Als Heimito von Doderer an dem Roman schrieb, der ihn mit einem Schlag berühmt machen sollte, herrschte in Wien das Elend der Nachkriegszeit. Doderer war erfolglos, hungrig, von Kälte und Depressionen geplagt. Er verheizte Möbel, versetzte Wertsachen und schrieb mit verzweifelter Disziplin an dem Buch, das nach seinem wichtigsten Schauplatz "Die Strudlhofstiege" heißen sollte.

Jugend und "Elysium"

Franz Carl Heimito Ritter von Doderer (geboren in Hadersdorf, 5. September 1896) entstammte einer Familie erfolgreicher Bauunternehmer und Architekten. Auf Jugend und Schulkarriere des Sprösslings passt wohl am ehesten noch das Attribut "verkorkst" – das Verhältnis zum Vater war schlecht, die schulischen Leistungen ebenso; nur haarscharf erlangte er die Universitätsreife.

Die russische Kriegsgefangenschaft, in die er im Juli 1916 geriet, sollte sein "Elysium" werden: Als Angehöriger der Offizierskaste genoss er das Privileg unbeschränkten Müßiggangs. Hier fällte er den Entschluss, Schriftsteller zu werden, hier knüpfte er wichtige, teils lebenslange Kontakte, etwa zu den Malern Erwin Lang und Hans Eggenberger oder zu seinem künftigen Verleger Rudolf Haybach. Er schrieb von Rilke inspirierte Lyrik und kam mit dem Werk Albert Paris Güterslohs in Berührung, den er später zu seinem Mentor erkor.

Heimito von Doderer.
Foto: Münchner Stadtmuseum, Sammlung Fotografie, Archiv Barbara Niggl Radloff CC BY-SA 4.0
Elternhaus Stammgasse.
Foto: Hubert Bergmann

Auguste Hasterlik

Nach einer abenteuerlichen Heimkehr im Sommer 1920 belegte er an der Universität Wien die Fächer Geschichte und Psychologie. Er lernte Auguste Hasterlik kennen. Die langjährige Beziehung zu ihr war von verbissenen Auseinandersetzungen, seiner Bindungsunfähigkeit, seinen Wutausbrüchen und Seitensprüngen geprägt. Erst 1930 heirateten sie – um sich 1932 endgültig zu trennen. Die Ehe blieb jedoch rechtlich bestehen. Ende 1938 nutzte er ihre nach dem "Anschluss" äußerst prekäre Lage – Hasterlik war jüdischer Herkunft –, um die Einvernehmlichkeit der Scheidung zu erpressen.

Das Scheitern dieser Beziehung hing unter anderem mit seiner für ihn immer problematisch bleibenden Sexualität zusammen: Doderer war unter anderem voyeuristisch und sadistisch veranlagt; Frauen gefielen entweder als unterwürfige Objekte oder als androgyne Gefährtinnen, denen er eine Art geistig-spirituelle Führerschaft angedeihen lassen konnte. Erst in Dorothea Zeemann, die er 1955 kennenlernte, schien er beides gesehen zu haben.

"Sieg Heil! – Heimito"

Die einschlägigen und einflussreichen Werke Otto Weiningers und Oswald Spenglers hatte damals auch Doderer gelesen. Zudem hatte er bei Heinrich Srbik studiert, einem fanatischen Beschwörer deutscher Schicksalsverbundenheit – auf den Nationalsozialismus war er also gewissermaßen vorbereitet. Von seinen eigenen massiven antisemitischen Ausfällen zeugen Hasterliks Briefe und seine Tagebücher gleichermaßen, dazu hing er verblasenen Vorstellungen von einem Dritten Reich nach, in dem das Deutsche Kaiserreich wiederauferstehen sollte. In die NSDAP und dann nach Deutschland führte ihn aber auch beruflicher Opportunismus.

Als Schriftsteller hatte er bisher alles andere als reüssiert: Seine wenigen Bücher (darunter ein Russland-Roman und eine Huldigung Güterslohs) waren ohne Echo geblieben; nur spärlich erschienen seine Beiträge in verschiedenen Tageszeitungen, zuletzt einige in der nationalsozialistischen "Deutschösterreichischen Tages-Zeitung". Doderers Hoffnungen galten nun dem Regime in Deutschland. Er zog nach Dachau und diente sich der Reichsschrifttumskammer mit einem antisemitischen Romanprojekt an: den "Dämonen der Ostmark", in denen er die Unvereinbarkeit von "jüdischem" und "arischem" Leben demonstrieren wollte.

Zum "Anschluss" schickte Doderer einem in Österreich verbliebenen Gesinnungsgenossen noch enthusiastische Glückwünsche (gezeichnet: "Sieg Heil! – Heimito"), doch unterm Strich enttäuschten die zwei Jahre in Dachau seine Erwartungen: Die Intellektfeindlichkeit und der Massencharakter der "Bewegung" stießen ihn ab. Das in Dachau befindliche KZ hingegen fand er in seinen Tagebüchern keiner Erwähnung wert.

Rückkehr, Krieg und zweites "Elysium"

Desillusioniert kam er nach dem "Anschluss" zurück nach Wien. Immerhin: Seine künftige Ehefrau, Emma Maria Thoma, hatte er in Deutschland kennengelernt, und einen neuen Verlag hatte er: C. H. Beck, wo er 1938 den Kriminal- und Entwicklungsroman "Ein Mord, den jeder begeht" und zwei Jahre später den Mittelalterroman "Ein Umweg" publizierte. 1940 konvertierte Doderer zum Katholizismus – es sollte sein deutlichster Akt der Abwendung vom Regime bleiben. Als Reserveoffizier ohne besondere Eignung kam er zur Luftwaffe. Zum Zeitpunkt der Kapitulation in Norwegen, geriet er dort in Kriegsgefangenschaft. Erneut bot sie ihm bei guter Versorgung die Möglichkeit zu schreiben – an der "Strudlhofstiege".

