2021 Metro-Goldwyn-Mayer Pictures Inc. All Rights Reserved.

Wer sich hingegen auf die lustvoll überzeichnete Groteske, die hier geboten wird, einlässt, kommt auf seine Kosten. Die Geschichte von Liebe, Intrigen und Verrat, garniert mit einer großen Portion Gucci-Glamour, bietet schließlich Stoff in Hülle und Fülle: Im Mailand der Siebzigerjahre lernt Patrizia Reggiani Maurizio Gucci auf einer Party kennen, erst hält sie ihn für einen Barkeeper, doch spätestens als er seinen Nachnamen nennt, funkt es bei ihr.

Dann läuft erst einmal alles wie am Schnürchen. 1973 heiratet das Paar, es werden die Töchter Alessandra und Allegra geboren, Maurizio leitet das Modehaus, das Paar führt ein ausschweifendes Jetset-Leben zwischen Mailand, New York und St. Moritz. Später verkauft Maurizio das Unternehmen und verlässt Patrizia für eine Jüngere. 1993 folgt die Scheidung, sie bekommt umgerechnet eine halbe Million Euro Alimente im Jahr. Reggiani fühlt sich verraten und rächt sich kaltblütig.

MGM

Der Film über den Zerfall der italienischen Modedynastie und den Verkauf des Unternehmens an die bahrainische Investmentfirma Investcorp Mitte der Neunziger beruht auf dem Buch "The House of Gucci: A Sensational Story of Murder, Madness, Glamour, and Greed" von Sara Gay Forden.

Klagen und Beschwerden

Das 2001 erschienene Werk wurde von der Familie, die heute keinen Anteil mehr am Unternehmen hat, nie autorisiert. Entsprechend humorlos fällt deren Reaktion aus. Sie droht Regisseur Ridley Scott mit einer Klage. Diese beinhaltet unter anderem: Reggiani werde als Opfer stilisiert, die Gucci-Männer als zu hässlich dargestellt.

Das seit 2004 zum Luxuskonzern Kering gehörende Modeunternehmen Gucci, das in den vergangenen sechs Jahren unter dem Designer Alessandro Michele eine beeindruckende Renaissance erfahren hat, hält sich hingegen smart zurück. Man hat für Scotts Film eine Auswahl an Originalstücken und Requisiten zur Verfügung gestellt und freut sich im 100. Jubiläumsjahr über die PR-Arbeit aus Hollywood: Hätte sonst Salma Hayek, die Ehefrau von Kering-Chef François-Henri Pinault, als die mitverurteilte Wahrsagerin Pina mitgespielt?

Die Rechnung des Luxusmodekonzerns scheint jedenfalls aufzugehen. Der monatelange Hype um den Film lässt auch bei Gucci die Kassen klingeln. Allein die Nachfrage nach Handtaschen soll auf der Modeplattform lovethesales.com um 257 Prozent gestiegen sein.

Und der ehemalige Gucci-Designer Tom Ford, der mit Maurizio einige Jahre zusammengearbeitet hat und im Film von Reeve Carney verkörpert wird? Er fühle sich von dem Film an den Intrigenstadel Denver Clan erinnert. So glamourös sei die Geschichte beileibe nie gewesen. Man glaubt ihm das sofort. (feld, 17.12.2021)

Ab 17.12.2021 in österreichischen Kinos