Das Hauptgebäude der Universität Wien.

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Bereits zum Semesterstart sorgte die Ringvorlesung an der Universität Wien mit dem Namen "Corona – Eine transdisziplinäre Herausforderung" für massive Kritik. Der Grund: Einige der Vortragenden fielen in der Vergangenheit durch Corona-Verharmlosung auf. Nun hat sich das Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte von der Vorlesung distanziert. Bemerkenswert ist dies vor allem deshalb, weil es sich um das Institut handelt, bei dem die Organisatorin der Vorlesung, Andrea Komlosy, selbst beschäftigt ist.

In einer öffentlichen Stellungnahme des Instituts wird festgehalten, dass die Freiheit der Lehre ein hohes Gut darstelle. An universitäre Veranstaltungen müsse der Anspruch gestellt werden, Einseitigkeit und Parteilichkeit in ihren Inhalten zu vermeiden und den aktuellen wissenschaftlichen Diskussionsstand abzubilden. Dies sei umso mehr geboten, wenn das Ringen um belastbare Daten und empirisch abgesicherte Maßnahmen so viel politische Sprengkraft und gesellschaftliches Spaltungspotenzial biete wie die gegenwärtige Krise.

Weiter heißt es: "In dieser Situation für die Geschichtlichkeit von Wissensbildung und Wissenschaft zu sensibilisieren, die Kompetenz zur kritischen Lektüre und Prüfung statistischer Daten zu schärfen und durch das Denken von Alternativen die Kritikfähigkeit gegenüber aktuellen Entscheidungen und Diskursen zu stärken ist eine wichtige Aufgabe universitärer Lehre."

Einseitige Kritik

Nach ausführlicher Diskussion sei man jedoch mehrheitlich zu dem Schluss gekommen, dass die angesprochene Ringvorlesung "diesen Ansprüchen zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht gerecht wird. Die in der Vorlesung geübte einseitige Kritik an 'Schulmedizin', Wissenschaft und Medien trägt aus unserer Sicht zur weiteren Polarisierung der Gesellschaft bei und dient der beschwichtigenden Umbewertung der pandemischen Situation in Österreich." Den an der Vorlesung teilnehmenden Studierenden empfiehlt man, sich "über die Inhalte der Vorlesung hinaus zu informieren und das Pandemiegeschehen weiterhin ernst zu nehmen."

Die Vorlesung selbst wird als "transdisziplinäre wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der pandemischen Situation abseits von Leitmedien, politischen Narrativen und sozialen Medien" beworben. Vortragender war zum Beispiel Andreas Sönnichsen, der von der Medizinischen Universität Wien gekündigt wurde, wo er am Zentrum für Public Health tätig war. Sönnichsen sagte kürzlich: "In den Krankenhäusern und auf den Intensivstationen liegen überwiegend Geimpfte." Es handle sich um den "größten Medizinskandal aller Zeiten". Eine irreführende Behauptung, weil einerseites mehr Ungeimpfte in Krankenhäusern behandelt werden, andererseits ein großer Teil der Risikogruppen geimpft ist.

Sönnichsen war in Bayern Kandidat der deutschen Partei "Die Basis". Deren Kanzlerkandidat Reiner Füllmich sprach davon, dass ein "KZ für Ungeimpfte" errichtet werden solle und mit der Impfung ein "organisiertes Massentöten" stattfinden werde. In Österreich nahm er an einer Pressekonferenz der MFG teil. Zudem fiel der Mediziner durch die Beteiligung an einem Inserat auf, indem unter anderem behauptet wurde, dass die mRNA-Impfung nicht verantwortungsvoll geprüft worden sei. Eine ebenfalls unrichtige Aussage, da mittlerweile keine andere Impfung, obwohl sie erst kurze Zeit am Markt ist, besser untersucht wurde.

Inszenierung und Grundrechte

Ein anderer Vortragender ist zum Beispiel der Kommunikationswissenschafter Michael Meyen, der laut dem Bayerischen Rundfunk in seinen Vorlesungen einen der bekanntesten deutschen Verschwörungstheoretiker, Ken Jebsen, als Quelle empfahl. Oder der Mediziner Christian Schubert, der in einem Interview mit FPÖ TV zum Beispiel erklärte, dass "wir heute schon wissen, dass die Lockdowns mehr Menschenleben kosten werden, als das Virus jemals hätte kosten können".

Vorlesungsorganisatorin Komlosy selbst schrieb in einem Beitrag auf heise.de: "Wir sehen die Inszenierung der Corona-Epidemie als Chance für Kapital und Staatsmacht (...) einen staatlich organisierten Kapitalismus zu errichten" sowie davon, dass die "Außerkraftsetzung unserer Grundrechte immerhin mit der Volksgesundheit argumentiert" werde.

Komlosy beantwortete Fragen des STANDARD danach, was mit dem Begriff "Inszenierung" gemeint sei und welche Gründe es ihrer Ansicht nach für die "Außerkraftsetzung der Grundrechte" gebe, nicht. Ebenfalls unbeantwortet blieb die Frage danach, ob die Vorlesungseinheit des nun von der Med-Uni gekündigten Professors Andreas Sönnichsen sowie das von ihm verfasste Buch, das als vertiefende Literatur empfohlen wird, prüfungsrelevant bleibe.

Empörung

Zur Distanzierung ihres eigenen Instituts meint Komlosy, dass es "das erste Mal in der Nachkriegsgeschichte" sei, dass sich das Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte von einer seiner Lehrenden sowie deren Lehre distanziere. Wenn Kritik an "unumstößlicher Wissenschaftlichkeit" nicht mehr erlaubt sei, dann wäre dies "das Ende der Institution Universität als Ort der Forschungsfreiheit". Sie öffne zudem Tür und Tor für das, was auch in anderen Fragen als "Cancel-Culture" den wissenschaftlichen Diskurs in "enge Bahnen einhegt".

Der Begriff "Cancel-Culture" wird in der Regel im Zusammenhang mit Debatten über Sexismus oder Rassismus verwendet. Eine ähnlich lautende Stellungnahme schickte Komlosy auch an die Studentinnen und Studenten der Vorlesung.

Schon vor einigen Wochen distanzierte sich die Universität im Zusammenhang mit dieser Vorlesung von "jeglicher Covid-Verharmlosung", stellte aber fest, dass die Veranstaltung unter die Freiheit der Wissenschaft falle. Politikwissenschafterin Birgit Sauer war ebenfalls als Vortragende gelistet. Sauer hat sich aber zu einer Absage entschieden, wie sie dem STANDARD mitteilt. Sie habe zu Beginn des Semesters unter anderem festgestellt, dass Vortragende dabei seien, "die Covid – zumindest – verharmlosen und eher Verschwörungsmythen denn Aufklärung verbreiten". In einer "solchen Nachbarschaft" habe sie ihre Thesen nicht vortragen wollen.

Komlosy habe ihre kritische Haltung aus einer staatstheoretischen und geschlechterkritischen Sicht – weil die Anti-Corona-Maßnahmen nicht auf Geschlechtergerechtigkeit Rücksicht nehmen würden – wohl missverstanden und sie fälschlich in eine "verschwörungstheoretische Richtung" eingeordnet.

Zuvor sagte Komplexitätsforscher Stefan Thurner seine Teilnahme ab. Er verwies darauf, dass Diskurs mit kontroversen Position notwendig sei, aber immer auf Wissenschaft fußen müsse. (Vanessa Gaigg, 18.12.2021)