Der 31-jährige Dornbirner Ibrahim Halil Altundal hat vor 15 Jahren seine Lehre als Maschinenmechaniker begonnen. Daran hat er nicht nur gute Erinnerungen – vor allem um Ausbildungsunterlagen hatte er zu kämpfen. Das wollte er seither für andere Lehrlinge immer ändern.

Bei Hydro Nenzing hat er das nun gemacht und ein eigenes Modell geschaffen, das die Jungen völlig anders einbindet und im Betrieb digital und per Peer-to-Peer ausbildet. Sorgen um Bewerbungen für Lehrstellen hat die Firma seither nicht mehr.

Lehrlinge erstellen füreinander digitale Ausbildungsdokumente in ihrer Sprache und so, wie sie es brauchen. Wer Fragen hat oder etwas wissen muss, der schaut auf sein Tablet und hilft dort den anderen mit eigenen Dokumenten. So digitalisiert sich der Lehrberuf, so digitalisiert sich die Ausbildung quasi von selbst von Menschen für Menschen.

Eingebunden ist diese Lehrausbildung in umfassender Integration der Jungen – indem sie bei verschiedensten laufenden Projekten Verantwortung wahrnehmen, "für sich selbst, ihre Gemeinde und das Land", wie Altundal sagt. Gleichzeitig holt der leidenschaftliche Lehrlingsausbildner nun ganz Vorarlberg in die digitale Ausbildungsmappe "David – digitale Ausbildung Vorarlberg – interaktive Datenbank". Damit will er auch andere Regionen dazu inspirieren, Gemeinsamkeit über Konkurrenz gegen den Fachkräftemangel zu stellen.

Ibrahim Halil Altundal, Lehrlingsausbildner bei Hydro Nenzing: "Wir wollen doch alle dasselbe – Fachkräfte auf gutem, vergleichbarem Niveau ausgebildet."
Foto: Michael Gunz

Ausbildungskultur

"Ich habe meine Lehre bei Blum gemacht. Und ich hab mir gedacht: Das geht noch besser. Als die Lehrlinge bei der Hydro dann vor zwei Jahren wollten, dass ich ihr Ausbildner werde, war ich überredet. Ich habe erst im Jänner 2020 als Ausbildner begonnen – aber mit sehr langer Vorbereitungszeit in meinem Kopf. Über Nacht habe ich ein Strategiepapier für eine neue Ausbildung geschrieben und der Geschäftsführung vorgelegt. Es ging mir um die Ausbildungskultur in der ganzen Organisation und um die Wertschätzung der Belegschaft, um die Weitergabe von Wissen. Es ist das Schlimmste, wenn Wissen verlorengeht. So kam es zu "#Next Generation" als Bezeichnung unserer Lehrlinge und zu einer eigenen Arbeitskleidung für die Auszubildenden.

Allerdings war die Lehrwerkstatt in keinem guten Zustand. Ich habe 50.000 Euro Budget gekriegt – und konnte mich entscheiden: Mache ich den Boden oder die Fenster. Ich habe Handwerker gesucht, die für die Sache arbeiten, und sie gefunden, gemeinsam mit den Lehrlingen haben wir die Werkstatt renoviert, ich habe selbst den Boden auf 220 Quadratmetern verlegt. Das war alles sehr leidenschaftlich, viel Emotion. So entstand unser Ort des Lernens. Abends habe ich dann die Lernunterlagen neu geschrieben. Ich wollte keine Karriere machen, sondern etwas Gutes bewirken. Junge auszubilden ist eine so sensible Arbeit! Es geht darum, den Jungen zu sagen: Du gehörst zu uns, du bist bei uns im Mittelpunkt.

Daraufhin haben wir eine Sozialarbeit im Notspital Dornbirn gemacht und wurden so als gute Truppe bekannt. Es sind echte Beziehungen entstanden, das lässt sich gar nicht planen, und wir wurden zum Vorzeigemodell in der Lehrlingsausbildung. Jetzt haben wir 80 Schnupperer auf zwei Lehrstellen. Mein Spirit ist: Ich mache es besser für die Nächsten, die nach mir kommen.

Digital Arbeiten

Irgendwann beim Schreiben der Ausbildungsunterlagen kam mir die Idee, eine digitale Verknüpfung zu machen. Das habe ich lang ausprobiert, und als ich überzeugt war, haben wir Tablets ausgeteilt und gesagt: kein Papier mehr!

Es funktioniert so: Der Lehrling hat eine Frage zu einem gewissen Thema. Er will beispielsweise Kühlwasser in die Fräsmaschine füllen (ein klassisches Beispiel in ihrem Berufsalltag). Der erste Schritt ist der Einstieg in die digitale Ausbildungsmappe. Die erste Suche war ohne Treffer. Nun erfasst der Lehrling alle Schritte und Maßnahmen, die für diese Tätigkeit notwendig sind. Er speichert das Dokument. Dadurch wird es an die vorgegebene Person verteilt. In diesem Fall geht das Dokument an mich. Nun überprüfe ich gemeinsam mit dem Lehrling die Richtigkeit und die Vollständigkeit des Dokuments. Erforderlichenfalls nehmen wir Ergänzungen und Korrekturen vor. Dann gebe ich dieses Dokument frei. Ab diesem Zeitpunkt ist es in der Datenbank erfasst und ersichtlich. Jeder Berechtigte hat somit Zugriff. Somit profitieren alle Lehrlinge im Unternehmen von diesem erfassten Wissen. Hat ein Lehrling eine zusätzliche Idee, dann formuliert er das im Dokument. Durch diesen Eintrag wird das Dokument wieder an mich weitergeleitet – es entsteht ein Kreislauf des Wissens.

Gemeinsam in die Zukunft

Nach einer im Vorhinein definierten Zeit wird das Dokument automatisch vorgelegt und auf die Aktualität überprüft. Die Ausbildungsunterlagen bleiben stets aktuell. Lehrlinge erstellen also für Lehrlinge Ausbildungsunterlagen in einem Niveau, das für alle verständlich ist. Es ist in ihrer Sprache verfasst. Das ist interaktives Lernen mit einer ständig gemeinsam weiterentwickelten und wachsenden digitalen Ausbildungsmappe.

Im Vorjahr entstand "David – digitale Ausbildungsmappe Vorarlberg – interaktive Datenbank". Ich stellte es einfach anderen Unternehmen vor, ich wollte kein Geld oder sonst etwas, nur dass wir alle unsere Lehrlinge auf dem einheitlich guten Niveau ausbilden. Es ist ja oft so, dass die Niveaus unterschiedlich sind. Ich glaube an dieses Riesenzukunftsprojekt und habe schon mehr als ein Dutzend Unternehmen im Boot, auch die Kammer und das Land sind jetzt dabei – und das digital. Digitalisierung muss ja von unten kommen, sonst wirkt sie nicht. Digitalisierung muss selbstverständlicher Teil des Aufwachsens, Lernens, des Alltags sein.

Eigentlich ist es eine primitive Idee, die Konkurrenzängste abbaut und das Gemeinsame der Zukunft ins Zentrum stellt: Fachkräfte für alle auf gleichem Niveau. Es geht mir gar nicht um mich, ich habe keine Absicht damit, außer dass andere Junge es nicht so schwierig haben sollen, wie ich es manchmal hatte. Mich macht es glücklich, täglich diese jungen Leute zu treffen, auch wenn ich dadurch für mich weniger Zeit habe." (Karin Bauer, 18.12.2021)