Strudlhofstiege.
Foto: Christine Gruber
Tafel an der Strudlhofstiege. Das Gedicht ist dem Roman "Die Strudlhofstiege" vorangestellt.
Foto: Christine Gruber

Grandseigneur der österreichischen Literatur

Mit diesem Buch betrat Doderer 1951 die Bühne der Weltliteratur. Er tat das als Erzähler mit unverwechselbarem, parenthesenreichem Duktus, hintergründig-ironisch im Ton, als Schöpfer von einzigartigen Analogien und Feinmechaniker der Psychologie. Der triumphale Erfolg der "Strudlhofstiege" machte ihn zum berühmtesten Autor Österreichs; 15 Jahre lang galt er als der Grandseigneur der Literatur, als der vom "Spiegel" erkorene Nachfolger Thomas Manns, der von der Kritik – Hilde Spiel, Hans Weigel – gefeiert, von der Politik umworben wurde. Als sorgsamer Netzwerker scharte er Freunde und Anhänger um sich, nicht zuletzt aus der jüngeren Generation, etwa die Mitglieder der Wiener Gruppe, aber auch Ingeborg Bachmann, Helmut Qualtinger, Hans Lebert, Herbert Eisenreich oder Peter von Tramin.

Österreichischstes Österreich-Klischee

Zu seiner NS-Vergangenheit hielt Doderer sich so weit wie möglich bedeckt. Mit seinen Wien-Romanen verkörperte er in den Augen der Öffentlichkeit stattdessen eine Art Ideal-Österreichertum: Kultiviertheit, kauzigen Charme und noble Verstaubtheit. Die Stilisierung Doderers zum "Austriae Poeta Austriacissimus" (Friedrich Torberg) ist dabei aus heutiger Sicht überraschend zutreffend: Anhand von Doderer nämlich kann man dieses Österreichklischee der Nachkriegszeit gleich um ein paar Aspekte ergänzen: Obrigkeitsdenken, Passivität aus Überzeugung, waches Ressentiment und unverarbeiteter Antisemitismus sowie die Angewohnheit, die eigene Vergangenheit so mitzuteilen, wie es einem gerade passt. Jeder Staat bekommt den Staatsschriftsteller, den er verdient.

Der Monumentalroman "Die Dämonen" (1956) festigte Doderers Ruhm. Den Text, der mehr als zwanzig Jahre in Arbeit gewesen war, hatte er inzwischen von antisemitisch auf "antiideologisch" hin redigiert. Seine gute Aufnahme beruhte nicht zuletzt auf seiner geklitterten Darstellung des Justizpalastbrandes, der demokratiepolitischen Katastrophe von 1927, die von Doderer weitestgehend entpolitisiert und großkoalitionär aufbereitet wurde.

Sein letztes Großwerk hätte der vierteilige "Roman No. 7" sein sollen, für den er sich eine neue Erzählweise vorgenommen hatte: den "roman muet", den stummen Roman, in dem die Erzählstimme zurücktreten und die Ordnung der Ereignisse für sich selbst sprechen sollte.

Mitten in den Arbeiten dazu publizierte er jedoch ein völlig anders geartetes Buch: "Die Merowinger" (1962). Ein wahnwitziger Anti-Familienroman, ein Monument von Tobsucht, Gewalt und Mutwillen, zweifellos das komischste Buch aller Zeiten – und gewissermaßen Doderers unproblematischstes: weil das Problematische hier so gut sichtbar obenauf liegt.

Seinen "Roman No. 7" beendete Doderer nicht mehr. Bloß der erste Teil, "Die Wasserfälle von Slunj", erschien 1963 noch zu Lebzeiten. Die letzten Lebensjahre fanden in zunehmender Verdüsterung statt, nicht zuletzt aus gesundheitlichen Gründen. Am 23. Dezember 1966 starb Doderer an den Folgen einer Krebsoperation.

Ehrengrab, Grinzinger Friedhof.
Foto: Christine Gruber

Beforscht, ediert – gelesen?

Im Jahr 2021 feiert "Die Strudlhofstiege" ihr 70., der Roman "Die Dämonen" sein 65. Jubiläum und der Autor selbst am 5. September seinen 125. Geburtstag; auf den 23. Dezember fällt sein 55. Todestag.

Um seine Erforschung und die Herausgabe seiner Werke hat sich eine Reihe von Literaturwissenschafterinnen und Literaturwissenschaftern – Dietrich Weber, Wendelin Schmidt-Dengler und viele mehr – sehr verdient gemacht. Seit 1995 widmet sich die Heimito-von-Doderer-Gesellschaft dem Werk des Autors. Mit Wolfgang Fleischers "Das verleugnete Leben" (1996) liegt eine umfangreiche Biografie vor.

Unter den Leserinnen und Lesern hingegen ist Doderer, wie Klaus Nüchtern einleitend zu seiner Monografie von 2016 feststellt, "ganz gewiss ein Minderheitenprogramm". Wenn das stimmt, so ist das für jede Lesebiografie ein erheblicher Verlust. Wie kaum ein anderes Werk schlägt diese Romanwelt ihre Leserschaft in den Bann – und hält zugleich lohnende Reibungsflächen für eine kritische Lektüre bereit. (Bernhard Oberreither, 23.12.2021)