Als DER STANDARD das Interview mit Christiane Druml führt, sind die Lokale in Wien noch zu – es findet per Telefon statt. Die Frage kommt auf, ob man denn in Niederösterreich auf einen Kaffee hätte gehen können. Beide Beteiligten wissen das nicht auf Anhieb. Das Durcheinander ist ein Problem, sagt Druml. Eines von mehreren.
STANDARD: Lange war die offizielle Haltung der Bioethikkommission, dass es nur für bestimmte Berufsgruppen eine Impfpflicht brauche. Nun stehen Sie hinter der allgemeinen Impfpflicht. Was ist dazwischen passiert?
Druml: Nun, all diese Aussagen sind natürlich im Lichte der Ereignisse zu sehen. Die Kommission hat schon 2019 für Masern und andere Erkrankungen eine allgemeine Impfpflicht als argumentierbar gesehen. Die Covid-Impfung als Berufsvoraussetzung für Gesundheitspersonal, Lehrer, körpernahe Berufe und einzelne Multiplikatoren in der Gesellschaft haben wir vor einem Jahr vorgeschlagen. Das wäre wichtig gewesen, wenn das der Gesetzgeber umgesetzt hätte. Hat er nicht.
STANDARD: Also ist die Lage so katastrophal geworden, dass es nun nicht mehr anders geht?
Druml: Ich glaube, sie ist katastrophal geworden. Wenn die Situation so weitergeht – wobei Omikron eine Unbekannte ist –, wird an einem Lockdown am Anfang des Jahres kein Weg vorbeiführen.
STANDARD: Auch für Geimpfte?
Druml: Wir hören zwar, dass die Impfungen gut vor der Omikron-Variante schützen, aber müssen warten, was die Daten tatsächlich zutage bringen, inwieweit mit Omikron die Erkrankungshäufigkeiten und -schweren zunehmen, bis wir das aus ethischen und juristischen Gesichtspunkten beurteilen könne. Aber ja, dann wären weiter auch die Maßnahmen denkbar, die wir bis jetzt angewendet haben.
STANDARD: Sollten dann die Schulen um jeden Preis offen bleiben?
Druml: Nicht um jeden Preis, aber so lange wie möglich und mit einem Betrieb so normal wie möglich.
STANDARD: Braucht es dann auch im privaten Raum Regeln?
Druml: Das wäre sehr radikal. Dafür sehe ich keine Rechtfertigung.
STANDARD: Ist das momentane Durcheinander, sind das Auf und Zu und die Länderunterschiede aus Ihrer Sicht eigentlich noch aushaltbar?
Druml: Ich glaube schon, dass das eine Schwierigkeit ist, auch für die Akzeptanz der Menschen. Ich denke, dass das besser erklärt werden muss und man versuchen sollte, bundesweit Regelungen einheitlich zu machen – und nur bestimmte, begründete Ausnahmemöglichkeiten zu schaffen.
STANDARD: Zurück zur Impfpflicht. Es wird Menschen geben, die sich die Strafen leisten können und wollen – oder die sich ein Attest suchen. Was tun?
Druml: Ein Arzt muss auf Basis wissenschaftlicher Empfehlungen Atteste ausgeben. Da muss die Behörde Regeln vorgeben und die Ärztekammer eingreifen. Was Strafen angeht: Das ist sicher ein Problem, da ist der Gesetzgeber aufgerufen, kein zahnloses Instrument zu machen, das die Situation ad absurdum führen kann. Gesetze müssen glaubwürdig sein.
STANDARD: Freiheitsstrafen wurden ausgeschlossen. Ist das ein Fehler?
Druml: Nein, das kann ich durchaus nachempfinden. Das Wort Impfpflicht ist eindeutig, es ist kein Zwang. Damit ist klar, dass Freiheitsstrafen keine Sanktionen sind.
STANDARD: Sie warfen in die Debatte ein, dass man Selbstbehalte für Ungeimpfte diskutieren müsse.
Druml: Ich habe gesagt, man kann das diskutieren, aber aus verschiedenen Gründen bin ich nicht dafür. Das ist wie eine Keule gesehen worden, aber nie wirklich diskutiert worden, obwohl auch die Rezeptgebühr eine Art Selbstbehalt ist. Ich glaube, wir sollten bei anderen Maßnahmen andocken, bevor wir ein Gesundheitssystem, das sich seit Jahrzehnten als ein inklusives bewährt, einschränken.
STANDARD: Die Regierung hatte die Impfpflicht lange ausgeschlossen. War das ein falsches Vorgehen?
Druml: In einer Pandemie ist es schwierig, die Meinung, es könne nie zu dieser und jener Maßnahme kommen, nach außen zu bringen. Denn wir wissen ja gar nicht, was hier alles passieren kann. Die einzige momentane Möglichkeit, die Pandemie einzudämmen, zu unterminieren, indem man sagt, dass es nie zu einer Impfpflicht kommen kann, hat sicher in die Hände der Corona-Leugner gespielt. Das ist unglücklich.
STANDARD: Der Ton in den Stellungnahmen der Bioethikkommission wird direkter, der Titel der letzten lautet "Eine Pandemie ist keine Privatsache". Geht Ihnen die Geduld aus?
Druml: (seufzt) Na ja, es ist komplex. Einerseits sieht man, dass hier Folgen und Kollateralschäden alle, die nicht an Covid erkranken, treffen. Da fehlt einem das Verständnis, dass eine völlig desinformierte, völlig die Tatsachen ignorierende Meinung vorhanden ist und die in der Öffentlichkeit laut vorgetragen wird. Das und unverständliche Protestaktionen vor Spitälern sind eine Belastung für die Gesellschaft. Und das muss bereinigt werden.
STANDARD: Wie kann so eine Bereinigung langfristig aussehen?
Druml: Jene, die für eine Impfung oder für eine Rücksichtnahme auf die anderen sind, sind nicht am lautesten. Sondern die, die sich auf infame Weise gleichzeitig selbst mit Holocaust-Opfern vergleichen. Das ist erschreckend. Hier muss der Staat verstärkt in den diversen Echokammern der Corona-Leugner informieren und dazu aufrufen, dass wissenschaftlich klare Meinungen öffentlich vertreten werden. Es müssen auch die Universitäten gegen alles Unwissenschaftliche, das verbreitet wird, entschiedener auftreten. Und das muss natürlich auch in den Medien, wo diese Menschen ihre Infos suchen, vermehrt getan werden. Ich kann nicht nur über die höchsten Qualitätsmedien Wissen verbreiten, wenn ich weiß, dass so viele Menschen dort nicht erreicht werden.
STANDARD: Was sind die nächsten ethischen Fragen, die nun kommen?
Druml: Wir werden uns in den nächsten Tagen mit dem Gesetzesentwurf zur Impfpflicht befassen. Und sonst hoffe ich, dass wir uns auch einmal auf den Klimawandel und den Einfluss auf die Gesundheit und das Leben der Menschen stürzen können – und das nicht immer vertagen müssen, weil eine Corona-bezogene Notwendigkeit größer ist. (Gabriele Scherndl, 20.12.2021)