Etwa 30 Personen demonstrierten am Donnerstag vor dem STANDARD-Gebäude.

Foto: Christian Fischer

In den vergangenen Tagen und Wochen habe man in Österreich Phänomene gesehen, die man sich zuvor hierzulande nicht vorstellen konnte, sagte am Donnerstag Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) vor Journalistinnen und Journalisten. Etwa dass es zu Übergriffen auf Polizisten kommt, Gesundheitseinrichtungen bedrängt oder Medienhäuser belästigt werden. Zur selben Zeit demonstrierten rund 30 Gegnerinnen und Gegner der Corona-Maßnahmen vor der Redaktion des STANDARD, bevor sie zu anderen Medienhäusern weiterziehen wollten.

Seit Beginn der Corona-Pandemie sei es zu einer Polarisierung und ideologischen Spaltung in der Gesellschaft gekommen, betonte Nicolas Stockhammer von der Donau Uni Krems. Dabei habe sich die politische Mitte an die Ränder verschoben. Politik und Staatsgewalt würden häufig als autoritär und Maßnahmen als unverhältnismäßig diskreditiert. Bis zum Inkrafttreten der Impfpflicht im Februar 2022 erwartet Stockhammer eine weitere Radikalisierung des Milieus.

Die "fortschreitende Polarisierung" der Gesellschaft nähre jedenfalls den Extremismus: An dessen Beginn stünden passives Dulden und stille Zustimmung – etwa in sozialen Medien. Darauf folge der aktivistische Extremismus des Engagements und der Partizipation. Am Ende stehe die Gewalt als ultimative Protestform, sagte Stockhammer.

"Hoch toxisch"

An den Corona-Demos beteilige sich ein "heterogenes Teilnahmefeld" – begonnen bei friedlich demonstrierenden Impfgegnerinnen und -gegnern, über Esoterikerinnen und Esoteriker bis hin zu Reichsbürgern, Rechtsextremisten und Hooligans. Diese Gemengelage sei "hoch toxisch", sagte Stockhammer. Laut dem Experten sei auch die Steigerung des Gewaltpotenzials erkennbar – potenzielle Ziele seien die "Repräsentanten des Systems", darunter Lehrende, Personen in Gesundheitsberufen und Politik, aber auch Journalistinnen und Journalisten. Letztere würden "als Teil des Systems" und damit mitschuld an den Maßnahmen erachtet.

Besonders deutlich wurde daher auch Omar Haijawi-Pirchner, der neue Chef der Direktion Staatssicherheit und Nachrichtendienst: Er gab detaillierte Empfehlungen an die Medien, was in Bedrohungssituationen und auf Demos zu tun sei.

Demos im Parlament

Auch in der Sitzung des Nationalrats waren am Freitag die Corona-Demos Thema. Etwa wollte Douglas Hoyos-Trauttmansdorff (Neos) wissen, was Karner an konkreten Maßnahmen plane, um die steigende Aggressivität bei Corona-Demos in den Griff zu bekommen. "Ich sehe es als Aufgabe der Polizei, einzuschreiten und die Sicherheit aller zu gewährleisten", sagte Karner. Man verfolge nach wie vor die 3D-Methode "Dialog, Deeskalation, Durchgreifen". Die "Verharmlosungen des NS-Terrors" auf den Demonstrationen seien "unentschuldbar".

Auf eine Frage von Georg Bürstmayr (Grüne) nach den Ergebnissen einer Konferenz von Innenressort und Bürgermeistern bezüglich der Bedrohungen durch Corona-Leugner antwortete Karner im Parlament: Es sei "notwendig, mit unmittelbar Betroffenen Sicherheitsgespräche zu führen".

Haijawi-Pirchner schlug kürzlich im STANDARD-Interview neue Möglichkeiten der Überwachung von Gefährdern in sozialen Medien vor. "Gesetzliche Anpassungen sind im Haus zu beraten und in Teilen auch sinnvoll", sagte – darauf angesprochen – Karner dazu. (Vanessa Gaigg, Oona Kroisleitner, 16.12.2021)